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DBA Deutschland – UK 1964: Art 18 Abs 2 lit a
Abstract
Der EuGH hat sich wieder einmal mit „finalen Verlusten“ beschäftigt. In der hier besprochenen Rs W AG widmete sich der Gerichtshof im Wesentlichen der Frage des BFH, ob die Niederlassungsfreiheit zu einer Berücksichtigung „finaler Verluste“ von durch DBA befreiten EU-ausländischen Betriebsstätten verpflichtet. Zwar liegt in der gegenständlichen Konstellation eine Ungleichbehandlung vor, da Verluste einer EU-ausländischen Betriebsstätte — anders als bei dt Betriebsstätten — bei Ermittlung des Einkommens der in Deutschland ansässigen Gesellschaft nicht berücksichtigt werden können. Allerdings — so der EuGH — betrifft die Ungleichbehandlung zwei nicht miteinander vergleichbare Situationen: Der Verzicht auf die Besteuerung der EU-ausländischen Betriebsstätte resultiert nämlich aus einer im DBA vorgesehenen Freistellungsverpflichtung. Somit soll die Situation einer Gesellschaft mit inländischer Betriebsstätte nicht mit jener einer Gesellschaft mit (befreiter) EU-ausländischer Betriebsstätte vergleichbar sein.
EuGH 22. 9. 2022, C-538/20, W AG
Sachverhalt
Die W AG hat ihren Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland (DE) und betreibt eine Wertpapierhandelsbank. Im August 2004 eröffnete sie eine Betriebsstätte im Vereinigten Königreich (UK). Art 18 Abs 2 lit a DBA Deutschland – UK 1964 sieht für Einkünfte einer in DE ansässigen Person aus einer in UK gelegenen Betriebsstätte die Befreiungsmethode vor.
Da die Betriebsstätte der W AG keine Gewinne erzielte, wurde sie im Jahr 2007 wieder geschlossen. Die bis dahin in UK entstandenen steuerlichen Verluste konnten dort folglich nicht mehr vorgetragen werden. Das dt Finanzamt verweigerte die Berücksichtigung dieser Verluste bei der Festsetzung der von der W AG für das Steuerjahr 2007 in Deutschland geschuldeten Körperschaftsteuer (und Gewerbesteuer). Die W AG wendete sich an das FG Hessen, das der Klage — mit Verweis auf die Rs Bevola (12. 6. 2018, C-650/16) — stattgab (4. 9. 2018, 4 K 385/17). Gegen dieses Urteil legte das Finanzamt Revision beim BFH ein. Der BFH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH fünf Fragen zur Vorabentscheidung vor (BFH 6. 11. 2019, I R 32/18). Mit der ersten Frage wollte der BFH im Wesentlichen wissen, ob die Niederlassungsfreiheit (Art 49 und 54 AEUV) einer Regelung entgegensteht, nach der eine Gesellschaft die finalen Verluste ihrer in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Betriebsstätte nicht von ihrem steuerpflichtigen Gewinn abziehen kann, wenn das anzuwendende DBA für die Einkünfte dieser Betriebsstätte die Befreiungsmethode vorsieht.
(Die weiteren Vorlagefragen werden hier nicht dargestellt, da sich der EuGH in dem Urteil nur der oben dargestellten ersten Frage gewidmet hat).
Entscheidung des EuGH
In der vorliegenden Konstellation haben dt Gesellschaften den steuerlichen Vorteil, dass sie die Verluste einer dt Betriebsstätte bei der Ermittlung ihres steuerpflichtigen Einkommens berücksichtigen können. Diesen Vorteil für eine in einem anderen Mitgliedstaat gelegene Betriebsstätte auszuschließen, begründet eine Ungleichbehandlung. Dies könnte eine dt Gesellschaft davon abhalten, ihre Tätigkeit über eine solche Betriebsstätte im EU-Ausland auszuüben. Eine solche Ungleichbehandlung ist nur zulässig, wenn sie objektiv nicht miteinander vergleichbare Situationen betrifft oder einer Rechtfertigungs- und Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält.
Die Vergleichbarkeit eines innerstaatlichen mit einem grenzüberschreitenden Sachverhalt ist unter Berücksichtigung des mit der Regelung verfolgten Ziels zu prüfen. Dient eine Regelung der Vermeidung oder Abschwächung der Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft, befinden sich Gesellschaften mit einer Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat grundsätzlich nicht in einer Situation, die mit jener von Gesellschaften mit einer gebietsansässigen Betriebsstätte vergleichbar wäre. Anders würde es sich nur verhalten, wenn das nationale Steuerrecht selbst diese beiden Arten von Betriebsstätten für die Berücksichtigung der von ihnen erzielten Gewinne und Verluste gleichstellt.
Wenn jedoch der Ansässigkeitsstaat aufgrund eines DBA darauf verzichtet, seine Besteuerungsbefugnisse hinsichtlich der Ergebnisse der Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, ist die Situation einer gebietsansässigen Gesellschaft mit einer gebietsfremden Betriebsstätte nicht mit der einer gebietsansässigen Gesellschaft mit einer gebietsansässigen Betriebsstätte vergleichbar.
Dieses Ergebnis wird auch — so der Gerichtshof — durch das Urteil des EuGH in der Rs Bevola nicht infrage gestellt: In der Rs Bevola hatte der EuGH zwar ausgesprochen, dass sich die Situation einer gebietsansässigen Gesellschaft mit einer gebietsfremden Betriebsstätte nicht von der Situation einer solchen Gesellschaft mit einer gebietsansässigen Betriebsstätte unterscheidet (siehe Rn 38). In der Rs Bevola hatte der Ansässigkeitsstaat (Dänemark) jedoch durch eine unilaterale Bestimmung (und nicht aufgrund eines DBA) auf die Befugnis zur Besteuerung des Ergebnisses der gebietsfremden Betriebsstätte verzichtet. In der gegenständlichen Rs W AG liegt der Fall jedoch anders: Die Situationen sollen dann nicht miteinander vergleichbar sein, wenn der Verzicht auf die Besteuerung einer gebietsfremden Betriebsstätte in einem DBA festgelegt ist. Der EuGH erblickt daher im vorliegenden Fall keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.
Conclusio
Seit dem Urteil in der Rs Marks & Spencer im Jahr 2005 (C-446/03) ist das Konzept der „finalen Verluste“ in der Rsp des EuGH sowie in der Literatur gleichermaßen präsent wie ungeklärt. In der nun entschiedenen Rs W AG sieht der EuGH keine Vergleichbarkeit zwischen Gesellschaften mit inländischer und Gesellschaften mit EU-ausländischer Betriebsstätte, wenn der Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft aufgrund eines DBA darauf verzichtet, die Ergebnisse der Betriebsstätte im EU-Ausland zu besteuern. Damit orientiert sich der EuGH — wie auch GA Collins in seinen Schlussanträgen — stark an den bereits in der Rs Timac Agro (17. 12. 2015, C-388/14) skizzierten Linien, dürfte sich jedoch (implizit) von den Urteilen in den Rs Lidl Belgium (15. 5. 2008, C-414/06) und Bevola (12. 6. 2018, C-650/16) entfernen (s näher zu dem Verhältnis der unterschiedlichen Rs: Kofler, Should We Cut ‘Final’ Losses? EC Tax Review 2022, 108 ff). Durch Verneinung der ersten Vorlagefrage beschäftigte sich der EuGH auch nicht mit den weiteren Fragen des BFH, deren Beantwortung zur Erhellung des Konzepts der „finalen Verluste“ beitragen hätte können. Die offenen Fragen zu „finalen Verlusten“ sind also längst noch nicht final geklärt.
Für die österr Bestimmung des § 2 Abs 8 Z 3 EStG dürfte die Rs W AG keine unmittelbaren Auswirkungen haben. Nach dieser Bestimmung können laufende Verluste (auch) von DBA-befreiten Betriebsstätten von der inländischen Bemessungsgrundlage abgezogen werden, müssen aber nach Z 4 leg cit nachversteuert werden, sofern sie im Ausland verwertet werden können. Die Nachversteuerung im Inland abgezogener Verluste bei Verwertung im Ausland ist unionsrechtlich zulässig (EuGH 23. 10. 2008, C-157/07, Krankenheim Wannsee). § 2 Abs 8 Z 3 EStG geht damit ohnehin über die EU-rechtlichen Erfordernisse hinaus. Für potenzielle zukünftige Novellierungen dieser Norm dürfte das Urteil des EuGH jedoch signalisieren, dass (zumindest) die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit keine Verpflichtung zur Berücksichtigung „finaler Verluste“ von durch DBA befreiten ausländischen Betriebsstätten vorsieht.