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EuGH: Ist die Umsatzsteuer-Zusammenschlussbefreiung auf Organschaften anwendbar?

Bearbeiter: Christina Pollak

MwStSyst-RL: Art 132 Abs 1 lit f, Art 11

UStG: § 6 Abs 1 Z 19, § 6 Abs 1 Z 28, § 2 Abs 2 Z 2

Abstract

Der EuGH beschäftigte sich in diesem Urteil mit der Frage, ob die Zusammenschlussbefreiung auch auf Organschaften anwendbar ist, wenn nicht alle Mitglieder der Organschaft dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten ausüben. Der EuGH folgte den Ausführungen von GA Kokott und bestätigte, dass die Zusammenschlussbefreiung auch auf Organschaften anwendbar ist, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Mitglieder des Zusammenschlusses auch alle Teil der Organschaft sind und dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten ausüben.

EuGH vom 18. November 2020, C-77/19, Kaplan International colleges UK

Sachverhalt

KIC, eine im Vereinigten Königreich ansässige Holdinggesellschaft der Organschaft Kaplan, erbrachte Bildungsleistungen und Dienstleistungen im Bereich Karriereentwicklung. Die Kaplan-Gruppe umfasste neun Tochtergesellschaften (Colleges), die alle im Vereinigten Königreich ansässig waren. Die Tochtergesellschaften standen alle im 100%igen Eigentum von KIC, nur an einer Tochtergesellschaft hielt KIC bloß 45 %. Alle Tochtergesellschaften erbrachten Bildungsleistungen, die gem Art 132 Abs 1 lit I MwStSyst-RL steuerbefreit waren, KICs Leistungen waren von dieser Steuerbefreiung wohl nicht umfasst. Die 100%igen Tochtergesellschaften, die von KIC gehalten wurden, waren Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe (Organschaft) mit der KIC als Organträger.

Im Oktober 2014 gründete die Kaplan-Gruppe die KPS, eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Hongkong, die zu gleichen Teilen von den neun Tochtergesellschaften als Gesellschafter gehalten wurde. KPS war ein Zusammenschluss mit den neun Tochtergesellschaften als Mitglieder, KIC jedoch war nicht Mitglied des Zusammenschlusses. KPS erbrachte großteils Dienstleistungen an die Gesellschafter, insb Dienstleistungen zur Rekrutierung von StudentInnen für die Colleges. Bei dieser Rekrutierung wurde KPS durch Agenten und Repräsentanzen aus dem Drittland unterstützt. Die Agenten und Repräsentanzen stellten ihre Dienstleistungen KPS in Rechnung und KPS teilte diese Kosten und die durch KPS selbst erbrachten Dienstleistungskosten den jeweilig betreffenden Tochtergesellschaften zu; die Kosten wurden demnach den Tochtergesellschaften weiterverrechnet. Die Tochtergesellschaften beriefen sich auf die Zusammenschlussbefreiung in Art 132 Abs 1 lit f MwStSyst-RL und führten keine Mehrwertsteuer im Vereinigten Königreich ab.

Entscheidung des EuGH

Das britische Gericht befragte den EuGH einerseits, ob die Steuerbefreiung in Art 132 Abs 1 lit f MwStSyst-RL angewendet werden kann, wenn Dienstleistungen eines Zusammenschlusses an eine Mehrwertsteuergruppe (Organschaft) erbracht werden und andererseits, ob sich der Umstand, dass der Organträger nicht Mitglied des Zusammenschlusses ist, auf die Anwendung der Steuerbefreiung auswirkt.

Für die Beantwortung dieser Frage nimmt der EuGH eine Interpretation von Art 132 Abs 1 lit f MwStSyst-RL vor: Der Wortlaut des Art 132 Abs 1 lit f MwStSyst-RL sieht die Befreiung von Dienstleistungen vor, die selbständige Zusammenschlüsse von Personen an ihre Mitglieder erbringen. Allein aus dem Wortlaut kann abgeleitet werden, dass die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe nicht die Ausweitung der Zusammenschlussbefreiung auf Nichtmitglieder des selbständigen Zusammenschlusses zur Folge haben kann. Auch die systematische Interpretation kommt zu diesem Ergebnis: Gem Art 132 Abs 1 lit f MwStSyst-RL ist die Zusammenschlussbefreiung nur bei dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten anwendbar. Demnach kann die Zusammenschlussbefreiung auch auf Mehrwertsteuergruppen nur dann angewandt werden, wenn alle Mitglieder der Mehrwertsteuergruppe iSd Art 11 MwStSyst-RL dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten ausüben. Schlussendlich spricht auch das Ziel der Zusammenschlussbefreiung für eine solche enge Auslegung: Die Befreiungen in Art 132 MwStSyst-RL verfolgen das Ziel, dem Gemeinwohl dienende Dienstleitungen günstiger (ohne Unterwerfung der Mehrwertsteuer) erbringen zu können.

Die Zusammenschlussbefreiung ist somit nur anwendbar, wenn die vom Zusammenschluss an die Mitglieder erbrachten Dienstleistungen unmittelbar zu einer dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeit beitragen. Die von einem selbständigen Zusammenschluss von Personen an die Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe erbrachten Dienstleistungen sind als an die Mehrwertsteuergruppe insgesamt erbracht anzusehen. Da der Organträger (KIC) nicht auch Mitglied des selbständigen Zusammenschlusses ist, käme die Anwendung der Steuerbefreiung im vorliegenden Fall somit jemandem zugute, der nicht Mitglied des selbständigen Zusammenschlusses von Personen ist. Deshalb kann die Steuerbefreiung der Organschaft in gegebenen Sachverhalt nicht zugutekommen.

Conclusio

In Kaplan International colleges UK bestätigt der EuGH seine Rsp-Linie zur engen Auslegung von Steuerbefreiungen. Diese enge Auslegung hat zur Folge, dass die Steuerbefreiung für Zusammenschlüsse in § 6 Abs 1 Z 19 und Z 28 UStG nur anwendbar ist, wenn alle Mitglieder einer Organschaft die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung erfüllen – ansonsten würde die Steuerbefreiung erweitert werden. Eine solche Erweiterung widerspricht dem Neutralitätsgrundsatz. Zu dieser Frage finden sich bisher noch keine Ausführungen in den UStR 2000; allerdings hat das BMF in einem Erlass aus 1995 festgehalten, dass die Befreiung bei einer Organschaft dann zum Tragen kommt, wenn der Organkreis überwiegend begünstigte Umsätze erzielt (siehe Rattinger in Melhardt/Tumpel, UStG2 (2015) § 6 Rz 699 mVa BMF 10. 5. 1995, ÖStZ 1995, 274).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30200 vom 07.01.2021