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EuGH: Besteuerung im Drittstaat für Verlagerung des Leistungsortes bei Telekommunikationsleistungen irrelevant

Bearbeiter: Annika Streicher

MwStSyst-RL: Art 59a lit b

UStG 1994: § 3a Abs 16

VO BGBl II 383/2003 idF BGBl II 221/2009

Abstract

Art 59a lit b MwStSyst-RL verlangt für die Leistungsortverlagerung von Inbound-Leistungen vom Drittland in die EU die „tatsächliche Nutzung oder Auswertung“ der Leistung in der EU und das Vorliegen von „Nichtbesteuerung“. Roamingleistungen werden dort tatsächlich genutzt oder ausgewertet, wo sich die Kunden vorübergehend aufhalten. Für das Vorliegen von „Nichtbesteuerung“ ist auf die steuerliche Behandlung des Umsatzes in der EU abzustellen, die Besteuerungsverhältnisse im Drittland sind unbeachtlich.

EuGH vom 15. 4. 2021, C-593/19, SK Telecom

Sachverhalt

Der EuGH hatte über die Umsatzbesteuerung von Roamingleistungen zu entscheiden: Ein koreanisches Telekommunikationsunternehmen schloss einen Vertrag mit einem österreichischen Telekommunikationsunternehmen über die Nutzung von dessen österreichischem Mobilfunknetz (Transaktion 1). Anschließend ermöglichte das koreanische Unternehmen seinen koreanischen Kunden, die nach Österreich gereist waren, die Nutzung des österreichischen Netzes (Transaktion 2). Fraglich war die steuerliche Behandlung von Transaktion 2. Zwar gelten Telekommunikationsleistungen gem Art 58 Abs 1 lit a MwStSyst-RL als an dem Ort ausgeführt, an dem der nichtunternehmerische Leistungsempfänger ansässig ist. Jedoch enthält Art 59a lit b MwStSyst-RL die Möglichkeit zur Verlagerung des Leistungsortes vom Drittland ins Inland, wenn die tatsächliche Nutzung oder Auswertung hier stattfindet und dadurch Doppelbesteuerung, Nichtbesteuerung oder Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden. Diese optionale Regelung wurde in § 3a Abs 16 UStG in Form einer VO-Ermächtigung umgesetzt, auf Basis derer eine VO zur Leistungsortverlagerung von Telekommunikationsleistungen erlassen wurde (VO BGBl II 383/2003 idF BGBl II 221/2009). Transaktion 2 wurde in Österreich besteuert, weil die Leistung nach Ansicht der FinVerw hier genutzt oder ausgewertet wurde und die Umsatzbesteuerung des Umsatzes mit 10 % in Korea niedrig genug sei, um Nichtbesteuerung zu begründen. Das BFG legte dem EuGH die Fragen vor (RE/2100001/2019), wie die Begriffe „tatsächliche Nutzung oder Auswertung“ sowie „Nichtbesteuerung“ iSd Art 59a lit b MwStSyst-RL zu verstehen sind.

Entscheidung des EuGH

Die tatsächliche Nutzung oder Auswertung von Roamingleistungen findet dort statt, wo sich die Kunden während der Nutzung der Dienste aufhalten, also Österreich. Für die Auslegung des Begriffs „Nichtbesteuerung“ ist unerheblich, welchem Steuersatz der Umsatz im Drittland unterliegt. Eine Bewertung des Steuerniveaus im Drittland hat nicht zu erfolgen, denn es könne nicht Absicht des Unionsgesetzgebers gewesen sein, die Anwendung der Unionsvorschriften vom nationalen Steuerrecht in Drittländern abhängig zu machen. Ausschlaggebend ist allein die steuerliche Behandlung innerhalb der EU. Somit liegt Nichtbesteuerung immer dann vor, wenn dieselbe Leistung nicht bereits in einem anderen Mitgliedstaat besteuert wurde.

Conclusio

Der EuGH schloss sich den Schlussanträgen von GA Saugmandsgaard Øe an. Damit könnten Drittstaatsunternehmer im Ergebnis doppelt besteuert werden – sofern ihre Leistung im Drittland nicht unbesteuert bleibt – und hätten keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen (s weiterführend Streicher, Doppelbesteuerung in der Umsatzsteuer, AVR 2020, 210). Es steht zu befürchten, dass durch diese Entscheidung mehr EU-Staaten motiviert werden, die optionale Regelung in Art 59a MwStSyst-RL zu implementieren und sich so Besteuerungsrechte zu sichern. Art 59a MwStSyst-RL ist auf eine Vielzahl verschiedener Dienstleistungen anwendbar, wodurch die vorliegende Entscheidung beträchtliche wirtschaftliche Auswirkungen haben könnte.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31027 vom 11.06.2021