Dieser Inhalt ist frei verfügbar. Mit einem Abonnement der ÖStZ erhalten Sie die Zeitschrift in Print und vollen digitalen Zugriff im Web, am Smartphone und Tablet. Mehr erfahren…
Testen Sie
ALLE 13 Zeitschriftenportale
30 Tage lang kostenlos.
Der Zugriff endet nach 30 Tagen automatisch.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gem § 46 Abs 1 VwGG zu bewilligen, wenn auf Grund eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses eine Frist (etwa zur Einbringung einer Revision) versäumt wurde, und keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Der VwGH hat in der gegenständlichen Entscheidung erkannt, dass im Fall der Beauftragung mehrerer Parteienvertreter ein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund vorliegt, wenn sich einer der Vertreter auf die korrekte Mitteilung von Zustelldaten (etwa des Zustelldatums der anzufechtenden BFG-Entscheidung) durch den anderen, zustellbevollmächtigten Vertreter verlässt – dies jedenfalls, sofern dem einschreitenden Vertreter keine Zweifel an der Richtigkeit der mitgeteilten Daten kommen mussten.
VwGH 13. 12. 2021, Ra 2020/15/0130
Sachverhalt
Dem zustellbevollmächtigten steuerlichen Vertreter der Revisionswerberin wurde ein mit 15. 5. 2020 datiertes BFG-Erkenntnis am 18. 5. 2020 zugestellt. Durch ein Versehen des Kanzleipersonals des Steuerberaters wurde jedoch der 19. 5. 2020 als Datum der Zustellung vermerkt und per Stampiglie auf der BFG-Entscheidung angebracht, woraufhin der Steuerberater das Ende der Revisionsfrist fälschlich mit 30. 6. 2020 (anstatt 29. 6. 2020) notierte. Der Steuerberater beauftragte im Namen der Revisionswerberin einen Rechtsanwalt mit dem Einbringen einer Revision und übermittelte diesem das BFG-Erkenntnis samt dem darauf angebrachten Zustelldatum. Der Rechtsanwalt brachte die Revision am 30. 6. 2020 ein. Nachdem die Revision als verspätet zurückgewiesen wurde, beantragte die Revisionswerberin durch ihre rechtsanwaltliche Vertretung gem § 46 Abs 1 VwGG die Wiedereinsetzung in die Revisionsfrist.
Das BFG wies den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet ab. Ob der steuerliche Vertreter der Revisionswerberin alle organisatorischen Vorkehrungen getroffen habe, die für eine korrekte Vormerkung von Fristen erforderlich seien, könne im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Entscheidend sei, dass die Revisionswerberin neben ihrem steuerlichen Vertreter auch einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen betraut habe. Von einem Rechtsanwalt könne erwartet werden, dass er sich bei der Abfassung des Rechtsmittels selbst über deren Rechtzeitigkeit schlüssig sei, er dürfe sich nicht einfach auf den Eingangsstempel eines Steuerberaters bzw einer anderen Kanzlei verlassen.
Gegen den abweisenden Beschluss des BFG erhob die Revisionswerberin außerordentliche Revision. Zur Zulässigkeit brachte die Revisionswerberin vor, es liege keine Judikatur des VwGH zur Frage vor, inwieweit sich ein Rechtsanwalt auf das ihm durch einen anderen berufsmäßigen Parteienvertreter bekanntgegebene Zustelldatum verlassen könne.
Entscheidung des VwGH
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Den im angefochtenen Beschluss vertretenen Standpunkt hat das BFG auch auf das Erkenntnis vom 10. 2. 1989, 88/17/0191, gestützt, in dem der VwGH unter anderem ausgesprochen hat, dass von einem Rechtsanwalt erwartet werden könne, dass er sich bei der Abfassung der Rechtsmittelschrift selbst über deren Rechtzeitigkeit oder Verspätung schlüssig werde. Es stimme mit der einem Rechtsanwalt obliegenden Überwachungs- und Aufsichtspflicht nicht überein, wenn sich der Rechtsanwalt bei der Verfertigung fristgebundener Eingaben ausschließlich auf den von seinen Kanzleiangestellten angelegten Terminvermerk verlasse und nicht einmal bei der Verfassung der Rechtsmittelschrift deren Rechtzeitigkeit im besonderen Fall prüfe.
Diese Begründung trägt den angefochtenen Beschluss schon deswegen nicht, weil die vom BFG für seinen Standpunkt ins Treffen geführte Rechtsprechung des VwGH die Vormerkung von Fristen bzw die Überwachung von Terminvormerken, die von Kanzleiangestellten angelegt worden sind, betrifft. Insoweit ist den einschreitenden Rechtsanwälten aber kein Fehler unterlaufen, die sich laut der auf den Wiedereinsetzungsantrag gestützten Sachverhaltsfeststellung des Bundesfinanzgerichts nicht auf einen von eigenen Kanzleiangestellten angelegten Vermerk über den Zustellungszeitpunkt, sondern auf einen fehlerhaften Eingangsstempel des steuerlichen Vertreters und dessen Angaben, wonach das anzufechtende Erkenntnis am 19. 5. 2020 zugestellt worden sei, verlassen haben. Im gegenständlichen Fall hat der steuerliche Vertreter der Revisionswerberin den Rechtsanwälten Auftrag und Vollmacht für die Verfassung und Einbringung einer Revision erteilt. Dabei hat der steuerliche Vertreter den Rechtsanwälten das anzufechtende Erkenntnis, auf dem in seiner Kanzlei der Eingangsstempel angebracht worden war, übergeben, und zwar ohne Aufklärung, dass das angegebene Zustelldatum möglicherweise unrichtig sein könnte. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass den einschreitenden Rechtsanwälten hätte auffallen müssen, dass der auf dem anzufechtenden Erkenntnis angebrachte Eingangsvermerk nicht dem Zustelltag des angefochtenen Erkenntnis darstellen kann, zumal das an die Revisionswerberin zu Handen ihres steuerlichen Vertreters adressierte Erkenntnis mit Freitag dem 15. 5. 2020 datiert und ein – durch ein Wochenende unterbrochener – Postlauf von vier Tagen nicht ungewöhnlich ist.
Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gem § 42 Abs 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.
Conclusio
Die Entscheidung des VwGH dürfte mehr Sicherheit bei der Zusammenarbeit verschiedener Parteienvertreter bringen. Wird neben dem zustellbevollmächtigten Parteienvertreter ein weiterer Parteienvertreter beauftragt, darf sich dieser grundsätzlich darauf verlassen, dass der zustellbevollmächtige Vertreter ihm Zustelldaten korrekt mitteilt. Aus praktischer Sicht scheint ein derartiges Vertrauen auf die Angaben des zustellbevollmächtigten Vertreters auch notwendig, da eine unabhängige Überprüfung des Zustellzeitpunkts durch den anderen Vertreter regelmäßig nicht möglich sein wird.