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MwStSyst-RL: Art 9, Art 168, Art 178, Art 273
Abstract
Die Angabe des Lieferers in der Rechnung ist eine formale Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Rechts auf Vorsteuerabzugs, während die Steuerpflichtigeneigenschaft den materiellen Voraussetzungen zuzurechnen ist. Das Recht zum Vorsteuerabzug muss bei Erfüllung der materiellen Voraussetzungen zwar auch dann gewährt werden, wenn bestimmte formale Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Bei fehlender Namhaftmachung des Lieferers ist dieses Recht aber jedenfalls zu versagen, wenn die für die Prüfung der Steuerpflichtigeneigenschaft des Lieferers notwendigen Angaben – unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände und trotz der vom Steuerpflichtigen vorgelegten Informationen – fehlen.
EuGH 9. 12. 2021, C-154/20, Kemwater ProChemie
Sachverhalt
Nach einer Steuerprüfung versagte die tschechische Steuerbehörde der Kemwater ProChemie das Recht auf Vorsteuerabzug betreffend Werbedienstleistungen für Golfturniere. Diese Leistungen wurden von der Viasat Service s. r. o. erbracht. Die Versagung des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer begründete die tschechische Steuerbehörde mit der Tatsache, dass Kemwater ProChemie nicht in der Lage gewesen sei, die tatsächliche Leistungserbringung durch die Viasat Service s. r. o. nachzuweisen. Da weder die Identität des Lieferers noch dessen Eigenschaft als Mehrwertsteuerpflichtiger nachgewiesen werden konnte, wurde die geschuldete Mehrwertsteuer für die jeweiligen Steuerzeiträume von der tschechischen Steuerbehörde festgesetzt. Daraufhin stellte das oberste tschechische Verwaltungsgericht dem EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen die Frage, ob das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen ist, wenn kein Nachweis erbracht wurde, dass die Leistung von einem anderen Steuerpflichtigen erbracht wurde. Sollte dies der Fall sein, stellte sich für das vorlegende Gericht zudem die Frage, ob das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer in einem solchen Fall auch ohne Nachweis der Steuerverwaltung, dass der Steuerpflichtige in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, versagt werden kann.
Entscheidung des EuGH
Das Vorsteuerabzugsrecht unterliegt sowohl materiellen als auch formellen Voraussetzungen. Materielle Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzuges ist gem Art 168 lit a MwStSyst-RL, dass der Betroffene Steuerpflichtiger iSd Richtlinie ist. Daneben müssen die Gegenstände oder Dienstleistungen, die das Vorsteuerabzugsrecht begründen, auf der vorausgehenden Umsatzstufe von einem Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht worden sein und auf der nachfolgenden Umsatzstufe vom Steuerpflichtigen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden. Folglich ist die Angabe des Lieferers in der Rechnung eine formale Voraussetzung für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts, während dessen Steuerpflichtigeneigenschaft zu den materiellen Voraussetzungen dieses Rechts gehört. In diesem Zusammenhang betont der EuGH, dass das Recht zum Vorsteuerabzug bei Erfüllung der materiellen Voraussetzungen jedenfalls auch dann gewährt werden muss, wenn bestimmte formale Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Verfügt die Steuerbehörde über die Angaben, die für den Nachweis der materiellen Voraussetzungen erforderlich sind, darf sie hinsichtlich des Vorsteuerabzugs keine zusätzlichen Voraussetzungen aufstellen, die die Ausübung dieses Rechts verhindern können. Anders wäre dies nur dann zu beurteilen, wenn das Fehlen bestimmter formaler Voraussetzungen, den sicheren Nachweis der Erfüllung der materiellen Voraussetzungen verhindert, was insb bei mangelnder Namhaftmachung des Lieferers der Fall sein kann. Der das Recht auf Vorsteuerabzug ausübende Steuerpflichtige hat daher grundsätzlich durch objektive Nachweise zu belegen, dass der Leistungserbringer Steuerpflichtiger iSd MwStSyst-RL war und die bezogenen Leistungen den der Mehrwertsteuer unterliegenden Umsätzen des Steuerpflichtigen dienten. Bei der Bekämpfung von Mehrwertsteuerhinterziehung darf die Steuerverwaltung aber keine generelle Prüfung der Steuerpflichtigeneigenschaft des Leistungserbringers verlangen. Anders verhält sich das allerdings dann, wenn die Feststellung der Steuerpflichtigeneigenschaft für die Prüfung der materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugsrechts erforderlich ist. Folglich ist die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug bei fehlender Namhaftmachung des Lieferers der Gegenstände oder dem Erbringer der betreffenden Dienstleistung zu versagen, wenn – unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände und trotz der vom Steuerpflichtigen vorgelegten Informationen – die für die Prüfung der Steuerpflichtigeneigenschaft des Lieferers erforderlichen Angaben fehlen. Der Begriff „Steuerpflichtiger“ ist demnach weit gefasst, weshalb sich die Steuerpflichtigeneigenschaft des Lieferers auch aus den Umständen des Falles ergeben kann.
Conclusio
Mit seiner Entscheidung in der Rs Kemwater ProChemie knüpft der EuGH an seine bisherige Rsp betreffend die formellen und materiellen Voraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug an. In der jüngeren Rsp des EuGH zeigt sich, dass der Gerichtshof den formellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzuges eine immer geringere Bedeutung beimisst (s dazu EuGH 11. 11. 2021, C-281/20, Ferimet, Rn 33 mwN). Bei Fehlen formeller Anforderungen darf das Vorsteuerrecht demnach nur dann versagt werden, wenn dieser Verstoß den sicheren Nachweis der Erfüllung der materiellen Voraussetzungen verhindert. Dies kann sich – dem EuGH zufolge – aus der fehlenden Angabe des wahren Lieferers in der Rechnung ergeben, sofern damit die Namhaftmachung und folglich die Feststellung seiner Steuerpflichtigeneigenschaft des Leistungserbringers als materielle Voraussetzung verhindert wird. In Anbetracht des vom EuGH vertretenen „substance over form“-Ansatzes ist jedenfalls fraglich, inwiefern die Rechnung überhaupt noch als Voraussetzung für den Vorsteuerabzug gesehen werden kann. Denn bei den meisten formalen Kriterien des Rechts auf Vorsteuerabzug scheint der EuGH davon auszugehen, dass diese auch anderwärtig nachgewiesen werden können oder – wie im vorliegenden Fall vom Gerichtshof betont – sich aus den tatsächlichen Umständen ergeben können (vgl dazu im Detail Auer, Mehrwertsteuerbetrugsbekämpfung in der EU [2020] 79). Nach Auffassung der österreichischen FinVw berechtigt eine Rechnung bei fehlender Angabe des leistenden Unternehmers nicht zum Vorsteuerabzug. Für das Recht auf Vorsteuerabzug erforderlich ist demnach, dass der auf der Rechnung aufscheinende Leistungserbringer die Leistung tatsächlich erbracht hat und mit der angegebenen Anschrift für umsatzsteuerliche Zwecke jedenfalls greifbar ist (vgl UStR 2000, Rz 1506). Diese formelle Auslegung des Gesetzes widerspricht damit der jüngeren EuGH-Rechtsprechungslinie (vgl zur Bedeutung der Rechnung für den Vorsteuerabzug Gessl/Mittendorfer/Pollak, EuGH Update – Umsatzsteuer, ecolex 2022, im Druck).