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EuGH: Fernabsatzvertrag – Widerruf nach Leistungsbeginn

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2011/83/EU: Art 2, Art 14, Art 16

1. Hat der Verbraucher ausdrücklich verlangt, dass die Ausführung des Vertrags während der Widerrufsfrist beginnt (hier: Partnervermittlung) und widerruft er dann den Vertrag, ist zur Bestimmung des anteiligen Betrags, den der Verbraucher nach Art 14 Abs 3 RL 2011/83/EU (Verbraucherrechte-RL) an den Unternehmer zu zahlen hat, grds auf den vertraglich vereinbarten Preis für die Gesamtheit der vertragsgegenständlichen Leistungen abzustellen (also für Hauptleistung und Nebenleistungen) und der geschuldete Betrag zeitanteilig zu berechnen.

Im vorliegenden Fall war ein computergeneriertes 50-seitiges Persönlichkeitsgutachten in der „Premium-Mitgliedschaft“ enthalten. Von „Basis-Mitgliedern“ konnte es zwar gegen Entgelt als Teilleistung erworben werden, der Vertrag über eine „Premium-Mitgliedschaft“ sah aber keinen gesonderten Preis dafür vor. Zur Frage, ob dieses Persönlichkeitsgutachten als abgrenzbare Teilleistung anzusehen sei, stellt der EuGH klar, dass der volle Preis für eine Leistung gleich zu Beginn der Vertragsausführung nur dann zu berücksichtigen ist, wenn der Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden. Nach Ansicht des EuGH sah der Vertrag im Ausgangsfall aber keinen gesonderten Preis für irgendeine Leistung vor, die als abtrennbar von der Hauptleistung angesehen werden kann.

2. Für die Beurteilung, ob der Gesamtpreis iSd Art 14 Abs 3 RL 2011/83/EU überhöht ist, ist sowohl der Preis für die Dienstleistung zu berücksichtigen, den der betreffende Unternehmer anderen Verbrauchern unter den gleichen Bedingungen anbietet, als auch der Preis einer gleichwertigen Dienstleistung, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von anderen Unternehmern erbracht wird.

EuGH 8. 10. 2020, C-641/19, PE Digital

Zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.

Entscheidung

Für das vorlegende Gericht war auch fraglich, ob die Übermittlung des Persönlichkeitsgutachtens – als abgrenzbare Teilleistung – zur Anwendung der Ausnahmebestimmungen des Art 14 Abs 4 Buchst b Z ii und des Art 16 Buchst m Verbraucherrechte-RL führt (und damit zum Verlust des Widerrufsrechts), weil es sich um die Lieferung von digitalen Inhalten handelt, die „nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden“, und die Ausführung des Vertrags mit vorheriger ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers begonnen hat.

Dazu stellt der EuGH klar, dass die Erstellung eines Persönlichkeitsgutachtens auf einer Partnervermittlungs-Website auf der Grundlage eines auf dieser Website durchgeführten Persönlichkeitstests keine Lieferung „digitaler Inhalte“ iSd Art 16 Buchst m (iVm Art 2 Nr 11) RL 2011/83/EU darstellt.

Nicht als Lieferung „digitaler Inhalte“ iS dieser Ausnahmeregelung können nach Ansicht des EuGH weiters Dienstleistungen wie auf der Partnervermittlungs-Website des Ausgangsverfahrens angesehen werden, die dem Verbraucher die Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von Daten in digitaler Form ermöglichen, sowie den Zugang zu solchen Daten und die gemeinsame Nutzung von bzw sonstige Interaktionen mit Daten, die vom Verbraucher oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladen oder erstellt werden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29774 vom 09.10.2020