News

EuGH: Minderung der Bemessungsgrundlage bei ex lege Zahlungen an einen staatlichen Krankenversicherungsträger

Bearbeiter: Bence Péter Komár

MwStSyst-RL: Art 73, 78 Abs 1 lit a, 90 Abs 1

Abstract

In der Rs Novo Nordisk setzt sich der EuGH mit der Frage auseinander, welche Auswirkung vom Steuerpflichtigen geleistete Zahlungen auf die Steuerbemessungsgrundlage haben, wenn diese Zahlungen aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung erfolgen und sie den Charakter von Steuereinnahmen iSd Art 78 Abs 1 lit a MwStSyst-RL haben.

EuGH 12. 9. 2024, C-248/23, Novo Nordisk A/S

Sachverhalt

Die dänische Gesellschaft Novo Nordisk verkauft eigens hergestellte Arzneimittel in Ungarn, welche vom ungarischen Krankenversicherungsträger NEAK bezuschusst werden. Die Arzneimittel werden von Novo Nordisk über Großhändler an Apotheken verkauft. Letztere verkaufen diese Arzneimittel an beim NEAK versicherte Personen. Dabei zahlen die Versicherten den Apotheken nur einen Teil des vollen Arzneimittelpreises. Der restliche Teil wird durch NEAK direkt an die Apotheken gezahlt (Sozialversicherungszuschuss). Novo Nordisk ist gesetzlich verpflichtet einen Geldbetrag an die Steuerbehörde zu zahlen, wobei es sich um einen gesetzlich festgelegten, prozentualen Anteil der durch NEAK ausgezahlten Sozialversicherungszuschüsse für die durch Novo Nordisk hergestellten Arzneimittel handelt. Die Steuerbehörde überweist diesen Betrag an NEAK weiter. Novo Nordisk verwendet einen Teil ihrer Einnahmen aus den Arzneimittelverkäufen, um ihre gesetzliche Zahlungspflicht zu erfüllen.

Die Gesellschaft reichte bei der ungarischen Steuerbehörde eine berichtigte MwSt-Erklärung für Jänner 2016 ein. In dieser beantragte sie eine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage für den betreffenden Zeitraum um die im Rahmen der gesetzlichen Zahlungspflicht geleisteten Zahlungen. Die Steuerbehörde wies die Erklärung mit der Begründung zurück, dass die gegenständlichen Zahlungen keine für die Umsatzsteuer abziehbare Preisnachlässe sind, weil sie als Steuer anzusehen seien, die nicht den Endverbrauchern, sondern der staatlichen Steuerbehörde zugutekämen und ein Mittel zur Erreichung der Haushalts- und Gesundheitsziele seien. Novo Nordisk erhob daraufhin Klage beim Hauptstädtischen Stuhlgericht, Ungarn, welches dem EuGH die Frage vorlegte, ob Zahlungen aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung als Preisnachlass gem Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL eingestuft werden können.

Entscheidung des EuGH

Gem Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL ist die Steuerbemessungsgrundlage ua im Falle eines Preisnachlasses zu reduzieren, wenn der Steuerpflichtige nach der Bewirkung des Umsatzes zumindest einen Teil der ursprünglich vereinbarten Gegenleistung nicht erhält. Dies ist ein Ausdruck jenes fundamentalen Grundsatzes der MwStSyst-RL, nach dem die tatsächlich erhaltene Gegenleistung als Bemessungsgrundlage dient. Aus diesem folgt, dass die Steuerverwaltung als MwSt keinen Betrag erheben darf, der den dem Steuerpflichtigen gezahlten übersteigt (EuGH 15. 10. 2020, C-335/19, E. [Mehrwertsteuer – Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage], Rn 21). Zunächst bestätigt der EuGH das Argument der ungarischen Steuerbehörde im Anlassfall, wonach die von Novo Nordisk geleisteten streitigen Zahlungen als Steuer iSd Art 78 Abs 1 lit a MwStSyst-RL grds in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden können.

Der EuGH weist danach auf zwei ähnlich gelagerte Fälle hin. In der Rs Boehringer Ingelheim Pharma aus 2017 wurden Arzneimittel eines pharmazeutischen Unternehmens über Großhändler an Apotheken geliefert. Die Apotheken verkauften die Arzneimittel an krankenversicherte, denen von der privaten Krankenversicherung die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet wurden. Aufgrund einer Gesetzesregelung musste das pharmazeutische Unternehmen der privaten Krankenversicherung einen Abschlag gewähren. Nach Ansicht der EuGH führte dieser Abschlag zur Verminderung der Bemessungsgrundlage (s EuGH 20. 12. 2017, C-462/16, Boehringer Ingelheim Pharma, Rn 46). Außerdem darf die Minderung der Bemessungsgrundlage nicht deshalb versagt werden, weil die vom Steuerpflichtigen nach der Bewirkung des Umsatzes geleistete Zahlungen nicht vom Steuerpflichtigen selbst bestimmt und sie nicht zur Absatzförderung geleistet werden (EuGH 6. 10. 2021, C-717/19, Boehringer Ingelheim, Rn 55). Der Unterschied im Sachverhalt, nämlich dass das Krankenversicherungsunternehmen in der Rs Boehringer Ingelheim aus 2021 einen privaten Charakter hat, wohingegen die streitigen Zahlungen im Anlassfall den Charakter von Steuereinnahmen hätten, ist für die Anwendung des Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL auch unerheblich.

Wesentlich für die Beurteilung der streitigen Zahlungen als Preisnachlass iSd leg cit ist vielmehr, dass deren tatsächlicher Empfänger NEAK ist, der sie zur Bezuschussung von Arzneimittelkaufpreisen verwendet – genauso wie der private Versicherungsträger dies in der Rs Boehringer Ingelheim Pharma getan hat. Die Apotheken müssen auf diesen vom NEAK erhaltenen (Teil-)Betrag genauso MwSt zahlen, wie sie auf den von den Patienten gezahlten (Teil-)Beträge MwSt zahlen. Schließlich erhält Novo Nordiskeinen Teil der ursprünglich vereinbarten Gegenleistung für den Verkauf der Arzneimittel nicht, weil sie einen Teil des von den Arzneimittelgroßhändlern erhaltenen Kaufpreises an den NEAK abführt. Im Ergebnis kann die Art und Weise, in der die streitigen Zahlungen geleistet wurden, die Einstufung als Preisnachlass gem Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL nicht in Frage stellen.

Conclusio

Der EuGH folgt seiner Rsp-Linie in den Rs Boehringer Ingelheim Pharma (2017) und Boehringer Ingelheim (2021). Der Gerichtshof betont darüber hinaus, dass der Steuercharakter von Zahlungen (s Art 78 Abs 1 lit a MwStSyst-RL) der Beurteilung als Preisnachlass (Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL) nicht entgegensteht. Die Möglichkeit der Reduzierung der Bemessungsgrundlage beruht im Übrigen auf dem Grundprinzip, dass die MwSt nur den Endverbraucher belasten soll und für die Steuerpflichtigen, die auf den Produktions- und Vertriebsstufen vor dem Stadium der endgültigen Besteuerung tätig sind, unabhängig von der Zahl der Umsätze völlig neutral sein soll. Dieser Grundsatz bliebe nicht gewahrt, wenn die Steuerbemessungsgrundlage höher wäre als jener Betrag, den der Steuerpflichtige letztlich erhält. Aus dem vorliegenden und den zitierten Entscheidungen geht auch klar hervor, dass es im gegebenen Kontext unerheblich ist, ob der tatsächliche Empfänger des Preisnachlasses der unmittelbare Abnehmer des Steuerpflichtigen ist oder eine andere Person in der Lieferkette. Im vorliegenden Fall wurde der Preisnachlass nicht an die Arzneimittelgroßhändler gewährt (das waren die Abnehmer von Novo Nordisk), sondern an den ungarischen Krankenversicherungsträger, der einen Teil der Kosten der Patienten gegenüber den Apotheken übernahm (Gegenleistung eines Dritten iSd Art 73 MwStSyst-RL).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35996 vom 23.10.2024