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EuGH: Darf ein Mitgliedstaat die Gesamtvorsteuerberichtigung von Investitionsgütern fordern?

Bearbeiter: Christina Pollak

MwStSyst-RL: Art 184, Art 185, Art 186, Art 187

Abstract

Der EuGH beschäftigte sich in diesem Urteil mit der Frage, ob ein Steuerpflichtiger den gesamten Betrag des Vorsteuerabzuges auf einmal korrigieren muss, wenn er die bezogenen Waren und Dienstleistungen zur Errichtung eines Wohnkomplexes für steuerbefreite Dienstleistungen verwendet, obwohl ursprünglich der Steuerpflichtige von der Erbringung steuerpflichtiger Umsätze ausgegangen ist. Der EuGH folgte den Ausführungen des GA Bobek und bestätigt, dass eine Verpflichtung zur Gesamtberichtigung im ersten Jahr nicht der MwStSyst-RL widerspricht.

EuGH vom 17. September 2020, C-791/18, Stichting Schoonzicht

Sachverhalt

Die Klägerin ließ einen Gebäudekomplex aus 7 Wohnungen auf einer in ihrem Eigentum befindlichen Liegenschaft errichten. Das Gebäude wurde im Juli 2013 fertiggestellt und durch die Klägerin abgenommen. Die für die Errichtung des Gebäudekomplexes gezahlte Vorsteuer machte die Klägerin 2013 in der Mehrwertsteuererklärung geltend. Zu diesem Zeitpunkt nahm die Klägerin an, dass die Wohnungen steuerpflichtig vermietet werden würden. Ab 1. August 2014 vermietete die Klägerin vier der sieben Wohnungen des betreffenden Gebäudes mehrwertsteuerfrei, während die übrigen drei Wohnungen in 2014 unbewohnt blieben. Aufgrund dieser mehrwertsteuerfreien Vermietung nahm die Klägerin eine Vorsteuerberichtigung vor und hatte den zuzuordnenden Mehrwertsteueranteil in Höhe von 79.587 Euro auf einmal zu entrichten.

Die Klägerin sah in der nationalen Umsetzung der Berichtigung einen Verstoß gegen den Grundsatz der mehrjährigen Verteilung nach Art 187 MwStSyst-RL, weil sie bei der erstmaligen Verwendung den gesamten ursprünglich vorgenommenen Vorsteuerabzug zu berichtigen und zahlen hatte, und legte daher Einspruch gegen die Berichtigung ein.

Entscheidung des EuGH

Mit seiner Vorlagefrage befragte das Gericht den EuGH, ob Art 184 bis 187 MwStSyst-RL den nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die bei einer Gesamtberichtigung des Vorsteuerabzuges von Investitionsgütern innerhalb des ersten Jahres der Verwendung die Nachzahlung des gesamten Vorsteuerbetrages vorsehen.

Der EuGH führte aus, dass Steuerpflichtige grundsätzlich das Recht auf Vorsteuerabzug von der im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer haben. Dieses Abzugsrecht jedoch setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die erworbenen Waren oder Dienstleistungen für seine besteuerten Umsätze verwendet. Der in Art 184 bis 187 MwStSyst-RL vorgesehene Berichtigungsmechanismus soll die Genauigkeit der Vorsteuerabzüge erhöhen und dadurch die Neutralität der Mehrwertsteuer gewährleisten. Aus diesem Grund ist eine Berichtigung des für die vier Wohnungen anteiligen Vorsteuerabzuges notwendig, weil die Wohnungen tatsächlich steuerfrei vermietet wurden, obwohl der gesamte Vorsteuerabzug geltend gemacht wurde.

Da die Voraussetzungen zur Berichtigung des ursprünglichen Vorsteuerabzugs bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung der Wohnungen erfüllt sind, sind Art 184 und 185 MwStSyst-RL anwendbar, deren Anwendungseinzelheiten durch die Mitgliedstaaten nach Art 186 MwStSyst-RL festgelegt werden. Der gegebene Sachverhalt ist demnach nicht unter Art 187 MwStSyst-RL zu subsumieren, wonach eine Aufteilung der zu berichtigenden Vorsteuer mehrere Jahre zu erfolgen hat. Die vollständige Rückzahlung des Vorsteuerabzuges entspricht auch dem Neutralitätsgrundsatz, weil der Neutralitätsgrundsatz die Berichtigung unberechtigt geltend gemachter Vorsteuerabzüge verlangt. Aus diesen Gründen widerspricht die nationale niederländische Regelung zur Vorsteuerrückerstattung nicht der MwStSyst-RL.

Conclusio

Diese Entscheidung ist insoweit verständlich, als sie potenzielle Liquiditätsoptimierungen von Unternehmen vorbeugt. Hätte der EuGH eine sich über mehrere Jahre erstreckende Berichtigung nach Art 187 MwStSyst-RL zugelassen, obwohl die für die Vorsteuerkorrektur ausschlaggebenden Umstände bereits im Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung schlagend wurden, so könnten Steuerpflichtige den Vorsteuerabzug mit der Begründung der Absicht der Erbringung von steuerpflichtigen Umsätzen geltend machen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29828 vom 22.10.2020