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Erneute Vorlage zur Steuerschuld kraft Rechnungslegung bei Kleinbetragsrechnungen

Bearbeiter: Rainer Borns

MwStSyst-RL: Art 193, Art 203

UStG 1994: § 11

Abstract

Nachdem der EuGH bereits über ein Vorabentscheidungsverfahren – eingeleitet durch das BFG – entschieden hat, wendet sich der VwGH im fortgesetzten Verfahren erneut an den Gerichtshof. Der EuGH hat entschieden, dass es zu keiner Steuerschuld kraft Rechnungslegung kommt, wenn die Kunden ausschließlich Endverbraucher sind. Für den VwGH ist nun unklar, wie vorzugehen ist, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Teil der Kunden doch vorsteuerabzugsberechtigt ist.

VwGH 14. 12. 2023, Ro 2023/13/0014

Sachverhalt

Die P GmbH ist die Beschwerdeführerin (Bf) des Ausgangsverfahrens und betreibt einen Indoor-Spielplatz. Die Kunden der Bf sind fast ausschließlich Endverbraucher. Ihnen wird 20 % Umsatzsteuer für die Benutzung des Spielplatzes in Rechnung gestellt. Da die von der Bf erbrachten Dienstleistungen nicht dem Steuersatz von 20 %, sondern von 13 % unterliegen, hat die Bf die Mehrwertsteuererklärung berichtigt, um die zu viel bezahlte Mehrwertsteuer vom FA gutgeschrieben zu bekommen. Das FA verweigerte die Gutschrift mit der Begründung, dass die Bf nach nationalem Recht (§ 11 Abs 12 UStG idF BGBl I 2014/13) verpflichtet ist, die höhere Mehrwertsteuer zu entrichten. Erst wenn die Rechnungen berichtigt sind, kann eine Gutschrift erfolgen. Gegen diesen Bescheid wurde Beschwerde erhoben.

Da § 11 Abs 12 UStG auf Art 203 MwStSyst-RL fußt, wonach die Mehrwertsteuer von jeder Person geschuldet wird, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist, setzte das BFG das Verfahren aus und stellte dem EuGH die Frage, ob Art 203 MwStSyst-RL auch dann anwendbar ist, wenn ausschließlich an Endverbraucher geleistet wird. Sollte diese Frage bejaht werden, wird dem EuGH zudem die Frage vorgelegt, ob eine Berichtigung der Rechnung unterbleiben kann, wenn diese faktisch unmöglich ist.

Entscheidung des EuGH und BFG

Der EuGH führte aus, dass gem Art 193 MwStSyst-RL derjenige, der eine steuerpflichtige Leistung erbringt, die Mehrwertsteuer schuldet. Die Vorschrift erfasst Fälle, in denen der Steuerpflichtige eine Rechnung mit korrekten Mehrwertsteuerbetrag ausgestellt hat. Zudem kommt Art 203 MwStSyst-RL zur Anwendung, wenn die Steuerschuld höher ist als jene nach Art 193 MwStSyst-RL. Dies ist dann der Fall, wenn ein Teil der Mehrwertsteuer zu Unrecht in Rechnung gestellt wurde. Der EuGH hob hervor, dass Art 203 MwStSyst-RL dazu dient, eine Gefährdung des Steueraufkommens zu verhindern. Ohne die Steuerschuld kraft Rechnungslegung müsste der Steuerschuldner den gesetzlich vorgeschriebenen Steuersatz zahlen, auch wenn die Rechnung eine höhere Steuer ausweist. In solchen Fällen könnte jedoch der Leistungsempfänger die in Rechnung gestellte Steuer im Wege des Vorsteuerabzugs geltend machen, was zu einer Gefährdung des Steueraufkommens führen würde. Der Gerichtshof stellte weiters fest, dass in einem Fall, in dem der Steuerpflichtige ausschließlich an Endverbraucher liefert, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, Art 203 MwStSyst-RL nicht anwendbar ist, weil eine Gefährdung des Steueraufkommens mangels Vorsteuerabzugs des Leistungsempfängers (Endverbraucher) nicht möglich ist. In solchen Situationen schuldet der Steuerpflichtige den zu Unrecht in Rechnung gestellten Teil der Mehrwertsteuer daher laut EuGH nicht.

Infolge der EuGH-Entscheidung änderte das BFG die Umsatzsteuerbescheide ab. Das BFG führte allerdings aus, dass die Leistungen der P GmbH wohl nicht ausschließlich, sondern nur fast ausschließlich an Endverbraucher erbracht wurden. Das Gericht schätzte den Teil der Kunden, die ggf doch einen Vorsteuerabzug geltend machen können, auf 0,5 %. Daher besteht laut BFG im Ausmaß von 99,5 % keine Gefährdung des Steueraufkommens, weshalb es bei 99,5 % der ausgestellten Rechnungen zu keiner Steuerschuld kraft Rechnungslegung kommt. Gegen dieses Erkenntnis erhob das FA mit der Begründung Revision, dass diese Entscheidung von der Rsp des EuGH abweiche. Der Gerichtshof habe nämlich ausgeführt, dass Art 203 MwStSyst-RL nur dann nicht zur Anwendung komme, wenn ausschließlich – und nicht teilweise – an Endverbraucher geleistet werde (siehe EuGH 8. 12. 2022, C-378/21, P-GmbH, Rn 18).

Vorlage durch VwGH

Wie auch das FA äußert auch der VwGH Bedenken darüber, ob die Entscheidung des EuGH auf den vorliegenden Fall tatsächlich Anwendung findet. Das österreichische Höchstgericht führt aus, dass aufgrund der Tatsache, dass eben nicht ausschließlich Endverbraucher Kunden der Bf waren, eine Gefährdung des Steueraufkommens ohne Rechnungskorrektur nicht ausgeschlossen werden kann. Daraus könnte – so der VwGH – abgeleitet werden, dass die Bf den in sämtlichen Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrag doch zur Gänze schuldet. Auf Basis der Ausführungen der GA Kokott (GA Kokott 8. 9. 2022, C-378/21, P-GmbH, Rn 38 f) könnte allerdings auch abgeleitet werden, dass eine Gefährdung des Steueraufkommens für jede Rechnung gesondert zu prüfen ist und daher nur für den Teil besteht, der an Steuerpflichtige ergangen ist. In der ersten Vorlagefrage beschäftigt sich der VwGH daher damit, ob Art 203 MwStSyst-RL anwendbar ist, wenn die in der konkreten Rechnung ausgewiesene Leistung an einen Nichtsteuerpflichtigen erbracht wurde, auch wenn dieser Steuerpflichtige (P GmbH) weitere gleichartige Leistungen an andere Steuerpflichtige erbracht hat.

Sollte auf die einzelne Rechnung abgestellt werden und daher Art 203 MwStSyst-RL auf einen Teil der ausgestellten Rechnungen nicht anwendbar sein, ist laut VwGH unklar, wie der Begriff „Endverbraucher, der nicht zum Vorsteuerabzug berechtig ist“, zu verstehen ist. Die zweite Vorlagefrage beschäftigt sich daher damit, ob unter „Endverbraucher“ nur ein Nichtsteuerpflichtiger zu verstehen ist oder auch ein Steuerpflichtiger, der die konkrete Leistung nur für private Zwecke in Anspruch nimmt und deshalb nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

Im letzten Teil der Vorlage wendet sich der VwGH mit der Frage an den EuGH, wie die Rechnungen faktisch ermittelt werden können, die an Steuerpflichtige ausgestellt wurden, wenn ausschließlich Kleinbetragsrechnungen (Art 238 MwStSyst-RL) ausgestellt wurden, aus denen der Leistungsempfänger nicht ersichtlich ist.

Conclusio

Im Zuge der Entscheidung des EuGH (EuGH 8. 12. 2022, C-378/21, P-GmbH) wurde vom BFG die Notwendigkeit erachtet, § 11 Abs 12 UStG idF BGBl I 2014/13 teleologisch zu reduzieren, um einen unionsrechtskonformen Zustand herzustellen (BFG 27. 1. 2023, RV/7100930/2021). Auf Basis dessen entschied der Gesetzgeber im Rahmen des AbgÄG 2023 § 11 Abs 12 UStG zu ändern und die Steuerschuld kraft Rechnungslegung auf jene Fälle zu beschränken, in denen es zu einer Gefährdung des Steueraufkommens kommt. Eine derartige Gefährdung liegt laut § 11 Abs 12 TS 2 UStG idF AbgÄG 2023 nicht vor, wenn ausschließlich an Endverbraucher geliefert wird. Bereits vor der erneuten Vorlage durch den EuGH wurden in der Literatur (Borns/Mittendorfer, Umsatzsteuerrechtliche Neuerungen durch das AbgÄG 2023, ecolex 2023, 730) und in Stellungnahmen zum AbgÄG 2023 (Stellungnahme der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer vom 12. 5. 2023, 36/SN-264/ME) Bedenken geäußert, ob durch die Neufassung tatsächlich ein unionsrechtskonformer Zustand hergestellt werden kann. Die Entscheidung des EuGH zur erneuten Vorlage wird Auskunft darüber geben, ob es tatsächlich notwendig ist, dass die Leistungen ausschließlich an Endverbraucher erbracht werden, damit keine Steuerschuld kraft Rechnungslegung entsteht, oder doch auch eine aliquote Steuerschuld kraft Rechnungslegung – wie vom BFG angenommen – möglich ist. Je nach Entscheidung des EuGH zu dieser Vorlage könnte daher erneut eine Änderung des § 11 Abs 12 UStG geboten sein.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35054 vom 09.02.2024