Dieser Inhalt ist frei verfügbar. Mit einem Abonnement der RdW erhalten Sie die Zeitschrift in Print und vollen digitalen Zugriff im Web, am Smartphone und Tablet. Mehr erfahren…
Testen Sie
ALLE 13 Zeitschriftenportale
30 Tage lang kostenlos.
Der Zugriff endet nach 30 Tagen automatisch.
Die Antragstellerin (Kl) ist eine Gesellschaft (Limited) mit Sitz in der Russischen Förderation, die an einer börsennotierten Europäische Aktiengesellschaft (SE) mit Sitz in Österreich als Aktionärin mit Sperrminorität beteiligt ist. Unter Bezugnahme auf die EU-Sanktionsverordnung 2014 idF der DurchführungsVO (EU) 581/2022 wurde ihr die Ausübung ihrer Stimmrechte verweigert sowie ua beschlossen, die Ausschüttung im Zuge einer ordentlichen Kapitalherabsetzung (mit Wahlmöglichkeit für die Aktionäre, diese Ausschüttung in Form neuer Aktien zu erhalten) an sie einzufrieren, wodurch hier im Ergebnis ihr Anteil unter die Sperrminorität sinken kann. IZm der Anfechtung dieses Beschlusses nach dem AktG stellte die Gesellschaft den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Sicherung ihres „Anspruchs auf Aufschiebung der Ausführung“ dieser Beschlüsse. Die dafür erforderlichen konkreten Tatsachen, die den drohenden Eintritt eines unwiederbringlichen (nicht wiedergutzumachenden) Schadens als wahrscheinlich erscheinen lassen, konnten von der Antragstellerin jedoch nicht behauptet/bescheinigt werden:
So fehlt es zunächst an einem Anhaltspunkt dafür, eine Ausschüttung im Zuge einer ordentlichen Kapitalherabsetzung gem §§ 175 ff AktG als Schaden der Gesellschaft zu qualifizieren.
Mit dem „dauerhaften Wertverlust“ ihres (Gesamt-)Aktienpakets (Verlust der sog „Kontrollprämie“) spricht die Antragstellerin an, dass der Wert eines Aktienpakets, das Sperrminoriät vermittelt, insgesamt mehr wert ist als die Summe des Werts der einzelnen Aktien. Diese Wertdifferenz stellt sich aber im Fall der Rückgängigmachung wiederum als bloß zeitweiliger Schaden dar, der in Geld ausgleichbar und daher nicht unwiederbringlich ist. Werden die Maßnahmen (ex nunc) rückgeführt, verfügt die Antragstellerin wiederum über die Sperrminorität und damit wertmäßig auch erneut über die „Kontrollprämie“.
Gleiches gilt für den behaupteten dauerhaften Verlust einer Erwerbsmöglichkeit (der darin bestehen soll, mit den ausgeschütteten und eingefrorenen Barmitteln nicht an einer allfälligen Wertsteigerung der Gesellschaftsanteile zu partizipieren). Im Fall eines klagestattgebenden Urteils repräsentiert der (wiederhergestellte) Aktienanteil wiederum den Anteil am Wert des Unternehmens im vorherigen Ausmaß und der Antragstellerin kommt eine bis zum Ende der Sanktionen eintretende Wertsteigerung der Aktien zu Gute, nimmt sie doch an der (von der Unternehmensentwicklung abhängigen) Wertsteigerung der Aktien wiederum im bisherigen Umfang teil.
Ein drohender unwiederbringlicher Schaden lässt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Antragstellerin zu bloß objektiv abstrakt möglichen und (unkonkret gebliebenen) Folgebeschlüssen (etwa betr Strukturmaßnahmen) ableiten, die sie bis zur Nichtigerklärung der angefochtenen Beschlüsse mangels Sperrminorität nicht mehr verhindern könnte. Auch iZm dem behaupteten „Entzug von Herrschaftsrechten“ als Aktionärin, der „per se nicht mit Geld ausgeglichen werden könne“, ist ein drohender unwiederbringlicher Schaden erforderlich, der über den bloßen Rechtseingriff hinausgeht.
OGH 20. 12. 2023, 6 Ob 215/23w
Entscheidung
Kein Schaden der Gesellschaft
Der drohende unwiederbringliche Schaden der Gesellschaft soll darin liegen, dass der Gesellschaft der Betrag von rund 260.000 € entzogen werde, der an die Antragstellerin als Gesellschafterin auf ein gesperrtes Konto auszuschütten ist (weil vom „asset freeze“ betroffen). Diesbezüglich fehlt es aber an einem Anhaltspunkt dafür, eine Ausschüttung im Zuge einer ordentlichen Kapitalherabsetzung gem §§ 175 ff AktG als Schaden zu qualifizieren. Nicht jeder Vermögensabfluss aus der Gesellschaft ist auch ihr Schaden, wäre doch jede Auszahlung einer Dividende nach diesem Verständnis ein Schaden der Gesellschaft.
Die Antragstellerin spricht demgemäß schon im Antrag nur mehr von einem „offensichtlichen und erheblichen Nachteil“ und legt insb nicht dar, aus welchem Grund ein solcher „Nachteil“ im Fall der Nichtigerklärung der angefochtenen Beschlüsse nicht durch Rückzahlung oder Schadenersatz ausgeglichen werden könnte.
Mangels nachvollziehbar behauptetem drohenden unwiederbringlichen Schaden der Gesellschaft ist eine analoge Anwendung von § 42 Abs 4 GmbHG im Aktienrecht nicht weiter zu prüfen.
Kein dauerhafter Schaden der Aktionärin
Die Antragstellerin erkennt selbst, dass ihr die Sperrminorität bei Erfolg der Klage wieder zukommen wird. Die Erlassung der eV rechtfertigenden Schäden sollen in einem vermeintlich dauerhaften Verlust des Werts ihrer Aktien sowie des Wertzuwachses, va aber darin liegen, dass sie bis zur Nichtigerklärung der angefochtenen Beschlüsse mögliche Folgebeschlüsse, die auf den (umgesetzten) Kapitalmaßnahmen aufbauen, mangels Sperrminorität nicht mehr verhindern könnte. Sie steht auf dem Standpunkt, es könne „für den Verlust der Sperrminorität bis zur Rechtskraft der Entscheidung“ kein adäquater Geldersatz geleistet werden.
Durch die Umsetzung der angefochtenen Kapitalmaßnahmen wird es zu nachstehenden (insoweit als wahrscheinlich bescheinigten) Folgen kommen: Die Anzahl der Aktien der Antragstellerin bleibt zwar gleich, die Antragstellerin kann aber an der Ausgabe von neuen Aktien und an der Kapitalerhöhung durch Sacheinlage aufgrund der Sanktionierung (Art 1 lit f und g iVm Art 2 Abs 1 EU-Sanktionsverordnung 2014) nicht teilnehmen. Damit ist eine Verwässerung ihres Anteils am Grundkapital und im konkreten Fall auch der Verlust der Sperrminorität verbunden.
Unter Verweis auf die überwiegende Lehre (vgl Eckert/Schopper in Artmann/Karollus, AktG III6 § 198 Rz 12 [Stand 1. 4. 2019, rdb.at]; Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3 § 198 Rz 13 [Stand 1. 6. 2021, rdb.at] je mwN) geht die Antragstellerin allerdings selbst davon aus , dass die aus den bekämpften Beschlüssen resultierenden Kapitalmaßnahmen rückführbar sind (zur Rückführung vgl Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3 § 156 Rz 29 ff; Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG III6 § 156 Rz 15 ff [Stand 1. 4. 2019, rdb.at]). Nach Obsiegen im Hauptverfahren und Rückführung der Kapitalmaßnahmen würde die Antragstellerin also (wiederum) über einen Anteil von über 25 % (27,78 %) und damit über die Sperrminorität verfügen.
Neben den Argumenten betr „dauerhaften Wertverlust“ des (Gesamt-)Aktienpakets und Verlust einer Erwerbsmöglichkeit (siehe Leitsatz) liegt der Schwerpunkt des Rechtsmittels darauf, ob ein drohender unwiederbringlicher Schaden darin liegt, dass die Antragstellerin bis zur Nichtigerklärung der angefochtenen Beschlüsse Folgebeschlüsse, die sie bis zur Nichtigerklärung der angefochtenen Beschlüsse mangels Sperrminorität nicht mehr verhindern könnte.
Die Antragstellerin trug dazu vor, dass solche Folgebeschlüsse, wie zB inzwischen vorgenommene Änderungen der Satzung und/oder weitere Kapital- und/oder Umgründungsmaßnahmen, stets wirksam wären. Deren erfolgreiche Anfechtung durch die Antragstellerin würde daran scheitern, dass sie die Relevanz der Mängel solcher Folgebeschlüsse mangels Sperrminorität nicht mehr aufzeigen könnte. Sie könnte eine Beschlussfassung über Strukturmaßnahmen wie insb Verschmelzungen, Umgründungen und Spaltungen nach Durchführung der angefochtenen Kapitalmaßnahmen nicht mehr verhindern, zumal der Eintragung von solchen Umstrukturierungsmaßnahmen und Spaltungen im Firmenbuch absoluter Bestandsschutz zukomme.
Die Antragstellerin zeigt mit ihrem Verweis auf grundsätzlich mögliche, aber nicht näher umschriebene Satzungsänderungen nicht auf, inwieweit ihr durch die von ihr bloß abstrakt als möglich angesprochenen Maßnahmen überhaupt und gegebenenfalls ein nicht in Geld ausgleichbarer Schaden entstehen sollte. Auch mit der Aufzählung der theoretisch möglichen Strukturmaßnahmen ohne konkret dargelegte Veränderungen lassen sich die Auswirkungen und damit die „Schädlichkeit“ allfälliger Maßnahmen für die Antragstellerin nicht ermessen. Ganz abgesehen davon hat die Antragstellerin keine Tatsachen vorgetragen, die es wahrscheinlich machen, dass es nach Durchführung der bekämpften Beschlüsse in weiterer Folge konkret absehbar (und drohend) überhaupt zu (sie schädigenden) Strukturmaßnahmen kommen wird.
Weiters vertritt die Antragstellerin den Standpunkt, dass der mit den Kapitalmaßnahmen verbundene „Entzug von Herrschaftsrechten“ per se nicht mit Geld ausgeglichen werden könne.
Der Antragstellerin werden mit Durchführung der Beschlüsse aber keine Aktien entzogen. Sie wird auch danach über dieselbe Anzahl an Aktien verfügen, über die ihr das (durch die Sanktionsmaßnahmen eingeschränkte) Herrschaftsrecht zukommt und die ihr wie bisher die Stellung als Aktionärin vermitteln. Allerdings ist die Stellung einer Aktionärin – vergleicht man sie mit der einer Gesellschafterin einer GmbH – mangels Weisungsbefugnis stark auf die Vermögenskomponente und viel weniger auf die Unternehmenslenkung fokussiert (vgl zur Grundfunktion der Aktionäre als zahlreiche haftungsmäßig auf die Einlage beschränkte Geldgeber ohne direkten Einfluss auf die Geschäftsführung 6 Ob 178/22b [ErwGr II.3.2.]). Der von ihr relevierte Schaden, den sie „Entzug der Herrschaftsrechte“ tituliert, kann sich nur auf den zuvor schon erörterten (zwischenzeitigen) „Verlust der Sperrminoriät“ beziehen.
Folgte man ihrer Ansicht, es könnte ein Eingriff in Herrschaftsrechte per se nicht mit Geld ausgeglichen werden, wäre bei jedem „bloßen Eingriff“ in mit Aktien verbundene Herrschaftsrechte (also etwa bei jedem Stimmrechts- oder Bezugsrechtsausschluss) über Antrag des anfechtenden Aktionärs stets eine einstweilige Verfügung wegen des Eingriffs in das Herrschaftsrecht als solches zu erlassen und die Ausführung von Beschlüssen vorläufig zu unterbinden. Die Gesellschaft wäre in der Umsetzung der Beschlüsse regelmäßig blockiert; ihre Beschlüsse blieben wirkungslos. Nach dem gesetzlich vorgegebenen Beschlussmängelrecht sollen aber mangelhafte und später für nichtig erklärte Beschlüsse bis zur rk Nichtigerklärung wirksam bleiben. Diese im Gesetz verankerte (vorläufige) Wirksamkeit als Grundregel würde bei Sichtweise der Antragstellerin unterlaufen und faktisch außer Kraft gesetzt.
Soweit daher mit dem Eingriff in (Herrschafts-)Rechte der Antragstellerin als Aktionärin nicht gleichzeitig ein drohender unwiederbringlicher Schaden verbunden ist, der über den bloßen Rechtseingriff hinausgeht, kann der Provisorialantrag auch auf diese Argumentation gestützt keinen Erfolg haben.
Interessenabwägung
Auf die weiteren aufgeworfenen Fragen der Passivlegitimation der Vorstandsmitglieder muss mangels Bescheinigung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens iSd § 381 Z 2 EO ebenso wenig eingegangen werden, wie darauf, ob dem Interesse einer gefährdeten Partei an der Erlassung einer eV nicht die drohenden unwiederbringlichen Nachteile für den Gegner bei deren Erlassung gegenüberzustellen und abzuwägen wären (vgl König/Weber, Einstweilige Verfügungen6 Rz 2.54, 3.88 ff).
Dass die von den Vorinstanzen zugunsten der Gesellschaft vorgenommene Abwägung der Folgen des zwischenzeitigen Verlusts der Sperrminorität gegen die Nachteile, die diese Gesellschaft bei Erlassung der eV erleiden würde, unrichtig wäre, vermag die Antragstellerin ohnehin nicht darzulegen. Der Geschäftsgang der Gesellschaft wäre wegen der Erschwernisse bei der Finanzierung und in Vergabeverfahren sowie der Bewertung von Aktien durch Analysten mit Rechtsunsicherheit behaftet (zumal die sanktionierte Person dann ihr indirekter wirtschaftlicher Eigentümer iSd § 2 Z 1 lit a sublit bb WiEReG bliebe) und dadurch erheblich erschwert.