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EuGH: Einheitlichkeit der Leistung bei aktiver Verwaltung von Tochtergesellschaften und Ermittlung des Normalwerts

Bearbeiter: Raphaela Riegler

MwStSyst-RL: Art 72, Art 80 Abs 1

Abstract

Eine Muttergesellschaft erbringt Dienstleistungen an ihre Tochtergesellschaften im Rahmen deren aktiver Verwaltung. Aufgrund der Verbundenheit von Leistender und Empfängerin der Dienstleistung kann es gem Art 80 Abs 1 lit a MwStSyst-RL zum Ansatz des Normalwerts als Steuerbemessungsgrundlage kommen. Der EuGH beschäftigt sich mit der Frage, ob eine einheitliche Leistung vorliegt und wie der Normalwert ermittelt wird.

EuGH 3. 7. 2025, C-808/23, Högkullen AB

Sachverhalt

Högkullen, die Muttergesellschaft eines Immobilienverwaltungskonzerns, verwaltete aktiv ihre Tochtergesellschaften. 2016 verrechnete sie 2,3 Mio Schwedische Kronen an ihre Tochtergesellschaften für Dienstleistungen in den Bereichen Unternehmensführung, Wirtschaft, Immobilienverwaltung, Investitionen, IT sowie Personalverwaltung und wies in der Rechnung Mehrwertsteuer aus. Die Berechnung des Rechnungsbetrags erfolgte anhand der Kostenaufschlagsmethode, nach der die Kosten für die Erbringung der Dienstleistungen um einen Gewinnaufschlag erhöht wurden. Diese wurden mithilfe eines Verteilerschlüssels ermittelt, der jedoch nicht sämtliche Kosten der Muttergesellschaft, sondern nur Kosten für Unternehmensführung, Räumlichkeiten, Telefon, IT, Vertretung und Reisetätigkeiten umfasste. Kosten für Buchführung, Revision und Hauptversammlung der Muttergesellschaft wurden nicht berücksichtigt, weil diese nach Ansicht von Högkullen in keinem Zusammenhang zu den an die Tochtergesellschaften erbrachten Dienstleistungen stünden.

Aufgrund der konzernmäßigen Verbindung zwischen Högkullen und ihren Tochtergesellschaften kam die Anwendung des Art 80 Abs 1 lit a MwStSyst-RL in Betracht. Auf dieser Grundlage können Maßnahmen getroffen werden, um sicherzustellen, dass die Steuerbemessungsgrundlage dem Normalwert entspricht, wenn die Gegenleistung den Normalwert unterschreitet und der Leistungsempfänger nicht den vollen Vorsteuerabzug vornehmen kann. Im vorliegenden Fall ergaben sich Fragen im Zusammenhang mit dem Begriff des „Normalwerts“.

Die schwedische Finanzverwaltung war der Ansicht, dass der in Rechnung gestellte Betrag unter dem Normalwert lag und es sich bei den von der Muttergesellschaft erbrachten Leistungen um eine einheitliche Leistung handelte, für die es am freien Markt keine vergleichbare Dienstleistung gab. Weiters waren nach der Finanzverwaltung alle Kosten der Muttergesellschaft als Kosten zur Leistungserbringung anzusehen. Aus diesen Gründen legte die Finanzverwaltung die Steuerbemessungsgrundlage unter Einbeziehung der gesamten Kosten der Muttergesellschaft gem Art 72 Satz 2 MwStSyst-RL fest. Högkullen wandte ein, dass es sich um eigenständige Dienstleistungen handele und der Normalwert daher nach Art 72 Satz 1 MwStSyst-RL ermittelt werden könne. Durch Anwendung der Kostenaufschlagsmethode war aber jedenfalls sichergestellt, dass die Gegenleistung mindestens der Kosten für die Dienstleistungserbringung entsprach. Das Oberste Verwaltungsgericht Schweden legte dem EuGH schlussendlich zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH befasste sich mit der Frage, ob es sich bei Dienstleistungen einer Muttergesellschaft im Rahmen der aktiven Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften immer um eine einheitliche konzerneigene Dienstleistung handelt, deren Normalwert nicht durch die Vergleichsmethode nach Art 72 Satz 1 MwStSyst-RL bestimmt werden kann. Darauf aufbauend stellte das vorlegende Gericht die Frage, ob nach Art 72 Satz 2 MwStSyst-RL die gesamten Kosten der Muttergesellschaft als Bemessungsgrundlage anzusetzen sind, wenn von einer einheitlichen Leistung auszugehen ist, die Muttergesellschaft einzig die Verwaltung der Tochtergesellschaft ausübt und für sämtliche Erwerbe Vorsteuer abgezogen wurde.

Entscheidung

Art 73 MwStSyst-RL legt als Bemessungsgrundlage grds die tatsächlich gewährte Gegenleistung fest. Zur Vorbeugung von Steuerhinterziehung und -umgehung sieht Art 80 Abs 1 lit a MwStSyst-RL die Möglichkeit vor, den Normalwert als Steuerbemessungsgrundlage heranzuziehen. Voraussetzung dafür ist, dass ein in Art 80 Abs 1 MwStSyst-RL definiertes besonderes Naheverhältnis zwischen Leistendem und Leistungsempfänger vorliegt, die Gegenleistung niedriger als der Normalwert ist und der Empfänger nicht voll vorsteuerabzugsberechtigt ist. Der Normalwert wird in Art 72 Satz 1 MwStSyst-RL als jener Betrag definiert, der für die Lieferung oder sonstige Leistung am freien Markt bezahlt werden müsste und im Rahmen einer Vergleichsprüfung ermittelt wird. Ist eine Bestimmung des Normalwerts auf diesem Weg nicht möglich, darf gem Art 72 Satz 2 MwStSyst-RL der Normalwert bei Gegenständen nicht unter dem Einkaufs- oder Selbstkostenpreis, bei Dienstleistungen nicht unter den Ausgaben für deren Erbringung liegen. Fraglich ist daher, ob es sich im vorliegenden Fall um eine einheitliche Leistung ohne entsprechendes Vergleichspaar am freien Markt handelt, oder ob die Leistungen gesondert zu betrachten sind und vergleichbare Leistungen im freien Wettbewerb am Markt ermittelt werden können.

Die Beurteilung dieser Frage bedarf lt EuGH einer Gesamtbetrachtung. Das Gericht verweist auf seine stRsp (bspw EuGH 18. 4. 2024, C-89/23, Companhia Uniăo de Crédito Popular; 17. 10. 2024, C-60/23, Digital Charging Solutions), nach der eine einheitliche Leistung gegeben ist, wenn die einzelnen Leistungsbestandteile für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass eine Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Die Leistungen der Muttergesellschaft an ihre Tochtergesellschaften weisen, auch wenn diese zusammen erbracht werden, jeweils einen eigenen und erkennbaren Charakter auf. Die Zahlungsmodalitäten, wie etwa ein Gesamtpreis für alle Leistungen, sind allein nicht entscheidungserheblich, weil sonst die Muttergesellschaft diese Einordnung selbstständig beeinflussen könnte.

Die erste Frage beantwortet der EuGH dahin, dass es sich bei Leistungen der Muttergesellschaft an ihre Tochtergesellschaften im Rahmen deren aktiver Verwaltung nicht zwingend um eine einheitliche Leistung handeln muss. Der Normalwert kann daher mittels Vergleichsmethode nach Art 72 Satz 1 MwStSyst-RL ermittelt werden. Aufgrund des Ergebnisses der ersten Frage erübrigt sich die Beantwortung der zweiten Frage durch den EuGH.

Conclusio

Der EuGH kommt zum Ergebnis, dass Dienstleistungen einer Muttergesellschaft bei aktiver Verwaltung ihrer Töchter nicht zwangsläufig eine einheitliche Leistung darstellen, die die Ermittlung des Normalwerts anhand der Vergleichsmethode gem Art 72 Satz 2 MwStSyst-RL verhindert. Vielmehr weisen diese Dienstleistungen einen eigenen erkennbaren Charakter auf und können daher mit den am freien Markt angebotenen Leistungen verglichen werden.

Art 80 Abs 1 MwStSyst-RL wurde auch im österreichischen Umsatzsteuerrecht umgesetzt. § 4 Abs 9 UStG regelt jene Fälle, in denen der Normalwert als Bemessungsgrundlage angesetzt wird, spricht aber bei den Voraussetzungen von „Zwecke[n], die außerhalb des Unternehmens liegen oder für den Bedarf seines Personals“. Davon sollen auch Fälle der Verbundenheit wie in Art 80 Abs 1 MwStSyst-RL erfasst sein (vgl Pernegger in Melhardt/Tumpel, UStG3 [2021] § 4 Rz 363). Daraus ergibt sich, dass die vorliegende Rsp des EuGH auch auf österreichische Fälle angewendet werden kann, wenn eine Muttergesellschaft Dienstleistungen der aktiven Verwaltung der Tochtergesellschaften erbringt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 37038 vom 14.08.2025