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StPO: § 17, § 190, § 198, § 200, § 201
7. ZPEMRK: Art 4
1. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 190 StPO löst schon deshalb keine Sperrwirkung iSd Grundsatzes ne bis in idem gem Art 4 7. ZPEMRK aus, weil der Staatsanwaltschaft keine allgemeine Sanktionsbefugnis – iS einer Sonderkonstellation bei der Strafverfolgung – zukommt. Aus diesem Grund widerspricht auch ein kartellrechtlicher Geldbußenantrag nach § 29 KartG 2005 betr die Fakten, die bereits von einer Einstellung nach § 190 StPO erfasst waren, nicht dem Doppelverfolgungs- und -bestrafungsverbot.
Das Fehlen einer allgemeinen Sanktionsbefugnis der Staatsanwaltschaft führt auch dazu, der diversionellen Erledigung durch die Staatsanwaltschaft keine Sperrwirkung iSd Art 4 7. ZPEMRK zuzumessen. Dass im vorliegenden Fall eine Diversion durch Leistung eines Geldbetrags (§ 200 StPO) zu beurteilen ist – und nicht durch Erbringung gemeinnütziger Leistungen (§ 201 StPO) wie im Fall zu 16 Ok 5/23f (RdW 2024/418) –, führt insofern zu keiner abweichenden Beurteilung.
2. Jene Fakten, die Gegenstand der Verfahrenseinstellung nach § 190 StPO bzw der diversionellen Erledigung im Strafverfahren waren, haben in die Ausmittlung der Geldbuße als Teil der zu ahndenden Gesamtzuwiderhandlung Eingang zu finden (hier: mit Geldbuße zu belegende Gesamtzuwiderhandlung aus 43 Verstößen anstatt bloß 26 Verstößen, wie vom Kartellgericht angenommen).
Auch wenn im Kartellverfahren nicht bloß eine Feststellung der Zuwiderhandlung nach § 28 KartG 2005 beantragt wurde, sondern eine Geldbuße nach § 29 KartG 2005, kann eine übermäßige Belastung vermieden werden, indem bei der Ausmessung der Geldbuße nach § 29 KartG 2005 auf die bereits erfolgte Zahlung eines Geldbetrags gem § 200 StPO im Rahmen der diversionellen Erledigung Bedacht genommen wird.
3. Es bestehen insgesamt gewichtige Gründe dafür, unter dem „vorausgegangenen Geschäftsjahr“ gem § 29 Abs 1 KartG 2005, das für die Ermittlung des Geldbußenrahmens relevant ist, das dem Erlass der Entscheidung vorangegangene Geschäftsjahr zu verstehen.
OGH als KOG 16. 10. 2024, 16 Ok 6/23b
Hinweis:
Der OGH hat jüngst grundlegend zu Kartellsanktionen und dem Grundsatz ne bis in idem Stellung genommen (16 Ok 5/23f, RdW 2024/418).
Entscheidung
Komplementäre Sanktion
Der OGH hat anhand der Schutzzwecke des § 168b StGB und des § 1 KartG 2005 bereits herausgearbeitet, dass diese Bestimmungen unterschiedliche Aspekte desselben „sozialen Problems“ adressieren („different aspects of the social misconduct“), nämlich § 168b StGB die durch eine Submissionsabsprache zumindest potenziell gefährdeten Vermögensinteressen des Auftraggebers im Vergabeverfahren und das KartG 2005 die durch eine solche Absprache gefährdete Wettbewerbsordnung. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass § 168b StGB Vorsatz erfordert, während für eine Sanktion nach §§ 28 f KartG 2005 Fahrlässigkeit genügt, wodurch ebenfalls ein unterschiedliches sozialwidriges Verhalten sanktioniert wird.
Für das Vorliegen einer komplementären Reaktion spricht darüber hinaus der Umstand, dass der Diversion in einem nachfolgenden Zivilprozess keine Bindungswirkung zukommt (16 Ok 5/23f [ErwGr 3.3.2.1.], RdW 2024/418).
Diese im Verfahren 16 Ok 5/23f zu § 28 KartG 2005 herausgearbeiteten Aspekte sind nicht von der jeweils beantragten kartellrechtlichen Sanktion abhängig. Die dargestellten Erwägungen gelten daher gleichermaßen im Verhältnis zur hier beantragten Geldbuße nach § 29 KartG 2005.
Sämtliche rechtlichen Konsequenzen ihrer Submissionsabsprachen (also sowohl eine Verfolgung nach § 168b StGB als auch Sanktionen nach dem KartG 2005) waren für die Antragsgegnerinnen zweifellos auch iSd Rsp des EGMR vorhersehbar.
Dem Erfordernis einer „ausreichend engen zeitlichen Verbindung“ beider Verfahren wurde hier ebenfalls entsprochen, wurden diese doch sogar teilweise parallel geführt (Übermittlung der Beschwerdepunkte an die Antragsgegnerinnen am 14. 1. 2021; Teileinstellung durch die WKStA hinsichtlich einzelner Fakten am 30. 5. 2022 und am 7. 3. 2023 hinsichtlich der restlichen Fakten; Einleitung des gerichtlichen Kartellverfahrens mit Antrag vom 27. 7. 2022, also nicht einmal zwei Monate später).
Für die Vermeidung von „Doppelgleisigkeiten“ bei der Sammlung und Würdigung von Beweisen, insb durch eine „angemessene Interaktion zwischen den Behörden“ im Verhältnis zwischen Strafverfahren und Kartellverfahren, bestehen taugliche gesetzliche Grundlagen (vgl 16 Ok 5/23f [ErwGr 3.3.2.5.]). Eine angemessene Interaktion fand im vorliegenden Fall auch konkret statt.
Veröffentlichung der Entscheidungen
Im Fall einer Abänderung der Entscheidung des Kartellgerichts durch das Kartellobergericht ist zwar grds nur die Entscheidung des KOG zu veröffentlichen (§ 37 Abs 1 Satz 2 KartG 2005). Wird damit aber nicht das Auslangen gefunden (etwa bei einer bloß teilweisen Abänderung oder einer Abänderung bloß des Sanktionsausspruchs), weil sich das KOG in der Begründung seiner Entscheidung bei der Wiedergabe der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen auf das beschränken kann, was zum Verständnis seiner Rechtsausführungen erforderlich ist, kann dem Zweck der Veröffentlichungspflicht nur durch die Veröffentlichung der erstinstanzlichen und der Rekursentscheidung entsprochen werden.