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EuGH: HandelsvertreterRL – elektronische Lieferung von Software

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 86/653/EWG: Art 1

Gem Art 1 Abs 2 RL 86/653/EWG (HandelsvertreterRL) ist Handelsvertreter iS dieser RL, wer als selbstständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person („Unternehmer“) den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen. Die HandelsvertreterRL definiert den Begriff „Verkauf von Waren“ nicht und verweist zur Bedeutung des Begriffs auch nicht auf das nationale Recht. Bedeutung und Tragweite dieser Begriffe sind daher entsprechend ihrem üblichen Sinn im gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang sie verwendet werden und welche Ziele mit der Regelung verfolgt werden. Zum vorliegenden Fall hält der EuGH nun fest:

Der Begriff „Waren“ iSv Art 1 Abs 2 HandelsvertreterRL kann ein Computerprogramm einschließen, unabhängig von dem Datenträger, auf dem es geliefert wird. Die Verwendung des Begriffs „Waren“ in den verschiedenen Sprachfassungen der RL lässt keine Unterscheidung danach erkennen, ob der Gegenstand körperlicher oder nicht körperlicher Natur ist. Außerdem entspricht die Online-Übertragung eines Computerprogramms funktionell der Aushändigung eines materiellen Datenträgers (vgl bereits C-128/11, UsedSoft, RdW 2012/467).

Der Begriff „Verkauf von Waren“ in Art 1 Abs 2 HandelsvertreterRL kann die elektronische Lieferung eines Computerprogramms an einen Kunden gegen Bezahlung einschließen, wenn diese Lieferung durch die Erteilung einer unbefristeten Lizenz zur Nutzung des Programms ergänzt wird. Der Begriff „Verkauf“ verlangt zwar nach allgemein anerkannter Definition die Übertragung der Eigentumsrechte an dem körperlichen oder nicht körperlichen Gegenstand. Im besonderen Fall des Verkaufs einer Kopie eines Computerprogramms ist der EuGH aber bereits davon ausgegangen (damals iZm der RL 2009/24/EG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen), dass das Herunterladen einer Kopie des Programms und der Abschluss eines Lizenzvertrags über die Nutzung dieser Kopie ein unteilbares Ganzes bilden und dass mit dem Abschluss eines Lizenzvertrags, durch den diese Kopie für die Kunden gegen Zahlung eines Entgelts dauerhaft nutzbar gemacht werden soll, das Eigentum an dieser Kopie übertragen wird (C-128/11, UsedSoft).

EuGH 16. 9. 2021, C-410/19, The Software Incubator

Ausgangsfall

Zu einem Vorabentscheidungsersuchen des Vereinigten Königreichs.

Das Unternehmen (Computer Associates) erteilt seinen Kunden für die hier strittige Software Nutzungslizenzen, die mit bestimmten Bedingungen verbunden sind (ua Verbot, nicht zugelassene Teile der Software zu modifizieren, zu vermieten, zu übertragen oder eine Unterlizenz zu erteilen) und die entweder befristet oder unbefristet erteilt werden (in der Praxis meist unbefristet). Das Unternehmen behält insoweit alle Rechte wie Urheberrechte, Eigentum, Patente, Markenrechte und alle anderen Eigentümerrechte an der Software.

Computer Associates schloss mit The Software Incubator einen Vertrag, wonach Letztere für Computer Associates potenzielle Kunden im Vereinigten Königreich und Irland ansprechen sollte, um die Software “zu fördern, zu bewerben und zu verkaufen“. Nach dem Vertrag beschränkten sich die Verpflichtungen von The Software Incubator auf Werbung und Vertrieb der Software; Eigentum an der Software durfte The Software Incubator nicht übertragen.

Nach Aufkündigung des Vertrags durch Computer Associates erhob The Software Incubator auf Grundlage der nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der RL 86/653/EWG Klage auf Schadensersatz. Computer Associates wandte sich gegen die Einstufung ihrer Beziehung mit The Software Incubator als Handelsvertretervertrag, weil die elektronische Lieferung eines Computerprogramms an einen Kunden in Verbindung mit der Erteilung einer unbefristeten Lizenz für die Nutzung des Programms keinen „Verkauf von Waren“ iSv Art 1 Abs 2 der RL darstelle.

Hinweis:

Der EuGH ist nach Art 86 Abs 2 des Austrittsabkommens für Vorabentscheidungsersuchen der Gerichte des Vereinigten Königreichs weiterhin zuständig, die – wie hier – vor Ende des Übergangszeitraums (31. 12. 2020) vorgelegt werden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31502 vom 29.09.2021