Dieser Inhalt ist frei verfügbar. Mit einem Abonnement der RdW erhalten Sie die Zeitschrift in Print und vollen digitalen Zugriff im Web, am Smartphone und Tablet. Mehr erfahren…
Testen Sie
ALLE 13 Zeitschriftenportale
30 Tage lang kostenlos.
Der Zugriff endet nach 30 Tagen automatisch.
VO (EG) 261/2004: Art 5
Nach Art 5 Abs 3 VO (EG) 261/2004 (FluggastrechteVO) ist ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gem Art 7 FluggastrechteVO zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
Streikmaßnahmen wie im Ausgangsfall fallen nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ iSd Art 5 Abs 3 FluggastrechteVO: Der Streik war von der Gewerkschaft der Flugbegleiter:innen im Rahmen von Tarifverhandlungen mit der Muttergesellschaft des ausführenden Luftfahrtunternehmens organisiert worden. Um den Druck auf die Muttergesellschaft zu erhöhen, wurde der Streik auf die Belegschaft mehrerer Tochterunternehmen ausgeweitet, ua auf das ausführenden Luftfahrtunternehmen. Anfangs war der Streik für einen bestimmten Tag bis 11:00 Uhr vorgesehen, wurde aber am selben Tag kurzfristig bis Mitternacht verlängert. Das Luftfahrtunternehmen musste daher einen Teil der vorgesehenen Flüge annulieren.
Da der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ iSd Art 5 Abs 3 FluggastrechteVO eng auszulegen ist und nur Vorkommnisse umfasst, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind, hat der EuGH Arbeitskampfmaßnahmen der Belegschaft eines Luftfahrtunternehmens bereits als “internes“ Ereignis und Teil der normalen Geschäftsführung dieses Unternehmens beurteilt und auch bereits klargestellt, dass solche Maßnahmen nicht als ein Ereignis anzusehen ist, das vom Luftfahrtunternehmen in keiner Weise tatsächlich beherrschbar ist (vgl EuGH 23. 3. 2021, C-28/20, Airhelp, RdW 2021/254). Da sich zudem sowohl die Sozialpolitik innerhalb einer Muttergesellschaft als auch die von ihr bestimmte Konzernpolitik auf die Sozialpolitik der Tochtergesellschaften dieses Konzerns auswirken können, kann ein Streik der Belegschaft der Tochtergesellschaft aus Solidarität mit einem Streik der Belegschaft der Muttergesellschaft nicht als Ereignis angesehen werden, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit dieses Unternehmens ist. Es erscheint weder ungewöhnlich noch unvorhersehbar, dass sich Arbeitskonflikte im Zuge von Tarifverhandlungen auf verschiedene Teile einer Unternehmensgruppe ausweiten. Dass ein Streik kein gänzlich unbeherrschbares Ereignis ist, gilt auch, wenn der Streik aus Solidarität mit der streikenden Belegschaft der Muttergesellschaft erfolgt.
Auch die Tatsache, dass ein Streik möglicherweise länger als laut Streikankündigung dauert, ist selbst dann nicht entscheidend, wenn inzwischen mit der Muttergesellschaft eine Einigung erzielt wurde und der Streik nach nationalem Rechtdaher als rechtswidrig anzusehen ist. Hinsichtlich des Anspruchs von Fluggästen auf Ausgleichszahlung darf nämlich nicht auf die Rechtmäßigkeit des Streiks nach nationalem Recht abgestellt werden, um nicht die Ziele der FluggastrechteVO zu beeinträchtigen, ein hohes Schutzniveau für die Fluggäste und harmonisierte Bedingungen für die Geschäftstätigkeit der Luftfahrtunternehmen sicherzustellen (vgl die Erwägungsgründe 1 und 4 der VO).
EuGH 6. 10. 2021, C-613/20, Eurowings
Zu einem Vorabentscheidungsersuchen des LG Salzburg.