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Echter Fremdwährungskredit – „Zinsgleitklausel“

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: §§ 914 f

KSchG: § 6

Zu prüfen war im vorliegenden Fall ua, ob die Zinsgleitklausel (eines echten Fremdwährungskredits) zur Gesamtnichtigkeit des Vertrags führen kann – was der OGH verneinte: In der inkriminierten Klausel ist eine einseitige Aufrundung (auf volle 0,125 Prozentpunkte) vorgesehen, was grds § 6 Abs 1 Z 5 KSchG widerspricht. Tatsächlich hat der Kreditgeber jedoch ungeachtet des Wortlauts der Klausel während des Vertragsverhältnisses über mehr als zwei Jahrzehnte keine einseitige Aufrundung vorgenommen, sondern kaufmännisch gerundet. Diese praktische Handhabe ist ein deutliches Indiz dafür, dass die Klausel nach dem beidseitigen Geschäftswillen schon beim Vertragsabschluss keine einseitige Aufrundung ermöglichen sollte. Es entspricht der praktischen Lebenserfahrung, dass sich ein Kreditgeber mit einer bestimmten (und für ihn im Vergleich zum Vertragstext nachteiligen) Art der Vertragserfüllung zufrieden gibt, wenn sich diese mit seinem tatsächlichen Verständnis vom Vertragsinhalt und damit auch mit ihrem tatsächlichen Geschäftswillen deckt. Ist von einem derartigen Geschäftswille auszugehen, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Wortlaut der Klausel eine Abrundung ausdrücklich ausschließt, weil der übereinstimmende Geschäftswille selbst dann relevant ist, wenn er sich nicht im Vertragstext niedergeschlagen hat. Die Berücksichtigung des nachträglichen Parteiverhaltens führt im Anlassfall somit dazu, dass die Klausel iSv kaufmännischer Rundung auszulegen ist, sodass kein Verstoß gegen § 6 Abs 1 Z 5 KSchG vorliegt.

Dieses Auslegungsergebnis aufgrund der tatsächlichen Übung ist für die (kl) Verbraucher zweifelsfrei auch günstiger, weil es sie vor einer einseitigen (und nachteiligen) Aufrundung bewahrt. Ungeachtet der Frage, ob § 6 Abs 1 Z 5 KSchG auch von der RL 93/13/EWG (KlauselRL) vorgegeben ist, entspricht es Art 5 Satz 2 KlauselRL, dass im Zweifelsfall die für den Verbraucher günstigste Auslegung anzuwenden ist. Nur im Verbandsprozess hat die Auslegung von Klauseln im kundenfeindlichsten Sinn zu erfolgen. Hingegen ist im Individualprozess die Auslegung nicht im kundenfeindlichsten Sinn vorzunehmen. Vielmehr hat hier die Auslegung nach den Grundsätzen der §§ 914, 915 ABGB zu erfolgen.

Zudem wäre es der Bank wegen des Grundsatzes des „venire contra factum proprium“ verwehrt, sich nach über 20 Jahren im weiteren Vertragsverhältnis plötzlich (und missbräuchlich) auf eine einseitige Rundungsmöglichkeit iSd Wortlauts der Klausel zu berufen.

OGH 22. 10. 2024, 4 Ob 4/23a

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36091 vom 15.11.2024