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MwStSystRL: Art 203, Art 226
Abstract
In der Rs Raiffeisen Leasing hatte sich der EuGH mit der Frage auseinanderzusetzen, wann ein Dokument (im vorliegenden Fall ein Finanzierungsleasingvertrag) als Rechnung iSd MwStSystRL zu qualifizieren ist. Dabei kommt der Gerichtshof zum Ergebnis, dass immer dann von einer Rechnung auszugehen ist, wenn ein Dokument zum einen den Mehrwertsteuerbetrag ausweist und zum anderen jene Angaben enthalten sind, die eine Überprüfung der materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugsrechts ermöglichen.
EuGH 29. 9. 2022, C-235/21, Raiffeisen Leasing
Sachverhalt
Die RED d. o. o. (im Folgenden: RED), ein slowenisches Unternehmen, war Eigentümerin eines Grundstücks und eines Wohnhauses. Zur Finanzierung eines Neubaus auf diesem Grundstück, schloss die RED einen Finanzierungsleasingvertrag (sale-and-lease back) mit der Raiffeisen Leasing ab, aus dem sich auch der Mehrwertsteuerbetrag ergab. Demnach verpflichtete sich die Raiffeisen Leasing das Grundstück zu kaufen, während RED monatliche Leasingraten bis zur vollständigen Rückzahlung des Grundstückswerts und der zu errichtenden Gebäude entrichten sollte. RED wurde auf Grundlage des Finanzierungsleasingvertrags keine Rechnung von der Raiffeisen Leasing ausgestellt, machte jedoch das Recht auf Vorsteuerabzug mit der Begründung geltend, dass es sich bei diesem Vertrag um eine Rechnung iSd Art 203 MwStSystRL handle. In einem zweiten Vertrag schlossen die beiden Gesellschaften einen Kaufvertrag über das Grundstück, in dem der Verkaufspreis sowie die Mehrwertsteuer angegeben wurden und worüber auch eine Rechnung von RED ausgestellt wurde. Nach Vertragsabschluss machte die Raiffeisen Leasing den entsprechenden Vorsteuerabzug geltend. Da RED allerdings nicht in der Lage war, alle ihre sich aus dem Leasingvertrag ergebenden Verpflichtungen innerhalb der vorgesehenen Frist zu erfüllen, kündigten die Parteien den Vertrag. Das Grundstück wurde anschließend von der Raiffeisen Leasing an einen Dritten veräußert. Daraufhin erging an RED ein Bescheid der slowenischen Steuerverwaltung, mit dem ihr das – auf Basis des Finanzierungsleasingvertrags geltend gemachte – Recht auf Vorsteuerabzug versagt wurde. Raiffeisen Leasing erhielt in weiterer Folge das Recht, die im Rahmen des Leasingvertrags in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer zu berichtigen, weil durch Ablehnung des Vorsteuerabzugs von RED die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt wurde. Gleichzeitig wurden der Raiffeisen Leasing Zinsen iHv rd € 50.000 auf die Steuerschuld vorgeschrieben, weil die slowenische Steuerverwaltung der Ansicht war, dass die Gesellschaft die geschuldete Mehrwertsteuer nicht entrichtet habe. Denn der Leasingvertrag sei als Rechnung iSd Art 203 MwStSystRL einzustufen gewesen, weshalb die Raiffeisen Leasing verpflichtet gewesen wäre, die Mehrwertsteuer im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu entrichten. Dieser Bescheid wurde von der Raiffeisen Leasing angefochten. Der OGH von Slowenien stellte daraufhin dem EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren ua die Frage, ob ein schriftlicher Vertrag nur dann als Rechnung iSd Art 203 MwStSystRL anzusehen ist, wenn er alle in der MwStSystRL vorgesehenen Rechnungsangaben enthält.
Entscheidung des EuGH
Art 203 MwStSystRL bezweckt eine sich aus dem Recht auf Vorsteuerabzug ergebende Gefährdung des Steueraufkommens zu vermeiden und sieht dementsprechend vor, dass die Mehrwertsteuer von jeder Person geschuldet wird, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist. Art 226 MwStSystRL enthält in weiterer Folge Angaben, die eine Rechnung nach den Vorschriften der MwStSystRL enthalten muss, um es den Steuerverwaltungen zu ermöglichen, die Entrichtung der geschuldeten Steuer und das Bestehen eines Vorsteuerabzugs zu kontrollieren. Das Vorsteuerabzugsrecht kann dabei nach der Rsp des Gerichtshofs bei Fehlen einzelner Rechnungsmerkmale nicht versagt werden, wenn die Steuerverwaltung über sämtliche Angaben verfügt, um zu überprüfen, ob die materiellen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieses Rechts erfüllt sind (vgl EuGH 15. 9. 2016, C‑516/14, Barlis 06, Rn 43). Das Vorliegen und die ordnungsgemäße Ausstellung einer Rechnung ist zwar nicht automatisch an das Recht auf Vorsteuerabzug gekoppelt, weil dieses Recht i) an die tatsächliche Bewirkung einer umsatzsteuerlichen Leistung geknüpft ist und ii) sich die Ausübung des Vorsteuerabzugs nicht auf eine Steuer erstreckt, die nur aufgrund eines Ausweises in der Rechnung geschuldet wird. Da der Zweck von Art 203 MwStSystRL allerdings darin liegt, eine Gefährdung des Steueraufkommens zu beseitigen, lässt sich eine solche Gefährdung jedenfalls auch dann verhindern, wenn die Steuerverwaltung über die notwendigen Angaben zur Überprüfung der materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugsrechts verfügt. Irrelevant ist dabei, ob die Mehrwertsteuer in einem als „Rechnung“ bezeichneten Dokument oder einem anderen Dokument (wie etwa einem Vertrag) ausgewiesen wurde. Der EuGH hält in diesem Zusammenhang schließlich (recht vage) fest, dass ein Dokument als Rechnung iSd Art 203 MwStSystRL anerkannt werden kann, sofern darin die Mehrwertsteuer ausgewiesen ist und die Angaben iSd Bestimmungen von Titel XI Kapitel 3 Abschn 3 („Rechnungsangaben“) enthalten sind, die erforderlich sind, um die Erfüllung materiellen Voraussetzungen für das Vorsteuerabzugsrecht zu überprüfen.
Conclusio
Im Kern ging es bei der Vorlagefrage des slowenischen OGH um die Frage, ab wann ein Dokument als Rechnung iSd MwStSystRL anzusehen ist und welche Angaben ein solches Dokument (im vorliegenden Fall ein Vertrag) zwingend enthalten muss. Angesichts der bisherigen Rsp des Gerichtshofs ist die Entscheidung in der Rs Raiffeisen Leasing nicht überraschend. Seit der Rs Vădan (EuGH 21. 11. 2018, C-664/16) ist jedenfalls unstrittig, dass es für die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugsrechts nicht auf den Besitz einer (formell richtigen) Rechnung ankommt, sondern auch andere Dokumente ausreichen, sofern sich daraus die Erfüllung der materiellen Voraussetzungen bestätigen lässt. In der erst vor Kurzem ergangenen Rs Wilo Salmson France (EuGH 21. 10. 2021, C-80/20) hat der EuGH zudem betont, dass eine Rechnung gewisse Mindestangaben aufweisen muss, aus denen sich die wesentlichen Informationen bzgl der Leistungserbringung ergeben. Im Hinblick auf diese Rsp wäre es aus Rechtssicherheitsgründen jedenfalls wünschenswert gewesen, wenn sich der EuGH im vorliegenden Fall näher mit den Mindestanforderungen einer Rechnung auseinandergesetzt hätte.