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EuGH: Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Verletzungsklage und Folgeanträge

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

Rom II-VO: Art 8

VO (EG) 6/2002: Art 82, Art 88, Art 89

Bei einer Verletzungsklage nach Art 82 Abs 5 VO (EG) 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGVO) wegen Verletzungshandlungen, die im Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats begangen wurden bzw drohen, müssen die damit befassten Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte die mit dieser Klage verbundenen Folgeanträge auf Schadenersatz, Auskunftserteilung, Belegherausgabe, Rechnungslegung und Herausgabe der nachgeahmten Erzeugnisse zum Zweck ihrer Vernichtung auf der Grundlage des Rechts des Mitgliedstaats prüfen, in dem diese Gerichte ihren Sitz haben (lex fori).

EuGH 3. 3. 2022, C-421/20, Acacia

Zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.

Entscheidung

Im vorliegenden Fall wurde die Klage in Deutschland erhoben und betrifft den Vertrieb bestimmter Erzeugnisse durch Acacia (ein italienisches Unternehmen) in Deutschland. Die vorgeworfenen Verletzungshandlungen bestehen darin, dass den Verbrauchern in Deutschland diese Erzeugnisse über Internetwerbung zum Kauf angeboten werden und dass diese Erzeugnisse in Deutschland in den Verkehr gebracht wurden. Solche Handlungen können tatsächlich mit einer Verletzungsklage angegriffen werden, die sich gem Art 82 Abs 5 GGVO auf das Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats richtet. Dass der Bekl die Entscheidungen und Maßnahmen betr diese Verletzungshandlungen in einem anderen Mitgliedstaat getroffen bzw ergriffen hat, steht der Erhebung einer solchen Klage nicht entgegen (vgl EuGH 5. 9. 2019, C-172/18, AMS Neve ua, RdW 2019/604).

Etwaige Verletzungen das Gemeinschaftsgeschmacksmuster auch in anderen Mitgliedstaaten oder Drittstaaten sind jedenfalls nicht Gegenstand eines Rechtsstreits nach Art 82 Abs 5 GGVO. Insoweit unterscheidet sich die Fallkonstellation des Ausgangsverfahren von derjenigen, die dem Urteil EuGH 27. 9. 2017, C-24/16 und C-25/16, Nintendo, zugrunde lag: Dort waren dem Bekl im Rahmen einer einzigen Klage Verletzungshandlungen in verschiedenen Mitgliedstaaten vorgeworfen worden, sodass die Anwendbarkeit eines einzigen Rechts auf alle Folgeanträge einer Verletzungsklage nach Art 82 Abs 1, 2, 3 oder 4 GGVO (nur) durch die Auslegung des EuGH gewährleistet war, dass unter diesen Umständen die Wendung „Recht des Staates …, in dem die [fragliche Rechts-]Verletzung begangen wurde“ in Art 8 Abs 2 VO (EU) 864/2007 das Recht des Staates bezeichnet, in dem die ursprüngliche Verletzungshandlung begangen worden ist.

Diese Auslegung kann jedoch nicht auf den Fall übertragen werden, dass der Inhaber eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters keine Klage nach Art 82 Abs 1, 2, 3 oder 4 GGVO erhebt, sondern sich dafür entscheidet, eine oder mehrere gezielte Klagen zu erheben, die jeweils auf Verletzungshandlungen gerichtet sind, die iSv Abs 5 dieses Artikels im Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats begangen worden sind oder drohen. Vom angerufenen Gericht kann in diesem Fall weder verlangt werden, dass es prüft, ob in einem anderen Mitgliedstaat eine ursprüngliche Verletzungshandlung begangen worden ist, noch, dass es auf diese Handlung abstellt, um das Recht dieses anderen Mitgliedstaats anzuwenden, obwohl der Rechtsstreit weder diese Handlung noch diesen anderen Mitgliedstaat betrifft.

Zudem kann der Inhaber des Gemeinschaftsgeschmacksmusters in Bezug auf dieselben Verletzungshandlungen nicht mehrere Klagen nebeneinander erheben, die auf Art 82 Abs 5 GGVO und auf die anderen Absätze dieses Artikels gestützt sind (vgl Rs C-172/18, AMS Neve ua, Rn 40 und 41). Somit besteht nicht die Gefahr, dass es zu Situationen kommt, in denen Folgeanträge zu einer Verletzungsklage mit demselben Gegenstand im Rahmen verschiedener Verfahren auf der Grundlage unterschiedlicher Rechtsvorschriften geprüft werden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32178 vom 07.03.2022