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Der Hotelbetrieb des Kl war zunächst mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft vom 14. 3. 2020 nach § 20 EpiG geschlossen worden. Nach der vorliegenden Bedigungslage (“Allgemeine Bedingungen für die Versicherung gegen die Folgen einer Betriebsschließung infolge Seuchengefahr, Betrieb & Planen“ – Fassung 10/2011; F 472) besteht diesbezüglich Versicherungsschutz für den Zeitraum bis zur Aufhebung dieser Verordnung mit 27. 3. 2020. Den Unterbrechungsschaden für diesen Zeitraum hat die Bekl dem Kl auch ersetzt.
Strittig ist im vorliegenden Verfahren jedoch der daran anschließende Zeitraum, für den der Landeshauptmann mit Verordnung vom 27. 3. 2020 auf der Grundlage von § 2 Z 2 COVID-19-Maßnahmengesetz für Beherbergungsbetriebe ein Betretungsverbot „als Touristin oder Tourist“ im gesamten Landesgebiet angeordnet hat.
Grundsätzlich bedeutet eine Gesetzesänderung (oder auch ein neues Gesetz) allein nicht, dass der Versicherungsschutz zwingend entfallen muss. Es kommt vielmehr darauf an, ob das Risiko gleich geblieben ist, es also dem Äquivalenzverhältnis zur Prämie weiter entspricht oder ob es sich zu Lasten des Versicherers relevant verändert hat. Auch ginge nach der vorliegenden Bedingungslage der Versicherungsschutz für COVID-19 an sich nicht deshalb verloren, weil Sonderbestimmungen für eine Seuche iSd EpiG nun im COVID-19-MaßnahmenG geregelt sind.
Zu prüfen bleibt aber, ob sich durch die neuen Regelungen das Risiko verändert hat, was der OGH bejaht. Folgende Gründe sprechen seiner Ansicht nach gegen eine Gleichstellung von Betriebsschließung und Betretungsverbot:
- | Mit Betretungsverboten nach § 1 COVID-19-MaßnahmenG und Betriebsschließungen nach § 20 EpiG bestehen nach der Absicht des Gesetzgebers zwei verschiedene behördliche Maßnahmen nebeneinander, was schon darauf hinweist, dass sie nicht dasselbe Risiko abdecken, weil es ansonsten nicht beider Bestimmungen bedurft hätte. |
- | Das Betretungsverbot richtet sich an „Touristinnen und Touristen“, nicht jedoch unmittelbar an den Unternehmer selbst, das heißt, es fehlt der unmittelbare Bezug zu einem Betrieb. |
- | Ein Betretungsverbot nach § 1 und § 2 COVID-19-MaßnahmenG ist schon begrifflich etwas anderes als eine Betriebsschließung nach dem EpiG (von der die Versicherungsbedingungen ausgehen). |
- | Während eine Betriebsschließung zu einem gänzlichen Betriebsstillstand führt, bleibt bei einem Betretungsverbot die teilweise Aufrechterhaltung des Betriebs möglich (zB durch Online-Bestellungen; Abholungen; Zustellungen; Beherbergung von Geschäftsreisenden). Darauf, ob sich ein Betretungsverbot für einzelne Betriebe faktisch wie eine Betriebsschließung auswirkt, kommt es bei der Auslegung der vereinbarten Bedingungslage (vereinbartes Risiko) nicht an. |
- | Anders als das EpiG sieht das COVID-19-MaßnahmenG unmittelbar gar keine Entschädigungen mehr vor; die Rechtslage ist daher mit dem EpiG wirtschaftlich nicht vergleichbar und der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer kann daher nicht erwarten, dass er bei einem derart erhöhten Risiko des Versicherers bei selber Prämie gleiche Versicherungsdeckung erhält. |
Das versicherte Risiko durch ein Betretungsverbot nach dem COVID-19-MaßnahmenG hat sich daher im Verhältnis zu einer versicherten Betriebsschließung nach dem EpiG sowohl qualitativ als auch quantitativ erhöht, was einen fortwirkenden Versicherungsschutz ausschließen muss. Dem Kl steht somit für die Zeit des angeordneten Betretungsverbots ab 28. 3. 2020 keine Versicherungsleistung zu.
Entscheidung
1. Versicherungsdeckung für Betriebsschließung nach EpiG
Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung, mit der festgelegt wird, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind.
Nach Art 1.1.1 der vorliegenden Bedingungen F 472 muss der im Antrag bezeichnete Betrieb von der zuständigen Behörde nach dem EpiG “in der letztgültigen Fassung“ zur Verhinderung der Verbreitung von Seuchen geschlossen werden.
1.1. Seuche
Der Versicherungsnehmer darf bei Vertragsabschluss aufgrund der dynamischen Verweisung (“in der letztgültigen Fassung“) davon ausgehen, dass alle Krankheiten, die bei Eintritt des Versicherungsfalls vom EpiG erfasst sind, vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen; im Versicherungsfall ist nicht die Rechtslage bei Abschluss des Versicherungsvertrags, sondern jene im Zeitpunkt des Versicherungsfalls entscheidend.
Unter einer Seuche versteht man eine Infektionskrankheit, die infolge ihrer großen Verbreitung und der Schwere des Verlaufs eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Diese Definition trifft unzweifelhaft auf COVID-19 zu.
Seit der Verordnung betreffend die Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen bei Auftreten von Infektionen mit SARS-CoV-2, BGBl II 2020/74 (diese trat am 29. 2. 2020 in Kraft) wird die Erkrankung an COVID-19 vom EpiG erfasst und begründet den Versicherungsschutz.
Auch wenn bei Vertragsabschluss niemand mit einer Pandemie wie COVID-19 gerechnet hat, so ist der Versicherer dennoch zur Deckung entsprechend seiner Zusage verpflichtet. Es kommt daher nur auf die Auslegung von Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 aus der Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers an.
1.2. Großflächige Betriebsschließungen
Die Risikodeckung verlangt die „Schließung“ des versicherten Betriebs. Es muss daher eine gänzliche Unterbrechung des Betriebs vorliegen, dh ein vollständiger Stillstand der Betriebsabläufe eingetreten sei.
Da ein (einschränkender) Bezug auf den konkreten Betrieb in Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 fehlt, zieht der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer (e contrario) den Schluss, dass es bei der Betriebsschließung nach Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 nur auf das Faktum der Betriebsschließung ankommt und nicht darauf, dass diese auch noch durch eine innerhalb des Betriebs (intrinsisch) auftretende Seuche verursacht worden sein muss. Es genügt damit, wenn die Schließung – wie in den COVID-19-Fällen – erfolgt, um die Ausbreitung einer außerhalb des Betriebs entstandenen Infektionsquelle einzudämmen und setzt kein Auftreten der Seuche im Betrieb selbst voraus.
Das EpiG in seiner aktuellen Fassung, auf das die Bedingungslage verweist, hat außerdem nicht nur das Risiko der Übertragung von Krankheiten vor Augen, die mit dem ausgeübten Gewerbe zusammenhängen. Der Katalog der anzeigepflichtigen Krankheiten umfasst seit mehreren Jahren auch Krankheiten wie SARS und Mers-CoV („neues Corona-Virus“; vgl § 1 Abs 1 Z 1 EpiG idF BGBl I 2016/63). Beide sind mit SARS-CoV-2 („2019 neuartiges Coronavirus“) verwandt und haben nicht spezifisch mit der ausgeübten Tätigkeit in dem betroffenen Betrieb zu tun.
Auch wenn der Gesetzgeber des EpiG eine großflächige Schließung von Betriebsstätten nicht vor Augen gehabt haben mag, ändert dies nichts daran, dass sich der Umfang der Deckungspflicht der Bekl aus der vereinbarten Bedingungslage ergibt. Ein Hinweis darauf, dass kein Versicherungsschutz bestehen soll, wenn bundesweit flächendeckend Betriebsschließungen angeordnet werden, findet sich dort nicht. Vielmehr deutet der Begriff „Seuche“ auf eine großflächige Beeinträchtigung vieler Betriebe hin.
Die Betriebsschließung muss daher nur der Verhinderung der Verbreitung der Seuche dienen.
Auch aus der geringen Prämie muss der Versicherungsnehmer nichts Gegenteiliges ableiten. Er kennt die Grundsätze nicht, nach denen der Versicherer die Prämie für sein Produkt kalkuliert.
Ob die Schließung des Betriebs durch die Behörde mit Bescheid, mittels Verordnung oder möglicherweise durch unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt erfolgt, ist nach dem Wortlaut des Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 nicht maßgeblich. Ob die hoheitlich angeordnete Schließung auf individuelle oder generelle Weise erfolgt, macht für die Deckungspflicht des Versicherers keinen Unterschied.
Grundsätzlich besteht daher Deckung für eine behördlich durch Verordnung angeordnete Betriebsschließung nach dem EpiG.
2. Keine Versicherungsdeckung für Betretungsverbot nach COVID-19-MaßnahmenG
In seinen Entscheidungsgründen setzt sich der OGH ausführlich mit den Unterschieden zwischen den Maßnahmen nach dem EpiG und nach dem COVID-19-MaßnahmenG auseinander.
Zusätzlich zu den Argumenten, die für ein nunmehr anderes Risiko sprechen (siehe Leitsatz), hält der OGH ua fest, dass der Versicherungsnehmer auch aus Art 5 der Bedingungen F 472 nichts für seinen Standpunkt ableiten kann: Art 5 bezieht sich auf den Entschädigungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Bund aus Anlass einer behördlichen Betriebsschließung (vgl § 32 Abs 4 EpiG), der auf den Versicherer nach Maßgabe seiner Versicherungsleistung übergeht. Das COVID-19-MaßnahmenG sieht demgegenüber keine Ersatzleistungen des Bundes vor, wobei der Gesetzgeber dabei offenkundig (auch) das Anliegen verfolgte, Entschädigungsansprüche im Fall einer Schließung von Betriebsstätten nach dem EpiG auszuschließen (vgl VfGH G 202/20 ua). Der Gesetzgeber hat zwar das Betretungsverbot in ein umfangreiches Maßnahmen- und Rettungspaket eingebettet, das funktionell darauf abzielt, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Betretungsverbots auf die betroffenen Unternehmen abzufedern. Eine derartige Entschädigung ist allerdings geringer als nach § 32 EpiG und nicht vorweg präzisiert und damit nicht kalkulierbar. Auch ist nicht mehr geregelt, ob der Versicherer in Vorlage treten muss (wie zum EpiG) oder ob der Versicherungsnehmer erst nach Anrechnung der Leistungen der öffentlichen Hand Anspruch auf die Differenz zu seinem Schaden hat.
Auch Art 5 der Bedingungen F 472 stellt auf das EpiG ab, sodass seiner unmittelbaren Anwendung für andere Entschädigungen der öffentlichen Hand die Grundlage entzogen ist. Damit fehlt den Parteien eine gleichwertige, absehbare Vertrags- und Rechtslage wie sie zum EpiG besteht.
3. Kein Schadenersatzanspruch
Der Kl hat auch keinen Schadenersatzanspruch gegenüber der Bekl: Der Versicherungsagent der Bekl erklärte ihm insbesondere, dass ein Schaden resultierend aus einer behördlichen Betriebsschließung aufgrund einer vom Betrieb ausgehenden Seuchengefahr versichert sei. Diese Aufklärung und Information des Kl erfolgte ordnungsgemäß, besteht doch speziell Versicherungsschutz für die behördliche Schließung des Betriebs aufgrund des (damals allein geltenden) EpiG zur Verhinderung und Verbreitung von Seuchen. Der Kl wurde nicht falsch belehrt.
Künftige Änderungen der Sach- und Rechtslage (wie die Anordnung von Betretungsverboten auf der Grundlage des COVID-19-MaßnahmenG, weil sich das EpiG als nicht der Sachlage entsprechend erwies) waren nicht voraussehbar und bedurften keiner Aufklärung. Eine „All-Risk-Versicherung“ gibt es grundsätzlich ohnehin nicht (vgl RS0119747); eine solche durfte der Kl auch nicht erwarten.
Mangels rechtswidrigen Verhaltens des Versicherungsagenten (hinsichtlich der nicht näher konkretisierten Prämienrückforderung auch mangels Nachweises des Kl, dass er den Deckungsbaustein „Betriebsschließung infolge Seuchengefahr aufgrund des Epidemiegesetzes“ nicht mitversichert hätte) besteht auch das hilfsweise auf Schadenersatz gestützte Klagebegehren nicht zu Recht.