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DBA DE-USA: Art 15 Abs 1 S 1
Abstract
Es ist nicht eindeutig geklärt, welcher Zeitpunkt für die Feststellung der Ansässigkeit iSd Art 15 Abs 1 S 1 DBA DE-USA 1989/2008 (entspricht iW Art 15 Abs 1 S 1 OECD-MA) bei Einkünften aus sog Stock Options relevant ist. Der BFH hat sich im streitgegenständlichen Fall entgegen der E des FG Baden-Württemberg der Ansicht des dFA angeschlossen, wonach der Zeitpunkt des Zuflusses maßgeblich sein soll.
BFH 21. 12. 2022, I R 11/20
Sachverhalt
Die im Streitjahr 2011 miteinander verheirateten und zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger und Revisionsbeklagten (in Folge: Kl) haben ihren Wohnsitz in der Republik Deutschland. Von Juni 2001 bis 15. 4. 2005 war der Kl als „President“ einer amerikanischen Gesellschaft, die zur Sparte einer deutschen AG gehörte, tätig. In diesem Zeitraum waren die Kl in den USA wohnhaft, der Kl hielt sich allerdings in Form von Dienstreisen auch außerhalb der USA auf; ein Drittel dieser Reisen entfiel auf Deutschland (< 60 Tage pa). Das Gehalt wurde von der US-Gesellschaft ausbezahlt. Ab Mai 2005 war der Kl wieder in Deutschland tätig.
Am 1. 4. 2004 wurden dem Kl nicht handelbare Stock Options gewährt, die er ab dem 1. 4. 2005 zu 50 % und ab dem 1. 4. 2006 zu 100 % ausüben durfte. Im Streitjahr übte der Kl 10 000 der 45 000 Optionen aus. Die auf die USA entfallenden Arbeitstage wurden auch dort der Besteuerung unterworfen. Der Rest wurde vom dFA als in Deutschland steuerpflichtig erklärt. Dagegen erhob der Kl Klage.
Das FG Karlsruhe gab der Klage mit Urteil vom 21. 5. 2019 6 K 488/17 statt und unterstellte diese Einkünfte lediglich dem Progressionsvorbehalt. Es sah sich dabei im Einklang mit der Rsp des BFH (zB 24. 1. 2001, I R 100/98). Es sei für die Frage der Verteilung des Besteuerungsrechts nicht auf die Ansässigkeit im Jahr des Zuflusses, sondern auf die Ansässigkeit des Klägers im Zeitraum zwischen der Gewährung der Optionen und der erstmaligen Ausübbarkeit abzustellen. Nach Art 15 iVm 21 des DBA DE-USA 1989/2008 (iF: DBA) stehe Deutschland kein Besteuerungsrecht zu. Dagegen erhob das dFA Revision.
Entscheidung des BFH
Der BFH gab der Revision des dFA statt und wies die Sache an das FG zurück. Begründend führte es iW aus, dass das FG zu Unrecht für die Verwendung des Art 15 Abs 1 S 1 DBA auf die Ansässigkeit des Klägers in den USA während seiner Tätigkeit für die Y abgestellt hat.
Zunächst führte der BFH aus, dass das FG zu Recht von der Steuerpflicht der Einkünfte aus den Stock Options in Deutschland ausging. Anders entschied der BFH hingegen hinsichtlich des Abstellens der Ansässigkeit des Kl während dessen Tätigkeit für die amerikanische Gesellschaft nach Art 15 Abs 1 S 1 USA DE-USA. Nach dieser (iW Art 15 Abs 1 S 1 OECD-MA entsprechenden) Regelung können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Diesfalls kann die Arbeit auch im Vertragsstaat besteuert werden. Bezieht eine in Deutschland ansässige Person Einkünfte iSd Art 15 DBA DE-USA, die in den USA besteuert werden, sind sie nach Art 23 Abs 3 S 1 lit a DBA iVm § 32b Abs 1 S 1 Z 3 dEStG unter Progressionsvorbehalt von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen. Nach gefestigter Rsp des BFH dienen Aktienoptionen als „Anreiz-Lohn“, weshalb geldwerte Vorteile aus der Ausübung der Option zeitraumbezogen gewährt und entsprechend anteilig dem Erdienenszeitraum zuzuordnen sind.
Der Ort der Arbeitsausübung befindet sich nach stRsp dort, wo sich der Arbeitnehmer physisch aufhält (zB BFH 16. 1.2019, I R 66/17). Diese Ansässigkeit bezieht sich nach Ansicht des BFH allerdings nicht auf den Erdienenszeitraum. Für Art 15 Abs 1 S 1 DBA sei vielmehr die Ansässigkeit iSd Art 4 DBA zum Zeitpunkt des Zuflusses maßgeblich. Der BFH erläutert idZ, dass die Rechtsfolgen des Ansässigkeitswechsels vor Ausüben der Option umstritten sind und sich auch der Rsp des BFH diesbezüglich keine eindeutige E entnehmen lässt. Das FG stellte in einer früheren E (24. 11. 2014, 6 K 4033/13) bereits auf die Ansässigkeit während des Erdienenszeitraums ab. Die vom BFH erwähnte Gegenauffassung vertritt dagegen die Meinung, dass derjenige Staat Ansässigkeitsstaat iSv Art 15 OECD-MA sei, in dem der Steuerpflichtige zum Zeitpunkt der Einkünfteerzielung ansässig und damit abkommensberechtigt sei (Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, MA Art 15 Rz 49; OECD Report, Cross-Border Income Tax Issues arising from Employee Stock-Option Plans (2004) insb Rz 41). Dem folgend geht der BFH von der Maßgeblichkeit der Ansässigkeit zum Zeitpunkt der tatsächlichen Ausübung der Option und damit des Zuflusses aus.
Der BFH leitet dieses Ergebnis aus mehreren Umständen ab: Zunächst, weil sich erst im konkreten Zeitpunkt des Zuflusses die Frage stellt, ob die nationale Besteuerung abkommensrechtlich eingeschränkt wird. Für den persönlichen Abkommensschutz kommt es auf genau diesen Zeitpunkt an, weswegen gleiches für die weitere Anwendung der abkommensrechtlichen Regeln gelten muss. Ferner setzt Art 15 Abs 1 S 1 DBA voraus, dass Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person bezogen werden. Das Tatbestandsmerkmal der Ansässigkeit muss mit dem des Einkünftebezugs gleichzeitig erfüllt sein. Der Zeitpunkt hingegen ist – mangels abkommensrechtlicher Regelung – nach nationalem Recht zu beurteilen. Diese Beurteilung entspricht auch dem Senatsurteil vom 29. 11. 2000, I R 102/99, worin der BFH bei der Anwendung des DBA eindeutig ausdrücklich auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Zuflusses der Einkünfte abgestellt hat.
Damit umfasst das Besteuerungsrecht Deutschlands all jene Bezüge aus den Stock Options, die nicht auf einer in den USA physisch ausgeübten Tätigkeit basieren. Dies gilt auch dann, wenn die Tätigkeit in einem Drittstaat ausgeübt wird und diesbezüglich keine abkommensrechtlichen Sonderregeln bestehen. Der maßgebliche Erdienenszeitraum betrifft dabei den Zeitraum zwischen Gewährung der Stock Options und erstmaligen Ausübbarkeit.
Conclusio
DBA, wie auch das hier gegenständliche DBA DE-USA, treffen idR keine Anordnung hinsichtlich zeitlicher Aspekte der Verteilung von Besteuerungsrechten (Schuch, Die Zeit im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen [2002]). Grundsätzlich wird daraus abgeleitet, dass es alleine den nationalen Rechtsordnungen obliegt, zeitliche Aspekte der Besteuerung zu regeln. Nachdem ein DBA aber die Besteuerungsrechte der Vertragsstaaten einschränkt, kann die zeitliche Zuordnung allerdings sehr wohl auch eine abkommensrechtliche Auslegungsfrage sein. In der Tat verursachen zeitliche Aspekte diffizile abkommensrechtliche Rechtsfragen, die sich nicht ohne Weiteres beantworten lassen. Die Entscheidung des BFH betrifft einen solchen Fall der zeitlichen Zuordnung: Auf welchen Zeitpunkt kommt es für die abkommensrechtliche Feststellung des Besteuerungsrechtes an einer durch den Arbeitgeber gewährten Stock-Option an, wenn die Ansässigkeit des Einkünftebeziehers zwischen Gewährung der Option und Zufluss der entsprechenden Einkünfte auseinanderfällt? Der BFH hat diese Frage weitestgehend anhand seiner bisherigen stRsp beantwortet. So entspricht etwa die anteilige Zuordnung der Optionsrechte auf die Jahre der Laufzeit (BFH 19. 12. 2006, VI R 24/01) oder die Einordnung des Zuflusses zum Zeitpunkt der Ausübung der Option (vgl etwa BFHE 195, 102, BStBl II 2001, 509 und BFHE 195, 110, BStBl II 2001, 512) der bisherigen Rsp.
In anderen Bereichen scheint die E nicht zur Gänze mit vergangener Rsp konform zu gehen: bereits im Urteil vom 24. 1. 2001, IR 100/98, stellte das Höchstgericht fest: „Die Bezüge sind deshalb unabhängig von ihren Zuflusszeitpunkten aufzuteilen und zeitanteilig in jenem Umfang, in dem sie auf die Zeit der Auslandsentsendung nach England im Streitjahr 1993 entfallen, nach Maßgabe des einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommens von der inländischen Besteuerung freizustellen und nur im Einsatzstaat zu besteuern. Dass der Arbeitnehmer das Optionsrecht erst nach Beendigung der Auslandstätigkeit ausübt, steht dem nicht entgegen.“ (Hervorhebungen durch den Autor). Dieser Gedanke sieht die Verknüpfung zum Optionsgrund offenbar stärker als zum Zuflusszeitpunkt (vgl auch BFH 27. 1. 1972, I R 37/70). Im Endeffekt hat sich der BFH trotzdem für eine praxisfreundliche Lösung entschieden, wodurch Doppelnichtbesteuerungspotentiale vermieden werden können.