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EuGH: Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Vorsteuerberichtigungen

Bearbeiter: Christina Pollak

MwStSyst-RL: Art 9, Art 168, Art 185

Abstract

Der EuGH beschäftigte sich in diesem Urteil mit der Frage, ob die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Aufgabe der wirtschaftlichen Tätigkeit führt. Der EuGH lehnt dies ab, was zur Folge hat, dass Steuerpflichtige aufgrund der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens keine Vorsteuerkorrekturen vornehmen müssen. Es ist weiterhin zu prüfen, ob die wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen tatsächlich aufgegeben wurde.

EuGH vom 3. 6. 2021, C-182/20, Administraţia Judeţeană a Finanţelor Publice Suceava ua

Sachverhalt

BE, eine rumänische Gesellschaft, führte eine wirtschaftliche Tätigkeit aus. 2015 wurde über das Vermögen von BE das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Zuge einer an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens angeschlossenen Steuerprüfung wurde die Berichtigung von Vorsteuerabzügen für den streitgegenständlichen Zeitraum bescheidmäßig festgesetzt. Diese Festsetzung wurde im Instanzenzug auch bestätigt, weil BE zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit aufgegeben hätte.

Entscheidung des EuGH

Kern dieser Entscheidung war die Frage, ob die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Wirtschaftsteilnehmers automatisch die Verpflichtung mit sich bringt, die zuvor geltend gemachten Vorsteuerabzüge gem Art 184 bis 186 MwStSyst-RL zu berichtigen.

Grundsätzlich haben Steuerpflichtige das Recht auf Vorsteuerabzug von der im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer. Dieses Abzugsrecht setzt jedoch voraus, dass der Steuerpflichtige die erworbenen Gegenstände oder Dienstleistungen für seine besteuerten Umsätze verwendet. Der in Art 184 bis 186 MwStSyst-RL vorgesehene Berichtigungsmechanismus soll die Genauigkeit der Vorsteuerabzüge erhöhen und dadurch die Neutralität der Mehrwertsteuer gewährleisten.

Der EuGH prüfte in dieser Entscheidung, ob die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Wirtschaftsteilnehmers zwangsläufig dessen wirtschaftliche Tätigkeiten beendet und dadurch eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges notwendig wird. Die wirtschaftliche Tätigkeit als solche ist jedoch unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis zu betrachten. Der bloße Umstand, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahren nach nationalem Recht die Zwecke der Umsätze des Steuerpflichtigen vom langfristigen Betrieb des Unternehmens hin zum Zweck der Begleichung der Schulden und anschließenden Auflösung ändert, berührt – dem EuGH – zufolge den wirtschaftlichen Charakter der bewirkten Umsätze nicht.

Eine andere Auslegung würde dem Neutralitätsgrundsatz widersprechen. Denn der Steuerpflichtige steht, solange er noch seine wirtschaftliche Tätigkeit während des Insolvenzverfahrens fortführt, mit anderen Steuerpflichtigen, die ähnliche Leistungen erbringen, im Wettbewerb. In gegebenen Fall bestätige auch die während des Insolvenzverfahrens bestehende umsatzsteuerliche Registrierung und die Umsatzsteuerunterwerfung der Ausgangsumsätze, dass BE ihre wirtschaftliche Tätigkeit fortführte.

Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens den engen und unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Vorsteuerabzugsrecht und der Nutzung der betreffenden Gegenstände oder Dienstleistungen für besteuerte Ausgangsumsätze unterbrochen hätte und dass der betreffende Steuerpflichtige verpflichtet wäre, den Betrag der abgezogenen Vorsteuer zu entrichten.

Conclusio

Durch die Entscheidung in der Rs Administraţia Judeţeană a Finanţelor Publice Suceava and Others betont der EuGH die Verpflichtung bei einer Vorsteuerkorrektur zu prüfen, ob tatsächlich die Verwendung der Eingangsleistungen, zB durch die Aufgabe der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen, verändert wurde. Die Unternehmereigenschaft des Steuerpflichtigen wird demnach nicht ausschließlich bedingt durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beeinträchtigt. Diese Auffassung vertritt auch die österr Finanzverwaltung (s UStR 2000, Rn 2401 mVa VwGH 27. 5. 1998, 93/13/0052).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31327 vom 16.08.2021