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Mindestbesteuerungs-RL: Art 17
Abstract
Seit 23. 12. 2022 ist in der EU die RL 2022/2523 zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große inländische Gruppen in der Union (MinBestRL)in Kraft, die auf den GloBE-Mustervorschriften der OECD zu Pillar II basiert. Fugro NV, eine oberste Muttergesellschaft mit Sitz in den Niederlanden, hat gegen Art 17 der MinBestRL eine Individualnichtigkeitsklage eingebracht und darin begehrt, die Bestimmung wegen Verletzung des Primärrechts aufzuheben. Das Europäische Gericht (EuG) hat jedoch entschieden, dass die Klägerin trotz des kleinen Kreises an von Art 17 MinBestRL betroffenen Unternehmen nicht klagebefugt ist, da ein faktisch begrenzter Adressatenkreis einer generellen Norm noch nicht zur individuellen Betroffenheit iSd Art 263 Abs 4 AEUV führt. Die Entscheidung hält somit die für das europäische Steuerrecht noch nicht genau erprobte, aus Sicht des Individualrechtsschutzes strenge Plaumann-Formel aufrecht und könnte somit richtungsweisend für weitere Klagen im Bereich des Steuerrechts sein, wo einige Unionsrechtsakte – wie etwa die MinBestRL – nur einen sehr kleinen Kreis von betroffenen Steuerpflichtigen vorsehen (siehe dazu Posch, Die Nichtigkeitsklage in Steuersachen vor den Gerichten der Europäischen Union, AVR 2023, 209).
EuG 15. 12. 2023, T‑143/23, Fugro
Sachverhalt
Fugro NV ist nach Art 3 Z 14 MinBestRL eine oberste Muttergesellschaft einer multinationalen Unternehmensgruppe, die behauptet, aufgrund ihres weltweiten Umsatzerlöses und einem Effektivsteuersatz von unter 15 % in den persönlichen Anwendungsbereich der MinBestRL zu fallen. Die Gesellschaft ist ua im Bereich des internationalen Schiffsmanagements tätig, wofür sie in den Niederlanden nach einer beihilferechtlich genehmigten Tonnagesteuerregelung – eine Pauschalierung der Gewinnermittlung, die speziell für den internationalen Schiffsverkehr und damit verbundene Tätigkeiten besteht – besteuert wird. Nach Art 17 Abs 2 MinBestRL sind in Abs 1 leg cit genauer definierte Erträge aus dem internationalen Seeverkehr“ sowie „anerkannte Nebenerträge aus dem internationalen Seeverkehr von der Berechnung der Gewinne oder Verluste einer Geschäftseinheit ausgenommen, sofern das strategische oder wirtschaftliche Management aller betroffenen Seeschiffe tatsächlich von dem Steuerhoheitsgebiet aus erfolgt, in dem die Geschäftseinheit gelegen ist. Fugro NV bringt nun in ihrer individuellen Nichtigkeitsklage gegen Art 17 MinBestRL im Wesentlichen vor, dass die Bestimmung als Ausnahme für den internationalen Schiffsverkehr zu eng gefasst sei, da die Erträge aus der von ihr ausgeführten Schiffsverkehrstätigkeit nicht unter einen Tatbestand der ausgenommenen Erträge fallen. Zudem sei nicht rechtens, dass das Management tatsächlich von dem Steuerhoheitsgebiet aus erfolgen muss, in dem die Geschäftseinheit gelegen ist. Die Bestimmung verstoße somit ua gegen den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung vergleichbarer Unternehmen und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Wirkungen der RL über das hinausgingen, was zur Erreichung ihres Ziels erforderlich sei. Zur Klagebefugnis führt die Klägerin aus, dass ihre Erträge aus dem Schiffsmanagement nicht unter Art 17 MinBestRL fallen, sie somit unmittelbar und individuell betroffen sei und eine Unzulässigkeit der Klage gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Unionsrecht nach Art 47 GRC verstoße. Weiters gehöre sie zu einem kleinen und geschlossenen Kreis an Rechtssubjekten, die unter die Tonnagesteuerregelung in den Niederlanden fallen, was zur individuellen Betroffenheit von der angefochtenen Norm führe.
Entscheidung des EuG
Nach Art 263 Abs 4 AEUV ist jede natürliche oder juristische Person dazu befugt, gegen an sie gerichtete Handlungen, gegen sie unmittelbar und individuell betreffende Handlungen sowie gegen sie unmittelbar betreffende Rechtsakte mit Verordnungscharakter ohne Durchführungsmaßnahmen Nichtigkeitsklage zu erheben. Da die angefochtene Norm sich als Teil einer RL an die Mitgliedstaaten und nicht an die Klägerin richtet, ist letztere nicht nach Art 263 Abs 4 1. Fall AEUV klageberechtigt. Auch der 3. Fall leg cit kommt nicht in Frage, da die MinBestRL als legislativer Akt nicht als Rechtsakt mit Verordnungscharakter zu qualifizieren ist. Somit kommt der Klägerin die Klagebefugnis nur bei unmittelbarer und individueller Betroffenheit zu, wobei zuerst das Vorliegen der individuellen Betroffenheit zu prüfen ist. Nach gefestigter Rsp des EuGH ist eine Person dann von einer nicht an sie gerichteten Rechtshandlung individuell betroffen, wenn sie aufgrund bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und in ähnlicher Weise individualisiert wird wie ein Adressat (vgl etwa EuGH 15. 7. 1963, C-25/62, Plaumann). Die Bestimmbarkeit der Zahl oder gar der Identität der Betroffenen führt noch nicht zur individuellen Betroffenheit, wenn die Anwendung der Maßnahme aufgrund eines durch den fraglichen Rechtsakt bestimmten objektiven Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art erfolgt (vgl zB EuGH 13. 3. 2018, C-384/16 P, European Union Copper Task Force, Rz 94). Einzelne Personen können aber dennoch von generellen Rechtsnormen individuell betroffen sein, wenn sie zu einem beschränkten Kreis von Wirtschaftsteilnehmern gehören und die Maßnahme eine Gruppe von Personen betrifft, deren Identität zum Zeitpunkt des Erlasses anhand von Kriterien, die den Mitgliedern der Gruppe eigen waren, feststand oder feststellbar war. Dies ist insb dann der Fall, wenn in Rechte eingegriffen wird, die der Einzelne vor Erlass der Maßnahme erworben hatte (vgl zB EuGH 27. 2. 2014, C-132/12 P, Stichting WoonpuntRz 59). Art 17 MinBestRL ist jedoch eine Regelung, die nach objektiven Kriterien zur Anwendung kommt – unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat eine Gesellschaft ansässig ist und ob sie nach einer Tonnagesteuerreglung zu besteuern ist. Weiters ist die niederländische Tonnagebesteuerung keine Regelung, die als erworbenes Recht nur exklusiven Mitgliedern einer Gruppe zustünden: Vielmehr können weitere Wirtschaftsteilnehmer eine solche Regelung beantragen, weshalb die Gruppe an betroffenen Personen zum Zeitpunkt des Erlasses der MinBestRL nicht feststellbar iSd oben zitierten Rsp war. In Bezug auf das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf stellt das EuG in Übereinstimmung mit älterer Rsp fest, dass Art 263 Abs 4 AEUV zwar im Lichte der Grundrechte auszulegen ist, Art 47 GRC aber nicht zu einer Änderung der dort festgelegten Voraussetzungen führen kann (siehe EuGH 3. 10. 2013, C‑583/11 P, Inuit Tapiriit Kanatami, Rz 97 f). Die Klägerin ist daher im vorliegenden Fall nicht von Art 17 MinBestRL individuell betroffen, weshalb die Klage zurückzuweisen war.
Conclusio
Die Unzulässigkeit der Nichtigkeitsklage gegen Art 17 MinBestRL war bereits zu erwarten gewesen: Die sog Plaumann-Formel, wonach Personen von der Rechtshandlung wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften ähnlich eines Adressaten individualisiert werden müssen, um als individuell betroffen zu gelten, setzt einen äußerst strengen Maßstab an, dem im vorliegenden Fall wegen des objektiv bestimmten und nicht von vornherein feststellbaren Betroffenenkreises des Art 17 MinBestRL nicht entsprochen wird. Dennoch wäre es zumindest denkbar gewesen, dass das EuG die Klägerin als eine Hauptbetroffene der Regelung anerkennt und daher die Klage zulässt, wie dies im Bereich des Abgabenrechts bereits bei der Antidumping-VO der Fall gewesen ist (vgl zB EuGH 20. 3. 1985, C-264/82, Timex).
Art 17 MinBestRL, der in Ö durch § 34 MinBestG umgesetzt wurde, oder andere Bestimmungen der MinBestRL, sind wegen der Einbringungsfrist von zwei Monaten ab Bekanntgabe der RL gem Art 263 Abs 6 AEUV nicht mehr mit der Nichtigkeitsklage, dem primären Rechtsschutzinstrument der Union, anfechtbar, sondern können nur noch im Zuge der mitgliedstaatlichen Anwendung über Vorabentscheidungsverfahren einer unionsgerichtlichen Kontrolle unterzogen werden. Diese Verfahren nach Art 267 AEUV bringen jedoch – schon allein wegen der fehlenden Möglichkeit, ein solches Verfahren zu erzwingen – aus Sicht des Individualrechtsschutzes erhebliche Nachteile im Vergleich zur Nichtigkeitsklage (im Detail siehe Posch, AVR 2023, 209 [209 ff]). Die restriktive Auslegung der Klagevoraussetzungen in Art 263 Abs 4 AEUV steht in Anbetracht der Rechtsschutz-Schwächen des Vorabentscheidungsverfahrens unter Bezug auf Art 47 GRC immer wieder in der Kritik, gerade da die Plaumann-Formel Hürden zur Klageberechtigung auferlegt, die sich entgegen der Auffassung des EuGH nicht zwingend aus dem Gesetz ergeben (vgl unter vielen SA GA Jacobs 21. 3. 2002, C-50/00 P, UPA).
Die strikten Voraussetzungen der individuellen Betroffenheit sind wohl auch der Grund, warum die Nichtigkeitsklage im Bereich des europäischen Steuerrechts bisher eine untergeordnete Rolle gespielt hat. In den letzten Jahren mehren sich jedoch Unionsrechtsakte, die – etwa aufgrund äußerst hoher Umsatz- und Ertragsschwellen – nur einen kleinen Kreis an Steuerpflichtigen betreffen: So sind zurzeit auch zwei Nichtigkeitsklagen gegen die EU-Notverordnung anhängig, die den Solidaritätsbeitrag (oft „Übergewinnsteuer“ genannt) für Öl-, Kohle- und Gasunternehmen eingeführt hat (siehe EuG, T-802/22, Exxon-Mobil; EuG, T-803/22, TZ). Es bleibt daher abzuwarten, ob die Nichtigkeitsklage durch diese und weitere Klagen in Zukunft eine höhere Bedeutung für das Steuerrecht erlangt.