News

EuGH: Erhöhte Verbrauchsteuer als Strafe und deren mehrwertsteuerliche Auswirkungen

Bearbeiter: Bence Péter Komár

RL 2003/96: Art 4 Abs 2

MwStSyst-RL: Art 63, 78 Abs 1 lit a

Abstract

In der Rs Bitulpetrolium setzt sich der EuGH mit der Unionrechtskonformität einer nationalen Steuersanktion aus. Die Sanktion besteht darin, dass auf ein bestimmtes Energieerzeugnis nicht jene Verbrauchsteuer erhoben wird, welche für dieses Erzeugnis gilt. Stattdessen wird eine höhere Verbrauchsteuer erhoben, die ansonsten für ein anderes Energieerzeugnis vorgesehen ist. Weiters beschäftigt sich der EuGH mit den mehrwertsteuerlichen Konsequenzen der genannten Sanktion und dem Zusammenhang zwischen der verbrauch- und mehrwertsteuerlichen Behandlung solcher Erzeugnisse vor dem Hintergrund des Art 78 Abs 1 lit a MwStSyst-RL.

EuGH 25. 4. 2024, C-657/22, SC Bitulpetrolium

Sachverhalt

Bitulpetrolium ist eine rumänische Gesellschaft, die Brennstoffe herstellt und mit ihnen handelt. Ein Kunde retournierte Energieerzeugnisse vom Typ „Heizöl“ in das Steuerlager Bitulpetroliums. Diese stellte Empfangserklärungen und Storno-Rechnungen – entgegen den rumänischen Steuervorschriften – ohne Angaben zur Kennzeichnung oder Färbung des Heizstoffes aus. Als Sanktion verpflichtete die rumänische Steuerinspektion Bitulpetrolium – im Einklang mit den rumänischen Steuervorschriften – zur Zahlung einer zusätzlichen Verbrauchsteuer in der für den Typ „Gasöl“ vorgesehenen Höhe (mehr als das 21-fache der Verbrauchsteuer für Heizöl). Darüber hinaus wurde Bitulpetrolium die Zahlung zusätzlicher MwSt auferlegt, indem die zusätzlich vorgeschriebene Verbrauchsteuer in die Bemessungsgrundlage der zusätzlichen MwSt einbezogen wurde. Bitulpetrolium erhob Klage beim zuständigen Regionalgericht, welches ein Vorabentscheidungsverfahren gem Art 267 AEUV einleitete. Das vorlegende Gericht fragte den EuGH, ob die Anwendung des für Gasöl vorgesehenen Verbrauchsteuersatzes auf Heizöl als Sanktion gegen die RL 2003/96 und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Ferner fragte dieses Gericht, ob die als Sanktion festgesetzte Verbrauchsteuer Teil der Bemessungsgrundlage für die MwSt ist (s Art 78 Abs 1 lit a MwStSyst-RL).

Entscheidung des EuGH

Aus der allgemeinen Systematik und dem Zweck der RL 2003/96 ergibt sich, dass Energieerzeugnisse nach ihrer tatsächlichen Verwendung besteuert werden. Dabei wird in den Erwägungsgründen 17 und 18 der RL eine klare Unterscheidung zwischen der Verwendung als Heiz- und Kraftstoff (Gasöl) getroffen. Darüber hinaus hat der EuGH in Bezug auf Art 4 Abs 2 RL 2003/96 bereits ausgesprochen, dass die Festlegung des „Steuerbetrags“ für Energieerzeugnisse nach ihrer Verwendung als Kraft- oder Heizstoff zum Funktionieren des Binnenmarkts beiträgt. Sie ermöglicht nämlich, etwaige Verzerrungen des Wettbewerbs zwischen Energieerzeugnissen mit demselben Verwendungszweck zu vermeiden (mVa EuGH 2. 6. 2016, C‑418/14, ROZ-ŚWIT, Rn 31 bis 33; 7. 11. 2019, C‑68/18, PetrotelLukoil, Rn 50). Ein Energieerzeugnis darf schlussendlich nicht einer Besteuerung unterworfen werden, die nicht seiner tatsächlichen Verwendung entspricht (s EuGH 7. 11. 2019, C‑68/18, PetrotelLukoil, Rn 53). Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verweist der EuGH auf seine stRsp (ua EuGH 22. 12. 2022, C-553/21, Shell Deutschland Oil, Rn 32 und 7. 11. 2019, C‑68/18, PetrotelLukoil, Rn 58). Diesem Grundsatz nach müssen Mitgliedstaaten Mittel einsetzen, mit denen sich das Ziel einer nationalen Regelung wirksam, aber unter möglichst geringer Beeinträchtigung der unionsrechtlichen Prinzipien erreichen lässt. Maßnahmen, die über das hinausgehen, was erforderlich ist, um (im konkreten Fall) Steuerhinterziehung und -vermeidung im Bereich der Verbrauchsteuer zu verhindern, dürfen von den Mitgliedstaaten nicht ergriffen werden. Die Festsetzung der Steuer in 21-facher Höhe, ohne dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit einzuräumen, dass er die tatsächliche Verwendung (hier als Heizöl und nicht als Gasöl) nachweist, geht jedenfalls über das erforderliche Maß hinaus.

Zur zweiten Frage betont der EuGH zunächst, dass der MwSt-Anspruch dann entsteht, wenn eine Lieferung von Gegenständen bewirkt oder eine Dienstleistung erbracht wird (s Art 63 MwStSyst-RL). Gem Art 78 Abs 1 lit a MwStSyst-RL müssen Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben (außer der MwSt) in die MwSt-Bemessungsgrundlage einbezogen werden. Dies gilt jedoch unter der Bedingung, dass solche Abgaben mit dem steuerbaren Umsatz in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Ein Indiz für das Vorliegen eines unmittelbaren Zusammenhangs ist, dass der Entstehungstatbestand solcher Abgaben mit dem der MwSt zusammenfällt (mVa EuGH 22. 12. 2010, C‑433/09, Kommission/Österreich, Rn 34; 11. 6. 2015, C‑256/14, Lisboagás GDL, Rn 29). IZm der RL 2003/96 müsste dafür der Grundsatz gewahrt werden, dass die Besteuerung von Energieerzeugnissen nach ihrer tatsächlichen Verwendung erfolgt. Im Anlassfall kann die zusätzliche für den Typ „Gasöl“ vorgesehene Verbrauchsteuer nicht in die in die MwSt-Bemessungsgrundlage einbezogen werden und die MwSt wird nicht fällig, solange Bitulpetrolium keine steuerpflichtige Lieferung des in Rede stehenden Energieerzeugnisses zur Verwendung als „Gasöl“ ausführt.

Conclusio

Die RL 2003/96 enthält keinen bestimmten Mechanismus zur Kontrolle der tatsächlichen Verwendung der Energieerzeugnisse. Sie enthält auch keine Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung iZm der Verwendung dieser Erzeugnisse. Daher obliegt es grds den Mitgliedstaaten, entsprechende Mechanismen und Maßnahmen (einschließlich Sanktionen) vorzusehen. Allerdings bleiben die Mitgliedstaaten sowohl an die allgemeinen Grundsätze des Unionsrecht als auch an die allgemeine Systematik und den Zweck der RL 2003/96 gebunden. Aus der allgemeinen Systematik der RL kann abgeleitet werden, dass die Besteuerung von Energieerzeugnissen nach ihrer tatsächlichen Verwendung erfolgen muss. Der allgemeine Grundsatz der Verhältnismäßigkeit lässt die 21-fache Verbrauchsteuerbelastung eines Energieerzeugnisses ohne Nachweis dessen tatsächlichen Verwendung als Gasöl nicht zu.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35837 vom 09.09.2024