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EuGH: Erstattung der zu viel abgeführten Umsatzsteuer bei zivilrechtlicher Verjährung

Bearbeiter: Rainer Borns

MwStSyst-RL: Art 168 lit a, Art 178 lit a

Abstract

Der EuGH hatte zu entscheiden, ob dem Erwerber eines Gegenstandes ein Anspruch auf Rückerstattung der zu viel bezahlten USt gegenüber dem FA zusteht, wenn der zivilrechtliche Anspruch gegenüber dem Lieferer aufgrund Verjährung nicht mehr durchsetzbar ist.

EuGH 7. 9. 2023, C-453/22, Schütte

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (Bf) ist Land- und Forstwirt. Das Holz, das er von Lieferanten bezieht, unterliegt dem Normalsteuersatz von 19 %. Der Weiterverkauf der Ware wird vom Bf dem besonderen Steuersatz von 7 % unterworfen. Der Bf führte die von ihm in Rechnung gestellten 7 % ab und machte einen Vorsteuerabzug iHv 19 % für die Eingangsleistungen geltend. Während das Finanzamt (FA) davon ausging, die Ausgangsleistungen des Bf hätten dem Normalsteuersatz von 19 % unterliegen müssen, kam das erstinstanzliche Finanzgericht (FG) zum Schluss, dass der Bf zwar den richtigen Steuersatz angewandt hatte. Allerdings hätte der besondere Steuersatz auch auf die Eingangsleistungen Anwendung finden müssen. Folglich war der Vorsteuerabzug des Bf auf 7 % – und somit um 12 % – zu kürzen. Das FA forderte nun den zu viel gewährten Vorsteuerabzug inkl Zinsen vom Bf zurück, woraufhin sich dieser an seine Lieferanten wandte und von diesen eine Rechnungsberichtigung inkl einer Rückzahlung der zu hoch ausgewiesenen USt verlangte. Die Lieferanten weigerten sich, die Rechnungen zu berichtigen und die Steuer zurückzuzahlen, und begründeten dies mit der bereits eingetretenen zivilrechtlichen Verjährung des Rückzahlungsanspruches. In weiterer Folge hegte das FG Zweifel hinsichtlich der Auslegung der MwStSyst-RL in Bezug auf die Anwendung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität und des Effektivitätsgrundsatzes auf Erstattungsansprüche. Daher legte es dem EuGH die Frage vor, ob der Bf einen unmittelbaren Erstattungsanspruch gegenüber der Steuerbehörde hat, wenn aufgrund einer nationalen Verjährungsvorschrift keine Erstattung durch die Lieferanten durchgesetzt werden kann.

Entscheidung des EuGH

Mangels unionsrechtlicher Regelung ist es Sache der Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen zu regeln, unter denen ein Anspruch auf Rückzahlung rechtsgrundlos gezahlter Steuerbeträge zu erfolgen hat. Diese Voraussetzungen müssen den Grundsätzen der Neutralität und der Effektivität entsprechen. Sie dürfen daher nicht so ausgestaltet sein, dass die Ausübung dieses Rechts auf Rückzahlung praktisch unmöglich gemacht wird (EuGH 15. 3. 2007, C-35/05, Reemtsma Cigarettenfabriken, Rn 41). Diesbezüglich führte der EuGH näher aus, dass ein System, nach dem zum einen der Lieferer, der die USt irrtümlich an die Steuerbehörden entrichtet hatte, deren Erstattung verlangen kann, und nach dem zum anderen dem Erwerber ein zivilrechtlicher Anspruch auf Rückzahlung der zu viel bezahlten USt gegenüber dem Lieferer zusteht, die Grundsätze der Neutralität und der Effektivität erfüllt. Sollte die Durchsetzung des Anspruches auf Rückzahlung gegenüber dem Lieferer praktisch unmöglich sein (zB aufgrund der Zahlungsunfähigkeit des Lieferers) kann es basierend auf den unionsrechtlichen Grundsätzen geboten sein, dass der Erwerber seinen Antrag auf Rückzahlung unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann. Die MS müssen die dafür erforderlichen Mittel und Verfahrensmodalitäten vorsehen.

In weiterer Folge führte der Gerichtshof aus, dass nationale Regeln, die dazu führen, dass dem Erwerber die Erstattung der Vorsteuer versagt wird, gegen die Grundsätze der Neutralität und der Effektivität verstoßen, wenn es aufgrund der Einrede der Verjährung unmöglich ist, die Erstattung vom Lieferer einzufordern. Solange dem Lieferer weder Betrug noch Missbrauch oder nachweisliche Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann und eine Erstattung durch den Lieferer aufgrund der nationalen Verjährung nicht möglich ist, ist der Erwerber berechtigt, den Erstattungsanspruch gegen die Steuerbehörden zu richten. Dabei umfasst diese Erstattung nicht bloß die zu Unrecht erhobene Steuer, sondern auch jene Beträge, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Steuer an den Staat gezahlt oder von diesem einbehalten worden sind. Darunter fallen auch die im vorliegenden Fall einbehaltenen Zinsen.

Conclusio

Die Entscheidung des EuGH gliedert sich in die sog Reemtsma-Rsp ein. In der Rs Reemtsma (EuGH 15. 3. 2007, C-35/05, Reemtsma Cigarettenfabriken, Rn 41) hatte der EuGH erstmals ausgesprochen, dass der Erwerber eines Gegenstandes eine zu viel bezahlte USt vom FA zurückverlangen kann, wenn die Erstattung vom Lieferer unmöglich oder übermäßig erschwert wird (zB aufgrund einer Zahlungsunfähigkeit). In einer darauffolgenden Entscheidung konkretisierte der EuGH die Bedingungen, zu denen ein derartiger unmittelbarer Rückzahlungsanspruch zulässig ist. So muss zum einen der Leistungsempfänger die Steuer an den Leistungserbringer tatsächlich bezahlt haben. Zum anderen muss der Leistungserbringer diese Steuer tatsächlich auch an die Steuerbehörde entrichtet haben und es dürfen keine Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung vorliegen (EuGH 26. 4. 2017, C-564/15, Tibor Farkas, Rn 57). Die vorliegende Entscheidung fügt sich nahtlos in diese Rechtsprechungslinie ein und konkretisiert den sog Reemtsma-Anspruch. Demnach ist es nicht notwendig, dass die Rückzahlung der zu viel bezahlten USt aufgrund einer Insolvenz des Lieferers scheitert. Auch andere Gründe, wie eben die zivilrechtliche Verjährung, können dazu führen, dass der Erwerber einen unmittelbaren Rückerstattungsanspruch gegenüber dem FA geltend machen kann.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34925 vom 05.01.2024