News

EuGH-GA: Luftverkehr – Haftung für Sturz auf der Bordtreppe?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

MÜ: Art 17, Art 20

Aus dem Wortlaut von Art 17 Abs 1 des Übereinkommens von Montreal (MÜ) ergeben sich zwei kumulative Voraussetzungen für die Haftung eines Luftfahrtunternehmens für die (hier) Körperverletzung eines Reisenden: Damit das Luftfahrtunternehmen haftbar ist, muss die „Körperverletzung“ des Reisenden (1.) durch einen „Unfall“ verursacht worden sein, der sich (2.) „an Bord des Luftfahrzeugs“ oder „beim Ein- oder Aussteigen“ ereignet hat.

Der Begriff „Unfall“ iSd Art 17 Abs 1 MÜ erfasst einen Fall, in dem ein Fluggast beim Aussteigen auf der Bordtreppe stürzt, sofern der Sturz durch einen unerwarteten oder ungewöhnlichen Faktor ausgelöst wurde, der außerhalb der Sphäre des Fluggasts liegt.

Art 20 MÜ (Einwand des fahrlässigen Mitverschuldens) findet iZm einem Anspruch nach Art 17 MÜ Anwendung, wenn die kl P nicht die gebotene Sorgfalt hinsichtlich ihrer Sicherheit an den Tag gelegt und aus diesem Grund ihre Verletzung verursacht oder zu ihr beigetragen hat. Die nationalen Gerichte haben dies unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände zu beurteilen. Der Grad der Haftungsbefreiung des Luftfrachtführers hängt davon ab, inwieweit die Verletzung (1.) durch den fraglichen „Unfall“ und (2.) durch die Fahrlässigkeit der kl P verursacht wurde. Die vollständige Haftungsbefreiung ist auf Fälle grober Fahrlässigkeit seitens der kl P beschränkt.

Schlussanträge des Generalanwalts 20. 1. 2022, C–589/20, Austrian Airlines

Sachverhalt

Zu einem Vorabentscheidungsersuchen des LG Korneuburg.

JR verklagte Austrian Airlines vor dem BG Schwechat auf Schadenersatz iHv 4.675 € sA. Sie machte im Wesentlichen geltend, das Luftfahrtunternehmen habe gegen seine vertragliche Verkehrssicherungspflicht zum Schutz der Fluggäste verstoßen und hafte daher nach österreichischem Recht für die Körperverletzungen (Fraktur des linken Unterarms und ein Hämatom am Gesäß), die sie erlitten hat, als sie beim Ausstieg auf der Bordtreppe auf einer öligen und/oder schmierigen Treppenstufe gestürzt war. Es sei beim Ausstieg von Fluggästen auf einer freistehenden Parkposition gängige Praxis, dass das Luftfahrtunternehmen überdachte Bordtreppen bereitstelle und dafür sorge, dass diese nicht schmierig oder rutschig seien. Austrian Airlines habe jedoch trotz Regens keine überdachten Treppen benutzt und damit das Risiko des Ausrutschens auf der nassen Treppe erhöht.

Während einige der Sachverhaltselemente außer Streit stehen, waren va die Fragen strittig, ob die Bordtreppe nass, schmierig oder ölig und somit rutschig und dies der Grund für den Sturz von JR war sowie ob JR fahrlässig gehandelt habe, weil sie sich nicht an den Handläufen festgehalten habe (ihren Angaben nach hatte sie ihren kleinen Sohn auf den Arm genommen, weil sie gesehen habe, dass zuvor ihr Ehemann auf der Treppe beinahe gestürzt war). Die nationalen Gerichte haben bereits alle diese Tatsachen festgestellt und gewürdigt: Nach den Feststellungen waren die Stufen weder rutschig noch in irgendeiner Weise schadhaft.

Nicht festgestellt werden konnte hingegen, warum JR gestürzt ist. Die nationalen Gerichten gehen daher davon aus, dass sie tatsächlich fahrlässig war.

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Haftung von Austrian Airlines nicht anhand des österreichischen Rechts, sondern anhand der Voraussetzungen des Übereinkommens von Montreal zu beurteilen sei. Insoweit sei zweifelhaft, ob ein Sturz wie hier als „Unfall“ iSv Art 17 Abs 1 des Übereinkommens qualifiziert werden könne, wie er im Urteil Niki Luftfahrt (C-532/18, RdW 2020/5) definiert worden sei.

Weiters fragt sich das vorlegende Gericht, ob die Fahrlässigkeit des Fluggasts – der sich nicht an den Handläufen festgehalten hat – das Luftfahrtunternehmen nach Art 20 MÜ von jeglicher Haftung befreie.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31986 vom 21.01.2022