News

Einmal mehr zur Verfassungsmäßigkeit der Verlustverwertungsregeln für private Kapitaleinkünfte

Bearbeiter: Kilian Posch

EStG: §§ 18 Abs 6; 27a Abs 8 Z 4

Abstract

Das BFG hatte zu entscheiden, ob der Ausschluss des vertikalen Verlustausgleichs gem § 27 Abs 8 Z 4 EStG und die fehlende Möglichkeit des Verlustvortrags von negativen Einkünften aus Kapitalvermögen verfassungsrechtlich bedenklich ist. Der vorliegende Fall unterscheidet sich im Sachverhalt insofern von den vergangenen vor dem VfGH abgewiesenen Beschwerden (zB VfGH 2. 3. 2021, E 1722/2020), als dass die Verluste durch eine Notveräußerung von Aktien eines in einem internationalen Betrugsfall verwickelten DAX-Unternehmens bedingt waren. Das BFG sah jedoch die Rechtsfrage durch die VfGH-Judikatur hinreichend gelöst und wies die Beschwerde ab.

BFG 1. 2. 2024, RV/7100381/2023

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (Bf) verkaufte im Jahr 2019 als Optionsgeberin eine Put-Option für 1.000 Aktien des Dax-Unternehmens X-AG. Mit der Ausübung der Option durch die Optionsnehmerin im Dezember 2019 kaufte die Bf vertragsgemäß die Aktien zu einem Stückpreis von 120 €. Im Juni 2020 wurde jedoch eine international aufsehenerregende Bilanzfälschung seitens der X-AG bekannt und die Bf verkaufte die von ihr gehaltenen Aktien am 23. Juni um 16 € pro Stück, zwei Tage bevor die X-AG einen Insolvenzantrag stellte. Die Bf hatte somit im Veranlagungsjahr 2020 negative Einkünfte aus Kapitalvermögen zu verzeichnen und beantragte gem § 27a Abs 5 EStG die Regelbesteuerung. Zudem leitete sie aus dem objektiven Leistungsfähigkeitsprinzip ab, dass ihr der Verlustausgleich der negativen Kapitaleinkünfte mit den positiven Einkünften aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit zustehe. Darüber hinaus gehende Verluste sollen zudem in Folgejahre vorgetragen werden können. Nachdem die Behörde Verlustausgleich und -vortrag nicht zuließ, erhob die Bf Bescheidbeschwerde und wies insbesondere auf die verfassungsrechtlichen Bedenken hin, die sich ergäben, wenn ein außergewöhnlich hoher Substanzverlust, der von einem unvorhergesehenen Betrugsfall und einer darauffolgenden Notveräußerung der bis dorthin im Premiumsegment notierenden Aktie verursacht wurde, nicht verwertet werden kann. Dies verstoße wegen der unsachlichen Andersbehandlung von außerbetrieblichem und betrieblichem Kapitalvermögen gegen den Gleichheitssatz.

Entscheidung des BFG

Das BFG stellt zunächst fest, dass das aus dem Gleichheitssatz abgeleitete Leistungsfähigkeitsprinzip und objektive Nettoprinzip nur vom Gesetzgeber eingeschränkt werden kann, wenn es sachlich gerechtfertigt ist (VfGH 14. 12. 1978, G 82/78). Mit der Einführung der Schedulenbesteuerung für Kapitalvermögen 2011 hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, von der synthetischen Einkommensteuer abzuweichen und besondere Vorschriften für die Besteuerung von Kapitaleinkünften vorzusehen. Der vertikale Verlustausgleich nach § 2 Abs 2 EStG ist aber als Kennzeichen der synthetischen Einkommensteuer anzusehen. Der VfGH hat bereits festgestellt, dass es grundsätzlich nicht gleichheitswidrig ist, wenn Verluste aus dem besonderen Steuersatz unterliegenden Einkünften, die weder beim Gesamtbetrag der Einkünfte noch bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen sind, nicht allgemein ausgleichsfähig sind (VfGH 14. 6. 2017, E 1156/2016). Daran ändert auch die Ausübung der Regelbesteuerungsoption nichts, weil diese bloß die Anpassung der Besteuerung an den Tarifsteuersatz ermöglichen soll. Die Konformität der Regelung mit dem Gleichheitssatz wurde auch bereits ausdrücklich vom VfGH bestätigt (VfGH 2. 3. 2021, E 1722/2020).

Zum Verlustvortrag führt das BFG unter Verweis auf die VfGH-Judikatur aus, dass die Situation der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, in der die fehlende Möglichkeit der periodenübergreifenden Verlustverwertung verfassungswidrig war (VfGH 30. 9. 2010, G35/10), nicht auf Kapitaleinkünfte umgelegt werden kann. Grundsätzlich ist eine Einschränkung des Verlustvortrages auf die betrieblichen Einkünfte verfassungsrechtlich unbedenklich (VfGH 14. 12. 1978, G 82/78). Probleme bestehen erst dann, wenn hohe laufende Aufwendungen nicht berücksichtigt werden können und daher bei einer periodenübergreifenden Totalbetrachtung der maßgeblichen Einkunftsquelle ein Einkommen zu versteuern ist, das gar nicht erzielt wurde. Wenngleich die Besteuerung von außerbetrieblichen und betrieblichen Kapitaleinkünften durchaus ähnlich gestaltet ist, bestehen in der Besteuerung von realisierten Wertsteigerungen und Derivaten auch Unterschiede, die es dem Gesetzgeber gleichheitsrechtlich erlauben, innerhalb seines Gestaltungsspielraumes unterschiedliche Verlustverwertungsregime vorzusehen. § 27a Abs 8 EStG bietet daher in der Durchschnittsbetrachtung ein hinreichend angepasstes System der Verlustverwertung (VfGH 2. 3. 2021, E 1722/2020).

Da dem BFG gem Art 135 Abs 4 B-VG iVm Art 89 B-VG kein Pouvoir zur verfassungsrechtlichen Kontrolle von Gesetzen zukommt, müsste es bei verfassungsrechtlichen Bedenken einen Antrag auf Aufhebung von § 27a Abs 8 Z 4 und § 18 Abs 6 EStG beim VfGH gem Art 140 Abs 1 Z 1 lit a B-VG stellen. Dazu sah sich das BFG jedoch entsprechend den obigen Ausführungen nicht veranlasst, weshalb die Beschwerde als unbegründet abgewiesen wurde.

Conclusio

Wenngleich die Verlustverwertungsverbote bei negativen Kapitaleinkünften bereits oft kritisiert wurden (zB Novacek, Keine Ausräumung der inhaltlichen Verfassungsbedenken gegen die Vermögenszuwachssteuer durch VfGH und AbgÄG 2011, ÖStZ 2011, 463; Kofler, Verlustverwertung und Verfassungsrecht, in Kofler/Lang/Rust/Schuch/Spies/Staringer [Hrsg], Steuerpolitik und Verfassungsrecht [2023], 71), ist es angesichts der umfassenden VfGH-Judikatur nicht verwunderlich, dass das BFG keine der vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken aufgegriffen hat. Dennoch hat die Bf Erkenntnisbeschwerde beim VfGH eingebracht (anhängig zur Zahl E 1050/2024). Dabei könnte sie sich darauf stützen, dass die durch den Betrugsfall verursachten hohen Verluste außerhalb des typischen Zyklus von Gewinnen und Verlusten auf Kapitalmärkten liegen und daher bei einer periodenübergreifenden Totalbetrachtung der maßgeblichen Einkunftsquelle ein Einkommen zu versteuern ist, das gar nicht erzielt wurde. Es ist jedoch mehr als fraglich, ob der VfGH seine gefestigte Rechtsprechung, wonach § 27a Abs 8 EStG in der Durchschnittsbetrachtung ein hinreichend angepasstes System der Verlustberücksichtigung bietet (vgl VfGH 2. 3. 2021, E 1722/2020), aufgrund dieses Einzelfalls neu ausrichten wird. Bis zu einer Änderung der Gesetzeslage bleibt jedenfalls nur die Möglichkeit, Veräußerungsverluste aus Kapitalvermögen zu verwerten, indem verlustreiche Positionen nach Möglichkeit in den Jahren veräußert werden, in denen sie anderen mit besonderem Steuersatz zu besteuernden, positiven Einkünften aus Kapitalvermögen in gleicher Höhe gegenüberstehen (vgl Knesl/Knesl, Verlustverwertung bei Kapitalvermögen, BFGjournal 2024, 95 [100]). Der damit einhergehende Anreiz, Entscheidungen am Kapitalmarkt aus rein steuerlichen Gründen zu treffen, ist ein Lenkungseffekt der eingeschränkten Verlustverwertung, der wohl kaum vom Gesetzgeber erwünscht sein kann.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35422 vom 14.05.2024