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EuGH: Das Grundrecht auf einen unmittelbaren Rechtsbehelf im Amtshilfeverfahren

Bearbeiter: Vera Hellebrandt

GRC: Art 7, Art 8, Art 47, Art 52 Abs 1

RL 2011/16/EU

Abstract

Der EuGH beschäftigte sich in diesem Urteil mit der Rolle von Art 47 GRC im Amtshilfeverfahren. Eine Anordnung der Steuerverwaltung zur Erteilung von Auskünften muss von einem zur Auskunft verpflichteten Adressaten mit einem unmittelbaren Rechtsbehelf bekämpft werden können, um das Grundrecht auf einen unmittelbaren Rechtsbehelf zu wahren. Wird aber einem betroffenen Dritten kein solcher Rechtsbehelf zugestanden, steht dies nicht im Widerspruch zu Art 47 GRC.

EuGH vom 6. 10. 2020, C-245/19 + C-246/19

Sachverhalt

In beiden Rechtsstreiten richtete die spanische Steuerverwaltung jeweils ein Ersuchen um Informationsaustausch an die luxemburgische Steuerverwaltung, unter Anwendung der RL 2011/16/EU. Die luxemburgische Steuerverwaltung trug in der Folge einer Gesellschaft und einer Bank mit Sitz in Luxemburg die Übermittlung bestimmter Informationen zu Vertragsabschlüssen und Bankkonten auf. Zum relevanten Zeitpunkt konnte nach luxemburgischem Recht die Anordnung zur Erteilung von Auskünften nicht bekämpft werden, sondern erst die Verhängung einer Sanktion wegen unterlassener Übermittlung. Diese Sanktionierung wurde von der auskunftsverpflichteten Gesellschaft bzw Bank sowie den Bankkunden, deren Informationen betroffen waren, bekämpft. Der luxemburgische Verwaltungsgerichtshof legte dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor: Im Rahmen der ersten Frage wollte das vorlegende Gericht wissen, ob Art 7 GRC, Art 8 GRC und Art 47 GRC einer innerstaatlichen Norm entgegenstehen, die im Falle einer Anordnung zur Auskunftserteilung den Auskunftsverpflichteten bzw den betroffenen Dritten einen unmittelbaren Rechtsbehelf verweigern. In seiner zweiten Frage erkundigte sich das Gericht nach Kriterien zur Beurteilung der Erheblichkeit der nachgefragten Information.

Entscheidung des EuGH

Alle in der GRC anerkannten Rechte und Freiheiten können gem Art 52 Abs 1 GRC eingeschränkt werden, solange dies gesetzlich vorgesehen ist, der Wesensgehalt der betroffenen Rechte und Freiheiten gewahrt bleibt, Verhältnismäßigkeit besteht und die Beschränkungen tatsächlich zur Erreichung der von der Union anerkannten Ziele bzw dem Gemeinwohl dienen.

Auch das Recht auf einen unmittelbaren Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht gem Art 47 GRC kann dementsprechend eingeschränkt werden. Aus der RL 2011/16/EU ergibt sich nicht, dass der Unionsgesetzgeber dieses Grundrecht beschränken wollte. Stattdessen verweist die RL auf die DSGVO, um personenbezogene Daten nach Art 8 GRC zu schützen. Aus der DSGVO folgt, dass jede Person bei Vorliegen einer Verletzung ihrer Rechte aus der Verarbeitung personenbezogener Daten über einen gerichtlichen Rechtsbehelf verfügen muss. Der EuGH kam zum Schluss, dass der Wesensgehalt von Art 47 GRC nicht gewahrt wird, wenn die Auskunftsverpflichteten keine Möglichkeit haben einen unmittelbaren Rechtsbehelf gegen die Anordnung zur Informationserteilung zu erheben.

Im Hinblick auf die betroffenen Dritten sah der EuGH den Wesensgehalt von Art 47 GRC nicht verletzt, wenn diese keinen unmittelbaren Rechtsbehelf erheben können, weil Dritte mangels Pflicht zur Auskunftserteilung auch keine Sanktionierung trifft. Es reicht daher aus, wenn betroffene Dritte die Verletzung ihrer unionsrechtlich garantierten Rechte feststellen und gegebenenfalls Schadenersatz verlangen können.

Zur zweiten Rechtsfrage führt der EuGH aus, dass zur Beurteilung der Erheblichkeit, bei Vorliegen von zB nicht näher eingegrenzten Verträgen, darauf abgestellt wird, ob diese vom Informationsinhaber in den ermittlungsrelevanten Steuerjahren abgeschlossen wurden und ein Zusammenhang mit dem betreffenden Steuerpflichtigen besteht.

Conclusio

Der EuGH bejahte, dass gem Art 47 GRC dem Adressaten einer Anordnung zur Auskunftserteilung in einem grenzüberschreitenden Sachverhalt das Recht auf einen unmittelbaren Rechtsbehelf zusteht. Die luxemburgische Rechtslage war in diesem Punkt unionsrechtswidrig. Er verneinte jedoch, dass dieses Grundrecht auf ein unmittelbares Rechtsmittel auch einem Dritten, dessen Informationen betroffen sind, zusteht. Damit wich der EuGH von der Ansicht der GA Kokott ab, die auch den betroffenen Dritten einen unmittelbaren Rechtsbehelf zugestanden hätte. Für Österreich bedeutet dies folglich, dass ein Auskunftsverpflichteter ein Rechtsmittel gegen die Anordnung erheben kann und nicht erst die Festsetzung einer Zwangsstrafe nach § 111 BAO abwarten muss.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30126 vom 18.12.2020