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*Ergebnis einer Umfrage unter 225 Steuerberater:innen und Rechtsanwält:innen (Mai 2024) durchgeführt von IPSOS im Auftrag von LexisNexis Österreich.
MwStSyst-RL: Art 143
UZK: Art 79, 86, 203
Abstract
Der EuGH hatte zu entscheiden, ob die Mehrwertsteuerbefreiung des Art 143 Abs 1 lit e MwStSyst-RL auch bei der Verletzung von bloßen Formvorschriften des Zollkodex der Union (UZK) anwendbar ist. Dabei entschied er, dass die Verletzung von Formvorschriften, sofern kein Täuschungsversuch vorliegt, zu keiner Unanwendbarkeit führt. Gerade Art 86 Abs 6 UZK soll diese gutgläubigen Beteiligten bei fahrlässiger Pflichtverletzung schützen und eine übermäßige Sanktionierung bloßer Formalfehler verhindern.
EuGH 12. 6. 2025, C-125/24, Palmstråle
Sachverhalt
AA ist Eigentümer von Pferden, die regelmäßig an Turnierveranstaltungen in verschiedenen Staaten teilnehmen. Nach vorübergehender Verbringung zweier Pferde nach Norwegen führte AA diese Tiere bei der Rückkehr wieder nach Schweden in das EU-Gebiet ein, ohne jedoch die vorgeschriebene Anmeldung vorzunehmen. Kurz nach der Durchfahrt der Grenzstelle wurde AA im Rahmen einer Straßenkontrolle durch die schwedische Zollverwaltung angehalten.
Hinsichtlich der Einfuhrabgabe wurde unter Berücksichtigung des Art 203 UZK von der Erhebung abgesehen (Anm: Der Zollsatz bei diesen Pferden betrug 0 %; vgl GA Kokott 6. 3. 2025, C-125/24, Palmstråle, Rn 41). Die Zollverwaltung forderte aber MwSt, da AA weder eine Anmeldung zur Überlassung zum zollrechtlichen freien Verkehr vorgenommen noch einen Antrag auf Steuerbefreiung gestellt hatte.
Das Verwaltungsgericht Karlstad wies die Klage von AA ab, da die Gestellung der Pferde bei der Wiedereinfuhr unterblieb und daher sowohl die Zoll- als auch die Mehrwertsteuerschuld entstanden seien. Für die Steuerbefreiung seien eine Anmeldung zur Überlassung zum freien Verkehr sowie ein Antrag auf Zollbefreiung notwendig. AA habe beides nicht gemacht. Das gegen diese Entscheidung erhobene Rechtsmittel wurde vom Oberverwaltungsgericht Göteborg abgewiesen. Nachdem AA beim Obersten Verwaltungsgericht ein Rechtsmittel erhoben hatte, legte dieses eine Vorlagefrage dem EuGH zur Entscheidung vor.
Entscheidung des EuGH
Im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens wurde der EuGH gefragt, ob Art 143 Abs 1 lit e MwStSyst-RL sowie Art 86 Abs 6 und Art 203 UZK so auszulegen sind, dass das Fehlen formaler Verpflichtungen und der zollrechtlichen Anmeldung der Befreiung von der MwSt für die Wiedereinfuhr von Gegenständen in das EU-Gebiet entgegensteht.
Gem Art 143 Abs 1 lit e MwStSyst-RL ist die Wiedereinfuhr von Gegenständen, die unter eine Zollbefreiung fallen und sich bei der Wiedereinfuhr in demselben Zustand befinden wie bei der Ausfuhr, von der Mehrwertsteuer befreit. Voraussetzung hierfür ist neben den materiellen auch die Erfüllung der formalen Voraussetzungen für eine zollrechtliche Befreiung.
Art 203 UZK setzt für eine Einfuhrabgabenbefreiung für Rückwaren eine Anmeldung zur Überlassung zum zollrechtlichen Verkehr sowie eine Wiedereinfuhr innerhalb von drei Jahren voraus. Im Fall lagen die materiellen Voraussetzungen der Zollbefreiung vor. Jedoch waren die formellen Voraussetzungen nicht erfüllt, da AA die Pferde nicht zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldet hatte.
Gleichzeitig normiert Art 79 Abs 1 lit a UZK, dass bei Verstößen gegen zollrechtliche Verpflichtungen eine Zollschuld entsteht. Jedoch erweitert Art 86 Abs 6 UZK die Befreiung auf Einfuhrabgaben, wenn eine Zollschuld nach Art 79 UZK entstanden ist, sofern kein Täuschungsversuch vorgelegen hat. Der EuGH betont, dass Art 86 Abs 6 UZK praktisch seiner Wirksamkeit genommen würde, wenn er in Fällen, in denen formale Vorschriften verletzt werden, aber die materiellen Vorschriften erfüllt sind, nicht angewendet würde. Die Anwendbarkeit von Art 86 Abs 6 UZK setzt nämlich gerade voraus, dass ein formaler Fehler vorliegt.
Diese Ansicht unterstützt auch der 38. Erwägungsgrund zum Zollkodex, der eine Berücksichtigung des guten Glaubens und eine Milderung der Folgen bloß fahrlässigen Verhaltens vorsieht. Der EuGH gelangt daher zum Ergebnis, dass die Verletzung bloßer Formvorschriften der Anwendung der Mehrwertsteuerbefreiung nach Art 143 Abs 1 lit e MwStSyst-RL nicht entgegensteht, sofern kein Täuschungsversuch vorliegt. Die Feststellung, ob AA gutgläubig gehandelt und lediglich fahrlässig gegen die formalen Pflichten verstoßen hat, obliegt dem vorlegenden Gericht.
Daher antwortet der EuGH auf die Vorlagefrage, dass – sofern kein Täuschungsversuch vorliegt – die Nichterfüllung formaler zollrechtlicher Verpflichtungen der Mehrwertsteuerbefreiung bei der Wiedereinfuhr von Gegenständen nicht entgegensteht.
Conclusio
Hervorzuheben sind die Schlussanträge der GA, in denen Kokott ausführt, dass die Einhaltung des Zollverfahrens keine Voraussetzung für die Einfuhrumsatzsteuerbefreiung nach Art 143 Abs 1 lit e MwStSyst-RL darstellt, sofern die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind. Sie argumentiert damit, dass das Zollrecht weitaus stärker als das Mehrwertsteuerrecht formalisiert ist. Während formale Verstöße eine Zollschuld begründen können, führen vergleichbare Verstöße im Mehrwertsteuerrecht nicht automatisch zur Entstehung einer Steuerschuld, sofern die materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung vorliegen. Die Sicherstellung zollrechtlicher Pflichten ist Aufgabe des Zollrechts selbst und soll sich nicht auf das Mehrwertsteuerrecht auswirken (GA Kokott 6. 3. 2025, C-125/24, Palmstråle, Rn 40 ff).
Zu Art 86 Abs 6 UZK kann ausgeführt werden, dass diese Bestimmung der Vermeidung unverhältnismäßiger Konsequenzen bei Verletzung zollrechtlicher Formalvoraussetzungen dient, wenn der Verstoß nur auf Fahrlässigkeit beruht und kein Täuschungsversuch vorliegt. Ein Täuschungsversuch liegt bspw bei bewusst falsch gemachten Angaben vor, unabhängig davon, ob diese zu einer höheren oder niedrigeren Abgabenfestsetzung führen. Die Beweislast für das Nichtvorliegen eines Täuschungsversuchs trägt der Antragsteller (Lux in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert [2020] Art 86 Rz 46).
Im österreichischen UStG wurde Art 143 Abs 1 lit e MwStSyst-RL in § 6 Abs 4 Z 8 UStG umgesetzt (vgl Rattinger in Melhardt/Tumpel, UStG3 § 6 Rz 871).