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MwStSyst-RL: Art 63, 167, 219
Abstract
Die SEM Remont war Empfängerin einer Leistung und Steuerpflichtige iSd Art 9 MwStSyst-RL. Der Lieferant der Leistung, Gidrostroy, war zum Zeitpunkt der Rechnungslegung am Leistungsort noch nicht als Steuerpflichtiger registriert. Auf der Rechnung wurde keine Mehrwertsteuer, sondern nur der Nettobetrag, ausgewiesen und erst im Nachhinein durch ein bei einer Steuerprüfung erstelltes Protokoll angemeldet. Der EuGH hatte zu entscheiden, ob die SEM Remont einen Vorsteuerabzug aufgrund des Protokolls geltend machen konnte.
EuGH 21. 11. 2024, C-624/23, SEM Remont
Sachverhalt
Die bulgarische Gesellschaft SEM Remont, die Eisenbahnstrecken baut und mehrwertsteuerpflichtig ist, schloss im August 2020 einen Vertrag mit der russischen Gesellschaft Gidrostroy – Russia (idF Gidrostroy) über die Durchführung von Baggerarbeiten. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass Gidrostroy bereits im Dezember 2019 die Umsatzgrenze erreicht hatte und sich daher für Mehrwertsteuerzwecke hätte registrieren müssen.
Die Steuerbehörde forderte Gidrostroy im Dezember 2020 auf, die Mehrwertsteuer (MwSt) zu entrichten. Gidrostroy erstellte daraufhin ein Protokoll, in dem auch der verfahrensgegenständliche Umsatz ausgewiesen wurde. EIS – Stroitelna kompania (EIS), die bulgarische Vertretungsgesellschaft der Gidrostroy, nahm ein Darlehen in Höhe der zu entrichtenden MwSt von der SEM Remont auf. Auf Grundlage des Protokolls machte SEM Remont diesen Betrag als Vorsteuerabzug geltend.
Der Vorsteuerabzug wurde von der Steuerbehörde verweigert, weil der Entstehungstatbestand der Steuerschuld insofern noch nicht erfüllt wurde, als keine Rechnung mit dem ausgewiesenen Mehrwertsteuerbetrag vorhanden war. Weiters führte die Steuerbehörde aus, dass Gidrostroy ihre Rechnung nicht nachträglich berichtigen durfte, weil sie ihre Registrierungspflicht versäumte. Daher mussten sie die MwSt entrichten und durften die Rechnung nicht berichtigen.
Das nationale Verwaltungsgericht legte dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
Sind die nationalen Regeln mit der MwStSyst-RL vereinbar, nach denen ein Unternehmer das Recht auf einen Vorsteuerabzug verliert, wenn der Lieferer seine Registrierungspflicht verletzt und Rechnungen ohne MwSt ausstellt, aber die Steuer nachträglich in einem Protokoll erfasst wird?
Ist eine nationale Regelung mit der MwStSyst-RL und dem Grundsatz der Steuerneutralität vereinbar, nach der nicht fristgerecht registrierte Unternehmer zwar die MwSt entrichten müssen, aber keine Rechnungen berichtigen dürfen, sodass der Vertragspartner den Vorsteuerabzug verliert?
Entscheidung des EuGH
Der EuGH verweist bei der Beantwortung der ersten Frage auf seine st Rsp, in der festgehalten wird, dass der Vorsteuerabzug ein integraler Bestandteil des Mehrwertsteuersystems ist, der grundsätzlich nicht eingeschränkt werden darf. Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist, dass die MwSt, deren Abzug geltend gemacht wird, geschuldet und entrichtet wurde.
Das erstellte Protokoll wurde nicht an die SEM Remont, sondern an die Steuerbehörde ausgestellt und enthält nicht die erforderlichen Voraussetzungen, damit es einer Rechnung gleichgestellt werden kann. Grundsätzlich wird der Vorsteuerabzug trotz fehlender formeller Voraussetzungen auch gewährt, wenn die materiellen Voraussetzungen gegeben sind (EuGH 29. 9. 2022, C-235/21, Raiffeisen LeasingRn 38). Gidrostroy hat seine Leistung an ein neu gegründetes Unternehmen erbracht, das von SEM Remont und EIS gegründet wurde. Weil die Rechnung auf das neue Unternehmen lautete, war SEM Remont nicht Schuldnerin der MwSt. Auch der Darlehensvertrag begründet keine Verpflichtung der SEM Remont zur Zahlung der MwSt und stellt auch keine Berichtigung der ursprünglichen Rechnung dar.
Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass der Vorsteuerabzug verweigert werden kann, wenn ein Unternehmer die Registrierungspflicht verletzt, keine MwSt ausweist und erst im Zuge der Steuerprüfung in einem Protokoll die MwSt ausweist und fordert.
Zur zweiten Frage hat der EuGH bereits entschieden, dass die bulgarische Regelung, die eine Berichtigung von Rechnungen ausschließt, gerechtfertigt ist, um eine ordnungsgemäße Erhebung sicherzustellen oder Steuerhinterziehung zu verhindern, sofern keine Gefährdung für das Steueraufkommen besteht (mVa EuGH 23. 4. 2015, C-111/14, GST – Sarviz Germania, Rn 39).
In dieser zitierten Rs wurde die MwSt sowohl vom Dienstleister als auch vom Empfänger der Dienstleistung entrichtet, sodass die Steuerbehörden die Steuer doppelt vereinnahmten, ohne dass eine Gefährdung des Steueraufkommens bestand.
Diese Argumentation ist jedoch nicht auf den Ausgangssachverhalt übertragbar, weil die MwSt von der SEM Remont weder als Vorsteuer entrichtet noch geschuldet wurde.
Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass Rechnungsberichtigung ausgeschlossen werden kann, wenn auf der Rechnung die MwSt nicht ausgewiesen wurde und erst das Protokoll die Steuer ausweist und zusätzlich der Lieferer zugleich als Empfänger angegeben wurde.
Conclusio
Vor dem 1. 1. 2025 waren Kleinunternehmer iSd § 6 Abs 1 Z 27 UStG, die die Umsatzgrenze überschritten haben, rückwirkend steuerpflichtig. Rechnungen konnten berichtigt werden und der Leistungsempfänger war vorsteuerabzugsberechtigt (UStR 2000 Rz 1000 [Fassung vom 5. 12. 2022]; auch Rößler in Ecker/Epply/Rößler/Schwab [Hrsg], Kommentar zur Mehrwertsteuer, Steuerbefreiung für Kleinunternehmer [§ 6 Abs 1 Z 27] Rz 22). Seit dem 1. 1. 2025 ist die Steuerbefreiung ab dem Zeitpunkt der Überschreitung nicht mehr anwendbar. Überschreitet ein Unternehmer diese Grenze ist er ab diesem Zeitpunkt verpflichtet, Rechnungen mit Umsatzsteuer auszustellen (UStR 2000 Rz 996 [Fassung vom 9. 12. 2024]).
In Österreich sind die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug in § 12 UStG geregelt. Gem § 12 Abs 1 Z 1 UStG muss ein Unternehmer in der Rechnung nach § 11 UStG die Steuer gesondert ausweisen. Gem § 11 Abs 1 Z 3 lit f UStG ist erforderlich, dass der Steuerbetrag getrennt aufgeführt wird (Schwab/Rößler/Epply/Ecker in Ecker/Epply/Rößler/Schwab [Hrsg], Kommentar zur Mehrwertsteuer § 12 UStG Rz 124/3). Grundsätzlich kann die Rechnung berichtigt werden. Wenn die Fehlerhaftigkeit einer Rechnung erst im Zuge einer finanzbehördlichen Überprüfung festgestellt wird und die MwSt zu niedrig oder gar nicht ausgewiesen wurde, ist eine Berichtigung nicht mehr zulässig (UStR 2000 Rz 1831; auch Schwab/Rößler/Epply/Ecker in Ecker/Epply/Rößler/Schwab, Mehrwertsteuer § 12 UStG Rz 152).