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EuGH-GA: Zusammenschluss iSd FkVO bei Kontrollwechsel

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

VO (EG) 139/2004: Art 3

Mit seiner Vorlagefrage zum Verhältnis von Art 3 Abs 1 Buchst b und Abs 4 VO (EG) 139/2004 (EG-Fusionkontrollverordnung - FkVO) möchte der OGH im Wesentlichen wissen, ob die Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens durch nachträgliche Beteiligung eines oder mehrerer Unternehmen und den damit verbundenen Kontrollwechsel von bisher alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle der „Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens“ iSv Art 3 Abs 4 FkVO gleichsteht und daher das Unternehmen „auf Dauer alle Funktionen einer selbstständigen Einheit“ aufweisen muss (Vollfunktionserfordernis iSv Art 3 Abs 4 FkVO).

Dazu meint die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen, dass die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen ausschließlich dann der europäischen Fusionskontrolle unterliegt, wenn es sich um Vollfunktionsunternehmen handelt - egal, ob es sich um die Schaffung gänzlich neuer Unternehmen oder um die Verwandlung bestehender Unternehmen in Gemeinschaftsunternehmen handelt.

Schlussanträge der Generalanwältin 27. 4. 2017, C-248/16, Austria Asphalt

Sachverhalt

Zum Vorabentscheidungsersuchen OGH als KOG 31. 3. 2016, 16 Ok 1/16g, LN Rechtsnews 21603 vom 9. 5. 2016 = RdW 2016/286.

Sowohl Austria Asphalt GmbH & Co OG (AA) als auch die Teerag Asdag AG (TA) gehören international aufgestellten Baukonzernen an, die ua im Straßenbau tätig sind.

Die Asphaltmischanlage Mürzzuschlag stellt Asphalt für den Straßenbau her und beliefert nahezu ausschließlich TA, in deren alleinigem Eigentum sie derzeit steht.

AA und TA beabsichtigen die Gründung einer GmbH & Co KG, wobei AA und TA je 50 % der Kommanditanteile sowie je 50 % der Anteile an der Komplementärgesellschaft übernehmen sollen. Alle Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung sollen der Einstimmigkeit bedürfen.

Die Asphaltmischanlage soll von TA auf die neu gegründete Gesellschaft übertragen werden. Dieser Vorgang ist bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dahingehend zu verstehen, dass AA eine Beteiligung von 50 % an der Asphaltmischanlage als einem bereits bestehenden Zielunternehmen erwirbt, wobei TA als der das Zielunternehmen bisher allein kontrollierende Veräußerer fortan mitkontrollierend an dem Zielunternehmen beteiligt bleibt. Mit dem erzeugten Asphalt sollen nahezu ausschließlich AA und TA beliefert werden.

Auf die Anmeldung dieser Transaktion hin stellte der österreichische Bundeskartellanwalt beim OLG Wien als Kartellgericht fristgerecht einen Prüfungsantrag nach § 11 Abs 1 KartG, den das Kartellgericht ablehnte: Bei der angemeldeten Transaktion handle es sich um einen Zusammenschluss mit unionsweiter Bedeutung, so dass darauf nicht das österreichische Wettbewerbsrecht anwendbar sei, sondern allein das Unionsrecht in Gestalt der EG-Fusionskontrollverordnung.

Mit ihrem Rekurs gegen diesen Beschluss will AA erwirken, dass ihre Transaktion als ein nach §§ 7 und 9 KartG 2005 anmeldepflichtiges Zusammenschlussvorhaben behandelt wird.

Der OGH hat dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind Art 3 Abs 1 Buchst b und Abs 4 der VO (EG) 139/2004 dahin auszulegen, dass im Fall des Wechsels von alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle an einem bestehenden Unternehmen, wobei das vormals allein kontrollierende Unternehmen weiterhin mitkontrollierend beteiligt bleibt, nur dann ein Zusammenschluss bewirkt wird, wenn dieses Unternehmen auf Dauer alle Funktionen einer selbstständigen Einheit aufweist?

Schlussanträge

In ihren Schlussanträgen weist die Generalanwältin ua darauf hin, dass die EG-Fusionskontrollverordnung so wie die mit ihr verwandte VO (EG) 1/2003 der Durchführung der Wettbewerbsregeln für den Binnenmarkt (Art 101 und 102 AEUV) diene, dabei aber immer nur eine der beiden VO zur Anwendung kommen kann (vgl dazu Art 21 Abs 1 FkVO).

Ein systemkonformes Verständnis von Art 3 FkVO erfordert nach Ansicht der Generalanwältin somit, den Zusammenschlussbegriff so auszulegen, dass nur veritable Veränderungen der Marktstruktur der europäischen Fusionskontrolle ex ante unterworfen werden, hingegen nicht das bloße Marktverhalten von Unternehmen, das nach der VO (EG) 1/2003 lediglich einer repressiven Ex-post-Kontrolle unterliegt (bei kollusiven Verhaltensweisen oder Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung).

Dementsprechend sollte Art 3 Abs 4 FkVO dahingehend interpretiert werden, dass auch im Falle der Verwandlung eines bestehenden Unternehmens in ein Gemeinschaftsunternehmen nur dann ein Zusammenschluss iSv Art 3 Abs 1 Buchst b FkVO vorliegt, wenn es sich um ein Vollfunktionsunternehmen handelt. Denn nur dann kommt es zu einer Veränderung der Marktstruktur, die die Durchführung einer Fusionskontrolle rechtfertigen kann.

Führt hingegen die Transaktion zur Entstehung eines Gemeinschaftsunternehmens ohne Vollfunktionscharakter, könne allenfalls eine Koordinierung des Marktverhaltens der beiden Muttergesellschaften im Rahmen ihrer Zusammenarbeit innerhalb des Gemeinschaftsunternehmens vorliegen, die aber - selbst wenn sie mit Blick auf Art 101 und 102 AEUV durchaus relevant sein kann - kein Problem der europäischen Fusionskontrolle ist, sondern ein Problem der VO (EG) 1/2003.

Die Generalanwältin schlägt dem EuGH daher vor, das Vorabentscheidungsersuchen wie folgt zu beantworten:

Die Überführung eines bestehenden Unternehmens oder Unternehmensteils aus der alleinigen Kontrolle eines Konzerns in die gemeinsame Kontrolle eben dieses Konzerns und eines weiteren, von ihm unabhängigen Konzerns stellt nur dann einen Unternehmenszusammenschluss iSv Art 3 der VO (EG) 139/2004 dar, wenn das aus dieser Transaktion hervorgehende Gemeinschaftsunternehmen auf Dauer alle Funktionen einer selbstständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 23531 vom 04.05.2017