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EuGH: Beschränkung des Rechts auf Umsatzsteuerminderung bei Forderungsausfall aufgrund von Insolvenz

Bearbeiter: Markus Mittendorfer

MwStSyst-RL: Art 90, Art 273

Abstract

Eine nationale Regelung verstößt lt EuGH dann gegen Art 90 MwStSyst-RL, wenn die Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage davon abhängig gemacht wird, dass der Schuldner und der Gläubiger am Tag der Leistungserbringung und am Tag vor der Abgabe der berichtigten Steuererklärung als mehrwertsteuerpflichtig registriert sind und sich der Schuldner nicht in einem Insolvenzverfahren oder in Liquidation befindet.

EuGH 15. 10. 2020, C-335/19,

Sachverhalt

Die polnische Gesellschaft E übte für fremde mehrwertsteuerpflichtige Unternehmen u.a. Steuerberatungstätigkeiten aus. Für die erbrachte Steuerberatungsleistung, die in Polen steuerbar war, stellte E einem ihrer Kunden eine Rechnung inkl ausgewiesener Mehrwertsteuer. Zu diesem Zeitpunkt befand sich dieser weder in einem Insolvenzverfahren noch in Liquidation und war als aktiver Mehrwertsteuerpflichtiger registriert. Nach Ablauf der Zahlungsfrist wurde er in Liquidation gesetzt, blieb aber weiterhin als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert. Die Rechnung wurde in weiterer Folge weder bezahlt noch abgetreten, weshalb E die Verminderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage wegen Nichtzahlung der Forderung beantragte. Da sich der Schuldner allerdings in Liquidation befand, wurde die Berichtigung auf Basis des polnischen Mehrwertsteuergesetzes von den Behörden verweigert. Das polnische Oberste Verwaltungsgericht ersuchte daraufhin den EuGH um eine Vorabentscheidung dahingehend, ob die Möglichkeit zur Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage bei Nichtzahlung der vereinbarten Gegenleistung bei Insolvenz/Liquidation des Schuldners und fehlender steuerlicher Registrierung des Schuldners oder des Gläubigers eingeschränkt werden kann.

Entscheidung des EuGH

In seinem Urteil in der Rs E hatte sich der EuGH mit der Frage auseinanderzusetzen, wie der nationale Gesetzgeber eine potenziell auftretende Gefährdung des Mehrwertsteueraufkommens im Fall der teilweisen oder vollständigen Nichtbezahlung aufgrund einer späteren Insolvenz des Leistungsempfängers unionsrechtskonform verhindern kann. Im gegenständlichen Fall wurde die Berichtigung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage davon abhängig gemacht, dass Gläubiger und Schuldner sowohl am Tag der Leistungserbringung als auch am Vortag der Abgabe der Berichtigung der Steuererklärung als mehrwertsteuerpflichtig registriert sind und sich der Schuldner weder in einem Insolvenzverfahren noch in Liquidation befindet. Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, die Steuerbemessungsgrundlage immer dann zu vermindern, wenn der Steuerpflichtige – nach Bewirkung des Umsatzes – die Gegenleistung zum Teil oder als Ganzes nicht erhält. Dabei bleibt den Mitgliedstaaten nach Art 90 und Art 273 MwStSyst-RL ein gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum hinsichtlich der für die Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage gegenüber den Behörden zu erfüllenden Formalitäten. Art 90 Abs 2 MwStSyst-RL sieht demgegenüber eine Ausnahme von der Verpflichtung nach Abs 1 für den Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung vor. Abweichungen zu Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL müssen dennoch gerechtfertigt werden. Die durch das polnische Mehrwertsteuergesetz bestimmten Voraussetzungen für die Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage fallen zwar unter den Anwendungsbereich von Art 90 Abs 1 und Abs 2 MwStSyst-RL. Allerdings hängen das Recht zur Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage beim Gläubiger und die verpflichtende Vorsteuerkorrektur beim Schuldner nicht von der Aufrechterhaltung der Steuerschuldnereigenschaft ab. Zudem kann das Erfordernis, dass Gläubiger und Schuldner jeweils als mehrwertsteuerpflichtig registriert sind, weder mit der Verhinderung von Unregelmäßigkeiten oder Missbrauch noch mit Art 273 MwStSyst-RL gerechtfertigt werden. In Bezug auf die Voraussetzung des Nichtvorliegens eines Insolvenzverfahrens oder einer Liquidation hielt der EuGH zudem fest, dass die nationale Regelung zwar grds geeignet ist, die Ungewissheit der Endgültigkeit der Nichtzahlung tatsächlich zu berücksichtigen, die Gläubiger aber dennoch unverhältnismäßig belastet werden. Die Bestimmung gehe daher über das zur Zielerreichung Notwendige hinaus.

Conclusio

Im Ergebnis verneinte der EuGH die Unionsrechtskonformität der polnischen Regelung. Gleichzeitig bejahte er die unmittelbare Anwendbarkeit von Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL (vgl schon EuGH 15. 5. 2014, C-337/13, Almos, Rn 34). Die Änderung der Bemessungsgrundlage wegen Uneinbringlichkeit ist in Österreich in § 16 Abs 3 Z 1 UStG geregelt. Formelle Anforderungen an den Schuldner oder die Gläubiger zum Zwecke der Verminderung der Umsatzsteuerbemessungsgrundlage sieht das UStG nicht vor.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29929 vom 12.11.2020