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BFH zur Nichtanerkennung finaler ausländischer Betriebsstättenverluste

Bearbeiter: Severin Schragl

DBA Deutschland-Italien 1989: Art 7 und Art 24

Abstract

Im streitgegenständlichen Fall versagte das deutsche FA (dFA) einer deutschen GmbH die Geltendmachung der Verluste einer italienischen Betriebsstätte, die im Laufe ihrer Wirkungsdauer nie Gewinn geschrieben hat und daher die Verluste nie ausgleichen konnte. Der BFH hatte dabei zu klären, ob eine qualifizierte Rückfallklausel („Subject-to-tax“-Klausel) auch negative Einkünfte umfasst und ob eine derartige Behandlung im Einklang mit der jüngeren Judikatur des EuGH und dem deutschen Verfassungsrecht steht.

BFH 12. 4. 2023, I R 44/22

Sachverhalt

Die Klägerin (Kl) und Revisionsbeklagte ist eine deutsche GmbH, die im Jahr 2004 eine Niederlassung in Italien begründete. Dabei erwirtschaftete die genannte Niederlassung in den Jahren 2004–2008 durchgehend Verluste. Mit Anfang 2009 wurde sie geschlossen, ohne dass die Verluste in Italien durch einen Verlustvortrag oder Verlustrücktrag geltend gemacht werden konnten.

Die Verluste wurden von der Kl daraufhin in Deutschland gewinnmindernd geltend gemacht, wobei das dFA diese Verluste bei der Festsetzung der dKöSt nicht berücksichtigte. Daraufhin erhob die Kl Klage beim FG Hamburg, das den Bescheid mit Urteil am 6. 8. 2014 aufhob und die gegenständlichen Verluste als für in Deutschland absetzbar erklärte. Dagegen richtet sich die Revision des dFA.

Der BFH hat das Verfahren insgesamt zweimal ausgesetzt, um eine Entscheidung des EuGH abzuwarten (EuGH 12. 6. 2018, C-650/16, Bevola und Jens W. Trock, ECLI:EU:C:2018:424; 22. 9. 2022, C-538/20, , ECLI:C:2022:717).

Entscheidung des BFH

Der BFH hält zu Beginn der Entscheidung fest, dass er der Revision des FA stattgibt und das angefochtene Urteil des FG Hamburg aufgehoben wird. Damit mindern die 2004–2008 angefallenen Verluste der italienischen Zweigniederlassung nicht die Bemessungsgrundlage der dKöSt für das Streitjahr.

Begründend führt das Gericht zunächst aus, dass die in Deutschland ansässige Kl mit ihrer in Italien belegenen Niederlassung Einkünfte aus einem Unternehmen iSd Art 7 DBA Deutschland-Italien („DBA“) erwirtschaftete, die gem Art 24 Abs 3 lit a DBA von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen sind. Art 24 Abs 3 lit a S 1 DBA statuiert die Freistellungsmethode mit Progressionsvorbehalt, eine Ausnahme ist gegenständlich nicht einschlägig.

Daraufhin hält der BFH fest, dass entgegen dem Wortlaut von Art 7 Abs 1 iVm Art 24 Abs 3 lit a DBA auch negative Einkünfte von der Bestimmung umfasst und damit von der dKöSt in Deutschland ausgenommen sind. Nach stRsp des BFH gilt die „Symmetriethese“, wonach Verluste ebenso wie Gewinne von der Bemessungsgrundlage auszunehmen sind, wenn sich der in einer abkommensrechtlichen Verteilungsnorm verwendete Einkünftebegriff auf einen Nettobetrag bezieht. Nach Punkt 16 lit d des Protokolls zum DBA vom 18. 10. 1989 („Protokoll“) gelten für die Zwecke des Art 24 Abs 3 lit a DBA die Einkünfte nur als aus dem anderen Vertragsstaat stammend, wenn sie dort in Übereinstimmung mit dem Abkommen „effektiv besteuert worden sind“. Es handelt sich hierbei um eine qualifizierte Rückfallklausel, wonach bei fehlender effektiver Besteuerung im Quellenstaat das Besteuerungsrecht an den anderen Vertragsstaat zurückfällt (BFH 17. 10. 2007, I R 96/06). Eine rein abstrakte Steuerpflicht allein reicht nicht aus. Die Klausel findet – unter Berücksichtigung der Symmetriethese – grundsätzlich auch auf negative Einkünfte Anwendung.

Das Höchstgericht sah die Voraussetzungen für die Anwendung der qualifizierten Rückfallklausel allerdings nicht als erfüllt an. Die Kl vertrat hierzu die Auffassung, dass es zu einem tatsächlichen Ausgleich des Verlusts mit anderen positiven Einkünften kommen müsse, damit man von einer „effektiven“ Besteuerung sprechen kann (vgl auch Wassermeyer in Wassermeyer [Hrsg], DBA [160. Lfg, 2023] Art 23A Rz 57). Der BFH hingegen führte zunächst aus, dass die Besteuerung im anderen Vertragsstaat im Fall positiver Einkünfte nicht voraussetzt, dass eine tatsächliche Steuerlast entsteht (Weggenmann in Wassermayer [Hrsg], DBA, Italien Art 24 Rz 57). Das betrifft etwa Fälle von Freibeträgen oder Verrechnungen mit Verlustvorträgen. Bei negativen Einkünften muss entsprechend ebenso von einer effektiven Besteuerung ausgegangen werden, wenn der andere Staat die Verluste in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezieht und einen Ausgleich mit positiven Einkünften eines anderen Veranlagungszeitraums ermöglicht. Ein tatsächlicher Ausgleich hingegen ist nicht erforderlich (vgl etwa Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz [Hrsg], DBA2 [2019] Art 23A/B Rz 81). Die Wortfolge „effektiv nicht besteuert“ ist gegenständlich „nicht besteuert“ gleichzustellen (BFH 10. 5. 2017, I R 82/15). Dass im Falle positiver Einkünfte eine Verlustverwertung in Italien stattfinden hätte können, war im gegenständlichen Fall unbestritten.

Es liegt nach der Entscheidung des BFH auch kein Verstoß gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit vor. In der Rs (22. 9. 2022, C-538/20, , ECLI:C:2022:717) hat der EuGH festgehalten, dass eine steuerrechtliche Regelung, die die Nichtabzugsfähigkeit von finalen Verlusten einer in einem anderen MS belegenen Betriebsstätte vorsieht, zulässig ist, wenn der Ansässigkeitsstaat aufgrund eines DBA auf die Besteuerungsbefugnis verzichtet hat. In diesen Fällen sei aufgrund der auf dem DBA beruhenden Freistellung eine Vergleichbarkeit mit reinen Inlandsfällen nicht gegeben. Diese Vergleichbarkeit besteht für den EuGH darin, dass – wie in der E Timac Agro Deutschland (EuGH 17. 12. 2015, C-388/14, Timac Agro Deutschland, EU:EC:2015:829) – ein symmetrischer Ausschluss der (Nicht-)Berücksichtigung von betriebsfremden Betriebsstättengewinnen auf einem DBA anstelle von (unilateralem) nationalem Recht beruht. Auch die Umsetzungspflicht von völkerrechtlichen Verträgen ins nationale Recht (Art 59 Abs 2 dGG) ändert daran nichts. Weiters widerspricht der BFH der Ansicht, dass die qualifizierte Rückfallklausel einen „unvollkommenen“ Verzicht Deutschlands auf sein Besteuerungsrecht darstelle, wodurch die Grundsätze des EuGH Urteils auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar wären.

Abschließend erkannte das Höchstgericht weder einen Verstoß gegen den unionsrechtlichen Gleichheitssatz nach Art 20 Grundrechtecharta noch eine Verletzung des (deutschen) verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes in Art 3 Abs 1 dGG.

Conclusio

Der streitgegenständliche Fall behandelt gleich mehrere Rechtsfragen, wobei die Auslegung der „Subject-to-tax“-Klausel (Rückfallklausel) den Kern der Entscheidung bildet. Im OECD-MA findet sich keine derartige Klausel, weswegen der Musterkommentar auch nicht zur Auslegung herangezogen werden kann (Englmair in Aigner/Kofler/Tumpel [Hrsg], DBA-Kommentar2 [2019] Art 23A Rz 19). Interessanterweise schließt sich der BFH nicht Stimmen in der Literatur an, die sich ausdrücklich für eine Nichteinbeziehung von Verlusten unter die effektive Rückfallklausel aussprechen (Wassermeyer in Wassermeyer, DBA [160. Lfg, 2023] Art 23A Rz 57). Der Wortlaut in Punkt 16 des Protokolls, der von einer „effektiv[en]“ Besteuerung spricht, scheint dieser Auslegungsvariante näher zu sein. Aus systematischen Gesichtspunkten ist die Entscheidung des BFH allerdings nachvollziehbar: Wenn der Ausdruck „effektiv“ lediglich eine Einbeziehung der positiven Einkünfte in die Bemessungsgrundlage erfordert, muss im Rahmen der Symmetriethese auch dasselbe für Verluste gelten. Es kann sich freilich die Frage gestellt werden, ob dem Begriff der Effektivität hier dann überhaupt noch eine Bedeutung zukommt.

Auch die österreichische DBA-Praxis wendet Rückfallklauseln an (zB Art 15 Abs 4 DBA-Deutschland). Wie in Deutschland besteht in Österreich die Auffassung, dass der Einkünfte- oder Einkommensbegriff auch negative Einkünfte umfasst (Englmair in Aigner/Kofler/Tumpel [Hrsg], DBA-Kommentar2 [2019] Art 23A Rz 31), womit die Rechtslage zunächst vergleichbar erscheint. Allerdings ist die österreichische Herangehensweise von Grund auf eine andere: § 2 Abs 8 öEStG ermöglicht eine Einbeziehung von negativen ausländischen Verlusten in die Bemessungsgrundlage bereits im innerstaatlichen Recht (vgl VwGH 25. 9. 2001, 99/14/0217) und verhindert damit die streitgegenständliche Problematik.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34368 vom 10.08.2023