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MwStSystRL (RL 2006/112/EG): Art 2, Art 4, Art 6 Abs 2 lit b
Abstract
In der Rs Finanzamt T hatte sich der EuGH ua mit der Frage zu befassen, ob es bei Leistungen einer Organgesellschaft an den Hoheitsbereich des Organträgers zu einer Eigenverbrauchsbesteuerung iSd Art 6 Abs 2 lit b Sechste Richtlinie kommt. Diese Frage wurde vom Gerichtshof verneint.
EuGH 1. 12. 2022, C-269/20, Finanzamt T
Sachverhalt
S, eine deutsche Stiftung öffentlichen Rechts, bildet als Organträgerin mit der U GmbH als Organgesellschaft eine Mehrwertsteuergruppe. S ist Trägerin eines Bereichs der Universitätsmedizin und unterliegt mit ihren entgeltlichen Dienstleistungen der Mehrwertsteuer, während sie für die Tätigkeiten, die sie im Rahmen der Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Aufgaben ausübt, nicht als Steuerpflichtige gilt. Die U GmbH erbringt gegenüber der S Reinigungsleistungen, die den gesamten Gebäudekomplex des Bereichs der Universitätsmedizin umfasst, zu dem neben Patientenzimmern auch Hörsäle und Labore gehören. Während der Teil des Krankenhausbereiches, der der Versorgung der Patienten dient, der wirtschaftlichen Tätigkeit der S zuzuordnen ist, werden die Hörsäle und Labore für die Wahrnehmung der hoheitlichen Tätigkeit genutzt. Fraglich war ua, ob Leistungen einer Organgesellschaft an den hoheitlichen Bereich des Organträgers zu einer Eigenverbrauchsbesteuerung iSd Art 6 Abs 2 lit b der Sechsten Richtlinie führen.
Anm: Im selben Verfahren musste sich der EuGH auch mit der Frage auseinandersetzen, ob es unionsrechtlich zulässig ist, den Organträger als Steuerschuldner zu bestimmen. Der Gerichtshof hat diese Frage bejaht (vgl dazu auch EuGH 1. 12. 2022, C-141/20, Norddeutsche Diakonie Gesellschaft mbH; im Detail Mittendorfer, Die Rs Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie mbH: Ende der nicht-steuerbaren Innenumsätze? Lexis Rechtsnews; Borns/Mittendorfer, EuGH C-141/20 und C-269/20 – Der Anfang vom Ende der deutschen [und österreichischen] Organschaftsregelung? ecolex 2023 [in Bearbeitung]). Dieser Aspekt des Urteils wird hier in weiterer Folge nicht behandelt.
Entscheidung des EuGH
In Beantwortung der hier behandelten Vorlagefrage führt der EuGH zunächst aus, dass es im vorliegenden Fall allein schon deshalb zu keiner Eigenverbrauchsbesteuerung kommen kann, weil Art 6 Abs 2 lit b Sechste Richtlinie Unentgeltlichkeit verlangt, die Dienstleistungen im konkreten Fall aber entgeltlich erbracht wurden. In diesem Zusammenhang betont der Gerichtshof weiters, dass selbst bei Vorliegen einer unentgeltlichen Leistungserbringung nicht von einer Anwendbarkeit dieser Bestimmung auszugehen wäre. Denn mit Art 6 Abs 2 lit b Sechste Richtlinie soll keine allgemeine Regel eingeführt werden, nach der Tätigkeiten, die grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen (wie etwa hoheitliche Tätigkeiten), als Tätigkeiten betrachtet werden können, die für unternehmensfremde Zwecke iSd Art 6 Abs 2 lit b Sechste Richtlinie ausgeführt werden. Diese Schlussfolgerung begründet der EuGH damit, dass durch eine Anwendbarkeit des Art 6 Abs 2 lit b Sechste Richtlinie hoheitliche Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen, steuerbaren Tätigkeiten gleichgestellt werden würden. Dies würde aber sowohl Art 2 Abs 2 als auch Art 4 Abs 5 Sechste Richtlinie den Sinn nehmen.
Conclusio
Die Entscheidung des EuGH in der Rs Finanzamt T wurde mit Spannung erwartet. Mit seinem Urteil bestätigt der Gerichtshof die Auffassung von GA Medina und führt aus, dass entgeltliche Leistungen vom unternehmerischen Bereich einer Organgesellschaft in den hoheitlichen Bereich der Organträgerin nicht zu einer Eigenverbrauchsbesteuerung führen (GA Medina, 27. 1. 2022, C-269/20, Finanzamt T). Der EuGH differenziert dabei zwischen unternehmensfremden Tätigkeiten und Tätigkeiten, die im Rahmen der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben ausgeführt werden (vgl dazu bereits EuGH 12. 2. 2009, C-515/07, VNLTO). Unklar war bisher allerdings, ob die Ausführungen des EuGH in der Rs VNLTO auch auf Dienstleistungen übertragen werden können (ablehnend Ruppe/Achatz in Ruppe/Achatz (Hrsg), UStG (2017) § 3 Rz 282/2; aA Achatz/Mang/Lindinger, Besteuerung der Körperschaften öffentlichen Rechts3 (2014) Rz 528). Dies wurde vom Gerichtshof nun geklärt. Dienstleistungen einer Organgesellschaft an den hoheitlichen Bereich des Organträgers sind demnach kein „unternehmensfremder“ Zweck und fallen daher auch nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 Abs 2 lit b Sechste Richtlinie.