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Sechste RL 77/388/EWG: Art 2 Nr 1, Art 4 Abs 4
MwStSyst-RL: Art 11
Abstract
Der EuGH hatte anlässlich eines Vorabentscheidungsersuchens des BFH (26. 1. 2023, V R 20/22 [V R 40/19]) die Fragen zu beantworten, ob Innenumsätze einer USt-Organschaft (MwSt-Gruppe) in den Anwendungsbereich der MwSt fallen und ob hierfür eine nicht oder nur teilweise bestehende Vorsteuerabzugsmöglichkeit des Leistungsempfängers entscheidend ist. Nach Ansicht des EuGH fallen Innenumsätze einer USt-Organschaft ungeachtet einer fehlenden oder eingeschränkten Vorsteuerabzugsberechtigung des Leistungsempfängers nicht in den Anwendungsbereich der MwSt und sind somit nicht steuerbar.
EuGH 11. 7. 2024, C-184/23, Finanzamt T II
Sachverhalt
Die öffentlich-rechtliche Stiftung S war Trägerin einer Universität mit einem Bereich Universitätsmedizin. Im Rahmen der Universitätsmedizin erbrachte S steuerbare Dienstleistungen, die insoweit unecht steuerbefreit waren und somit nicht zum Vorsteuerabzug für die Eingangsleistungen berechtigten, als sie auf den Betrieb eines Krankenhauses entfielen. Außerdem nahm sie nicht steuerbare hoheitliche Aufgaben in Form der universitären Ausbildung wahr. S war Organträgerin einer MwSt-Gruppe, deren Mitglied die U-GmbH war. Die U-GmbH erbrachte an die S im Besteuerungszeitraum 2005 ua entgeltliche Reinigungsleistungen im gesamten Gebäudekomplex der Universitätsmedizin, somit neben dem Krankenhaus auch etwa für Hörsäle.
Zu diesem Sachverhalt hat der EuGH bereits in der Rs Finanzamt T I (EuGH 1. 12. 2022, C-269/20) festgestellt, dass die Bestimmung des Organträgers als Stpfl in Form der Organschaft zulässig ist und es bei den Leistungen der Organgesellschaft an den hoheitlichen Bereich des Organträgers zu keiner Eigenverbrauchsbesteuerung kommt. Mit einem erneuten Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH stellte der BFH nun die Fragen, ob Leistungen zwischen Organträger und Organgesellschaft steuerbar sind und ob hierfür eine nicht oder nur teilweise bestehende Vorsteuerabzugsmöglichkeit des Leistungsempfängers bedeutend ist.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH behandelt die beiden Vorlagefragen gemeinsam und stellt zunächst fest, dass der Anwendungsbereich der MwSt gem Art 2 Nr 1 Sechste RL Lieferungen und Dienstleistungen, die ein Stpfl als solcher im Inland erbringt, erfasst. Als Stpfl gilt nach Art 4 Abs 1 Sechste RL, wer eine wirtschaftliche Leistung selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und Ergebnis. Eine Dienstleistung unterliegt nur dann der MwSt, wenn ein Rechtsverhältnis des Leistungsaustauschs zwischen dem Erbringer und dem Empfänger der Dienstleistung besteht. Für das Bestehen eines solchen Rechtsverhältnisses muss der Leistungserbringer einer selbständigen Wirtschaftstätigkeit nachgehen. Mit der Frage, ob zwischen den Mitgliedern einer MwSt-Gruppe erbrachte Leistungen in den Anwendungsbereich der MwSt fallen, hatte sich der EuGH bislang noch nicht zu befassen. In seiner bisherigen und vom BFH im Vorlagebeschluss angeführten Rsp war lediglich die Frage beantwortet worden, ob Mitglieder einer MwSt-Gruppe typisierend als nicht selbständig angesehen werden dürfen (EuGH 1. 12. 2022, C-141/20, Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie, Rn 77-80). Nach Ansicht des EuGH sind aus der Beantwortung dieser Frage keine Erkenntnisse zur Beantwortung der vorliegenden Fragen abzuleiten.
Der EuGH stellt fest, dass die einzelnen Mitglieder einer MwSt-Gruppe nicht mehr als getrennte Stpfl, sondern gemeinsam als ein Stpfl zu behandeln sind. Die Mitglieder können sowohl innerhalb als auch außerhalb der MwSt-Gruppe nicht weiter als Stpfl angesehen werden. Im Einklang mit den SA des GA Rantos (Rn 44 f) führt der EuGH daher aus, dass aufgrund des Verlusts der Eigenschaft als Stpfl eine allfällige Selbständigkeit der Mitglieder der MwSt-Gruppe bei Erbringung einer Leistung an andere Gruppenmitglieder nicht mehr geprüft werden muss. Diese Leistungen fallen nicht in den Anwendungsbereich der MwSt. Eine solche Auslegung ist nach Ansicht des EuGH auch im Einklang mit den Leitlinien des MwSt-Ausschusses (119. Sitzung, 22. 11. 2021) und der Ansicht der Europäischen Kommission (KOM[2009] 325 ).
Zu einer möglichen Gefahr von Steuerverlusten, die sich aus einer mangelnden Vorsteuerabzugsberechtigung des Leistungsempfängers ergeben könnte, stellt der EuGH fest, dass der MwSt-Gruppe selbst und nicht deren Mitgliedern ein Vorsteuerabzug zusteht. In den für den Vorlagebeschluss des BFH maßgebenden Urteilen hat der EuGH (1. 12. 2022, C-141/20, Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie, Rn 60; 1. 12. 2022, Finanzamt T I, Rn 53) zwar die Notwendigkeit, eine Gefahr von Steuerverlusten zu verhindern, anerkannt. Dies geschah jedoch nicht in Bezug auf die vorliegenden Fragen. Beantwortet durch den EuGH wurde in diesem früheren Verfahren nämlich die Frage, ob, anstelle der MwSt-Gruppe selbst, auch deren Organträger zum einzigen Stpfl bestimmt werden kann. Eine allfällige Gefahr von Steuerverlusten ergibt sich nach Ansicht des EuGH im vorliegenden Fall nicht aus den Bestimmungen zur MwSt-Gruppe, sondern aus den Bestimmungen zum Vorsteuerabzug.
Im Ergebnis unterliegen daher nach Ansicht des EuGH „gegen Entgelt erbrachte Leistungen zwischen Personen, die ein und derselben Mehrwertsteuergruppe angehören, selbst dann nicht der Mehrwertsteuer […], wenn die vom Empfänger dieser Leistung geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen werden darf.“
Conclusio
Die Beantwortung der vorliegenden Rechtsfrage ist von immenser Bedeutung. Von dem durch Art 11 MwStSyst-RL eingeräumten Wahlrecht zur Einrichtung einer MwSt-Gruppe haben insgesamt 20 Mitgliedstaaten der EU, unter anderem Deutschland (§ 2 Abs 2 Nr 2 dUStG) und Österreich (§ 2 Abs 2 Z 2 UStG), Gebrauch gemacht (vgl im Detail Anacondia, VAT Options Exercised by the Member States [2023] Abschnitt 2.1, IBFD Tax Research Platform). Würde die Steuerbarkeit der Innenumsätze bejaht werden, so wäre damit die „wesentliche Wirkung“ (Oelmaier, MwStR 2023, 305 [313]) der USt-Organschaft nicht mehr gegeben. Bis vor kurzem noch wurde in der Lit die Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze der MwSt-Gruppe nicht ernsthaft hinterfragt (so die Beobachtung von Ismer/Endres-Reich, MwStR 2023, 305 [312]).
Das Urteil des EuGH in der Rs Norddeutsche Diakonie (1. 12. 2022, C-141/20) hatte jedoch zu Rechtsunsicherheit geführt: So wurden tlw in der Lit und auch vom BFH die Ausführungen des EuGH so verstanden, dass dieser grundsätzlich die Steuerbarkeit von Innenumsätzen annimmt. Jedoch waren die Aussagen des EuGH nicht hinreichend klar, um auf dessen Basis über die (Nicht)Steuerbarkeit der Innenumsätze urteilen zu können (vgl mwN Ismer/Endres-Reich, MwStR 2023, 305 [311]). Insofern wurde die erneute Vorlage des BFH dem Grunde nach begrüßt, wenngleich deren Begründung Kritik in der Literatur ausgesetzt war (vgl Ismer/Endres-Reich, MwStR 2023, 305 [311 f]). In der vorliegenden Entscheidung weist der EuGH an mehreren Stellen deutlich darauf hin, dass seine bisherige Rsp nicht in der vom BFH angenommenen Lesart zu verstehen ist (Rn 32-35, 44 f).
Das in der Literatur befürchtete Ende der USt-Organschaft (vgl etwa Borns/Mittendorfer, ecolex 2023, 247 [248] mwN) bleibt infolge der vorliegenden Rsp aus. Dabei weichen die Ausführungen des EuGH stark von der Beurteilung durch den BFH im Vorlagebeschluss (BFH 26. 1. 2023, V R 20/22 [V R 40/19]) ab. So hatte der BFH argumentiert, dass seit Einführung des Vorsteuerabzugs der Grund für die Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze entfallen sei und sowohl Kontext als auch Ziel und Zweck der Art 2 und 4 Sechste RL für eine Steuerbarkeit sprechen würden (vgl zur Argumentation des BFH Mittendorfer, Rechtsnews 33985, 3. 5. 2023). In der Literatur wurde jedoch bereits die – nun auch durch den EuGH bestätigte – Ansicht vertreten, dass bei einem Umsatz zwischen Organgesellschaften der Stpfl an sich selbst leistet, da es keinen vom Leistenden verschiedenen Empfänger gibt und der Umsatz somit nicht steuerbar sein kann (vgl Borns/Mittendorfer, ecolex 2023, 247 [248]).