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MwStSyst-RL: Art 2 Abs 1, Art 9 Abs 1
Abstract
Der EuGH hatte zu entscheiden, ob eine Gemeinde mehrwertsteuerpflichtig ist, wenn sich diese mittels eines mit Liegenschaftseigentümern geschlossenen Vertrags verpflichtet, PV-Anlagen auf deren Liegenschaften zu errichten und nach einer gewissen Zeit das Eigentum an diesen Anlagen auf die Liegenschaftseigentümer zu übertragen. Dabei war zum einen unklar, ob in der Lieferung der PV-Anlagen eine Leistung gegen Entgelt gesehen werden kann. Zum anderen war fraglich, ob die Gemeinde einer wirtschaftlichen Tätigkeit iSd Art 9 Abs 1 MwStSyst-RL nachgeht.
EuGH 30. 3. 2023, C-612/21, Gmina O
Sachverhalt
Die Gemeinde O nahm an einem Projekt zur Errichtung von PV-Anlagen teil. Dieses Projekt sollte den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft ermöglichen. Auf Basis dieses Projekts schloss die Gemeinde Verträge mit Liegenschaftseigentümern innerhalb des Gemeindegebietes ab, wonach die Gemeinde auf den privaten Liegenschaften PV-Anlagen errichten durfte. Besagte PV-Anlagen verblieben in den ersten fünf Jahren nach Errichtung im Eigentum der Gemeinde. Nach Ablauf dieses Zeitraums ging das Eigentum auf den Eigentümer der jeweiligen Liegenschaft über. Bezüglich der Kosten der Errichtung erhielt die Gemeinde O eine öffentliche Subvention iHv 75 % der (nur) förderfähigen Kosten (niedriger als die Gesamtkosten). Die restlichen 25 % der förderfähigen Kosten wurden von den Liegenschaftseigentümern getragen.
Sowohl die polnische Steuerinformationsbehörde als auch das polnische Verwaltungsgericht vertraten die Auffassung, dass die Gemeinde im Rahmen dieser Tätigkeit der Umsatzsteuer unterlag. Im Zuge dessen erhob die Gemeinde Beschwerde, woraufhin das polnische Oberste Verwaltungsgericht dem EuGH folgende Fragen vorgelegt hat:
1. Sind Art 2 Abs 1 und Art 9 Abs 1 dahingehend auszulegen, dass die Gemeinde mehrwertsteuerpflichtig ist, wenn sie ein Projekt umsetzt, das darauf abzielt, den Anteil erneuerbarer Energiequellen zu erhöhen, indem sie sich mittels eines mit Liegenschaftseigentümern geschlossenen Vertrags dazu verpflichtet, Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien auf deren Liegenschaften zu errichten und nach einer gewissen Zeit das Eigentum an diesen Anlagen auf die Liegenschaftseigentümer zu übertragen?
2. Bei Bejahung der ersten Frage: Sind die von einer Gemeinde für die Umsetzung von Projekten aus europäischen Mitteln erhaltenen Subventionen in die Steuerbemessungsgrundlage iSd Art 73 MwStSyst-RL einzubeziehen?
Entscheidung des EuGH
Die Mehrwertsteuerpflicht der Gemeinde setzt voraus, dass eine Leistung gegen Entgelt iSd Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL erbracht wird und einer wirtschaftlichen Tätigkeit iSd Art 9 Abs 1 MwStSyst-RL nachgegangen wird. Im gegenständlichen Fall bezahlen die Liegenschaftseigentümer 25 % der förderfähigen Kosten der PV-Anlagen. Die Gemeinde beauftragt im Gegenzug die Lieferung und Installation von PV-Anlagen, wobei die Liegenschaftseigentümer nach fünf Jahren zu Eigentümern der Anlagen werden. Der EuGH überlässt es dem vorlegenden Gericht zu entscheiden, ob darin ein umsatzsteuerrechtlicher Leistungsaustausch iSd Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL zu sehen ist. Allerdings stellt der Gerichtshof fest, dass es für das Vorliegen einer entgeltlichen Leistung unerheblich ist, ob eine Leistung zu einem Preis unter oder über dem normalen Marktpreis bewirkt wird. Auch die Tatsache, dass die Gemeinde die restlichen 75 % der förderfähigen Kosten durch eine öffentliche Subvention erhält, schadet einer Einordnung unter Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL nicht.
Im nächsten Schritt prüft der Gerichtshof, ob diese Umsätze im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit iSd Art 9 Abs 1 MwStSyst-RL bewirkt werden. Hier weist der EuGH darauf hin, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit Nachhaltigkeit voraussetzt. Die Gemeinde O hat allerdings ausgeführt, dass sie nicht beabsichtigt, regelmäßig PV-Anlagen zu installieren oder Arbeitnehmer zu diesem Zweck zu beschäftigen. Außerdem beschränkt sich die Gemeinde darauf, von den Eigentümern der Liegenschaften lediglich 25 % der förderfähigen Kosten zu verlangen. Die Gemeinde muss für die PV-Anlagen allerdings den üblichen Marktpreis bezahlen. Selbst unter Berücksichtigung der Subvention, die 75 % der förderfähigen Kosten umfasst, sind die Beiträge niedriger als die dieser Gemeinde tatsächlich entstandenen Gesamtkosten. Die Gemeinde trägt daher nur das Risiko von Verlusten, ohne eine Aussicht auf Gewinn zu haben. Aufgrund dieser Ausführungen geht der EuGH davon aus, dass die Gemeinde keiner wirtschaftlichen Tätigkeit iSd Art 9 Abs 1 MwStSyst-RL nachgeht und verneint somit die erste Vorlagefrage. Infolgedessen lässt der Gerichtshof die zweite Frage unbeantwortet.
Conclusio
Im ersten Schritt führte der EuGH aus, dass ein Entgelt unter dem üblichen Marktpreis dem Vorliegen einer Leistung gegen Entgelt iSd Art 2 Abs 1 MwStSyst-RL nicht entgegensteht. Außerdem muss das Entgelt nicht unmittelbar vom Leistungsempfänger erbracht werden. Dies entspricht weitestgehend der bisherigen Rsp (EuGH 15. 4. 2021, C-864/19, Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, Rn 43). Im zweiten Schritt befasste sich der Gerichtshof mit der Frage, ob defizitäre Tätigkeiten der öffentlichen Hand eine wirtschaftliche Tätigkeit iSd Art 9 Abs 1 MwStSyst-RL begründen können. Diesbezüglich stellt der EuGH fest, dass im gegenständlichen Fall keiner nachhaltigen Tätigkeit nachgegangen wird. Außerdem erhält die Gemeinde O – rechnet man die öffentliche Subvention hinzu – ausschließlich die förderfähigen Kosten ersetzt. Diese Kosten liegen jedoch unter den Gesamtkosten, die die Gemeinde an das PV-Anlagen liefernde Unternehmen zu zahlen hat. Aufgrund mangelnder Nachhaltigkeit und keiner Möglichkeit Gewinne zu erzielen, verneint der EuGH folgerichtig die wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinde. Dies hat zum einen zur Folge, dass eine Besteuerung auf Ausgangsseite unterbleiben kann. Zum anderen ist auf Eingangsseite kein Vorsteuerabzug mehr möglich.