Dieser Inhalt ist frei verfügbar. Mit einem Abonnement der ÖStZ erhalten Sie die Zeitschrift in Print und vollen digitalen Zugriff im Web, am Smartphone und Tablet. Mehr erfahren…
Testen Sie
ALLE 13 Zeitschriftenportale
30 Tage lang kostenlos.
Der Zugriff endet nach 30 Tagen automatisch.
MwStSystRL: Art 2 Abs 1 lit d, Art 30
UZK: Art 79 Abs 1 lit a und b
Abstract
Der VwGH hatte zu beurteilen, ob bei einer vorschriftswidrigen Verbringung in die Union neben der Zollschuld auch die Mehrwertsteuerpflicht in Form der EUSt entsteht. Dabei kam er zum Ergebnis, dass anhand der Rsp des EuGH keine EUSt entsteht, wenn die Ware nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt. Da die Ware im gegenständlichen Fall bereits unmittelbar am Amtsplatz der Zollstelle beschlagnahmt und der Verfügungsgewalt der Besitzer entzogen wurde, gelangte diese nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union.
VwGH 29. 2. 2024, Ra 2021/16/0077
Sachverhalt
Die mitbeteiligten Parteien reisten am 17. 8. 2020 mit einem Fahrzeug aus Liechtenstein nach Österreich ein. Dort wurden sie im Zuge einer Kontrolle an der Zollstelle Nofels angehalten, bei der im Fahrzeug Silberbarren mit einem Gewicht von insgesamt 662 kg aufgefunden wurden. Diese wurden von einer Bank in Liechtenstein abgeholt und sollten zu einer Bank in Zürich gebracht werden. Das Zollamt beschlagnahmte die Silberbarren und setzte die Zollschuld sowie die Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) dafür mittels Bescheid fest.
Der im Bescheid vertretenen Ansicht schloss sich das BFG nicht vollständig an. Die Zollschuld an den Silberbarren entstand – wie von der Zollstelle festgesetzt – bereits im Zeitpunkt der Einreise bei der Zollstelle Nofels. Betreffend EUSt gelangte das BFG hingegen zum Ergebnis, dass eine solche nicht entstanden ist. Aufgrund der jüngeren Rechtsprechung des EuGH zu den Voraussetzungen für das Vorliegen einer Einfuhr iSd Art 2 Abs 1 lit d und Art 30 MwStSystRL ist in Fällen einer auf einer Pflichtverletzung beruhenden Zollschuldentstehung nach Art 79 Abs 1 lit a und b UZK nicht mehr in jedem Fall neben der Zollschuldentstehung auch von der Entstehung der EUSt auszugehen. Diese entstehe nicht, wenn die Ware aufgrund besonderer Umstände nachweislich nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sei. Im vorliegenden Fall gelangte die Ware durch die Beschlagnahmung eben nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union. Das Zollamt erhob ao Revision gegen das Erkenntnis des BFG, in der es ausführte, dass die Ware sehr wohl in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist, weshalb EUSt abzuführen sei.
Entscheidung des VwGH
Eingangs hält der VwGH fest, dass eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dann nicht vorliegt, wenn es dazu zwar keine Rechtsprechung des VwGH gibt, die Rechtslage aber durch ein Urteil des EuGH gelöst ist (VwGH 15. 12. 2022, Ra 2022/07/0064; 15. 12. 2022, Ro 2020/13/0016, jeweils mwN). Nach der stRsp des EuGH kann in einem wie dem vorliegenden Fall idR davon ausgegangen werden, dass neben der Zollschuld auch eine Mehrwertsteuerpflicht bestehen, wenn aufgrund des die Zollschuld auslösenden Fehlverhaltens angenommen werden kann, dass die fragliche Ware in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist (EuGH 18. 1. 2024, Hauptzollamt Braunschweig, C-791/22). Die Vermutung der Entstehung der EUSt im Mitgliedstaat, in dem das die Zollschuld auslösende Fehlverhalten gesetzt wurde, kann jedoch widerlegt werden. Einerseits, wenn die Ware zum Verbrauch in einem anderen Mitgliedstaat bestimmt war (EuGH 8. 9. 2022, Hauptzollamt Hamburg, C-368/21; 10. 7. 2019, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung, C-26/18) und andererseits, wenn die Ware überhaupt nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union überführt wurde (EuGH 1. 6. 2017, Wallenborn Transports, C-571/15).
Eine in das Zollgebiet der Union verbrachte Ware unterliegt somit nur dann der EUSt, wenn tatsächlich eine Einfuhr iSd Art 2 Abs 1 lit d MwStSystRL 2006/112/EG stattgefunden hat (EuGH 2. 6. 2016, Eurogate Distribution und DHL Hub Leipzig, C-226/14 und C-228/14). Eine Einfuhr liegt nach der Rsp des EuGH bei geschmuggelter Ware nicht vor, wenn die Ware vor Verlassen der ersten im Zollgebiet der Union liegenden Zollstelle beschlagnahmt worden ist (EuGH 29. 4. 2010, Dansk Transport og Logistik, C-230/08). Da dies hier der Fall ist, sind die verfahrensgegenständlichen Silberbarren nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt. Der VwGH wies die Revision daher zurück.
Conclusio
Die Ausführungen des VwGH überzeugen und bestätigen die Rsp des EuGH. Gem Art 2 Abs 1 lit d iVm Art 30 MwStSystRL iVm Art 79 Abs 1 lit a und b UZK entstehen die EUSt und die Zollschuld im Zeitpunkt der Einfuhr einer Ware ins Unionsgebiet. Dabei muss die Ware in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sein und in Wettbewerb mit anderen Waren innerhalb der Union treten (Jatzke, Die Entstehung der Zollschuld und der Einfuhrumsatzsteuer bei zollrechtlichen Pflichtverstößen, UR 2020, 585 [589]). Die Vermutung, dass beide Abgaben gleichzeitig entstehen, kann – wie vom VwGH überzeugend festgehalten – bspw dadurch widerlegt werden, dass die Ware überhaupt nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union überführt wurde. Dieser Nachweis ist vom Steuerschuldner zu erbringen und kann beispielsweise durch eine Beschlagnahmung, durch den Verbrauch in einem anderen MS oder durch eine Wiederausfuhr nachgewiesen werden (Schoenfeld, Begriff der Einfuhr eines Gegenstandes – Weiterbeförderung in einen anderen Mitgliedstaat, ZfZ 2019, 231 [235]). In solchen Fällen entsteht nur die Zollschuld.