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EuGH: Minderung der Steuerbemessungsgrundlage im Fall eines Preisnachlasses nach Bewirkung des Umsatzes

Bearbeiter: Theresa Gessl

MwStSyst-RL: Art 73, Art 90, Art 273

Abstract

In der Rs Boehringer Ingelheim beschäftigte sich der EuGH mit der Frage, ob ein Preisnachlass, der auf einem privatrechtlichen Vertrag beruht, zur Anwendung von Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL verpflichtet. Der EuGH bejaht dies im Ergebnis. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Urteil vom 20. 12. 2017 (EuGH 20. 12. 2017, C-462/16, Boehringer Ingelheim Pharma) ergibt sich, dass der Anwendungsbereich von Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL auf Preisnachlässe beschränkt ist, die sich aus gesetzlichen Verpflichtungen ergeben.

EuGH 6. 10. 2021, C-717/19, Boehringer Ingelheim

Sachverhalt

Boehringer Ingelheim verkaufte über Großhändler auf dem ungarischen Markt Arzneimittel an Apotheken. Diese Arzneimittel wurden vom staatlichen Krankenversicherungsträger NEAK bezuschusst. Die Apotheken verkauften die Medikamente anschließend an die bei NEAK versicherten Personen weiter, wobei diese nur mehr den Differenzbetrag zwischen dem Preis des Medikaments und dem von NEAK direkt an die Apotheken geleisteten Zuschussbetrag zu zahlen hatten. Der NEAK vergütete der Apotheke nachträglich den in Rede stehenden Zuschussbetrag. Die Apotheke entrichtete die Mehrwertsteuer somit sowohl auf den vom Patienten bezahlten Betrag als auch auf den Betrag, der ihr vom staatlichen Krankenversicherungsträger NEAK bezuschusst wurde.

Damit die von NEAK auf dem ungarischen Markt vertriebenen Arzneimittel bezuschusst bleiben, gab es für den Zeitraum zwischen 2013 und 2017 einen privatrechtlichen Vertrag zwischen Boehringer Ingelheim und NEAK. Darin verpflichtete sich Boehringer Ingelheim, pro verkauftem Arzneimittel einen bestimmten Betrag an NEAK zu zahlen. Die vereinbarten Zahlungen wurden vom Umsatz aus dem Verkauf dieser Arzneimittel abgezogen, es wurde jedoch seitens der NEAK keine Rechnung dafür ausgestellt. Boehringer Ingelheim ist der Auffassung, dass der von ihr an NEAK gezahlte Betrag gem Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL zu einer Verminderung der Umsatzsteuerbemessungsgrundlage führe, sodass das Pharmaunternehmen Anspruch auf Erstattung der Umsatzsteuer habe. Sowohl die erstinstanzliche ungarische Steuerbehörde als auch die Rechtsbehelfsdirektion lehnten die nachträgliche Verminderung der Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer ab.

Entscheidung des EuGH

Das ungarische Recht sieht vor, dass die Steuerbemessungsgrundlage bei einem Preisnachlass nach Bewirkung des Umsatzes vermindert werden muss, sofern die Zahlungen zur Absatzförderung erfolgen und die abgeschlossenen Verträge auf Grundlage von in der Geschäftspolitik des Unternehmens festgelegten Bedingungen beruhen. Außerdem muss eine Rechnung über die Erstattung vorliegen.

Kern der Entscheidung des EuGH war daher die Frage, ob ein Preisnachlass nach Bewirkung des Umsatzes für die Arzneimittel vorliegt, obwohl die Zahlungen des pharmazeutischen Unternehmens an die staatliche Krankenkasse weder auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen noch auf einer Weise stattfanden, die es in seiner Geschäftspolitik festgelegt hat und die Zahlungen nicht in erster Linie zur Absatzförderung erfolgten.

In einem ersten Schritt prüfte der EuGH, ob Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein pharmazeutisches Unternehmen von seiner Bemessungsgrundlage den Teil seines Umsatzes aus dem Verkauf von Arzneimitteln, die bezuschusst werden, nicht abziehen kann, weil die Zahlungen nicht zur Absatzförderung geleistet wurden. Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL erfasst ua den Preisnachlass nach Bewirkung des Umsatzes. Die Mitgliedstaaten (MS) sind demnach verpflichtet, die Steuerbemessungsgrundlage immer dann zu vermindern, wenn der Steuerpflichtige nach der Bewirkung des Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält. Die Steuerverwaltung darf als MwSt somit keinen Betrag erheben, der den dem Steuerpflichtigen gezahlten Betrag übersteigt (EuGH 15. 10. 2020, C-335/19, E.). Zwar haben die MS die Möglichkeit, Bedingungen für einen Preisnachlass nach Bewirkung des Umsatzes festzulegen, aber bereits in der Rs Boehringer Ingelheim Pharma hat der EuGH festgehalten, dass die Steuerbemessungsgrundlage zu vermindern ist, wenn von einer privaten Krankenversicherung die Kosten für den Bezug von Arzneimittel erstattet werden (EuGH 20. 12. 2017, C-462/16, Boehringer Ingelheim Pharma). Der Unterschied im vorliegenden Sachverhalt liegt darin, dass hier ein privatrechtlicher Vertrag vorliegt, in welchem sich Boehringer Ingelheim verpflichtet, an NEAK pro verkauftem Arzneimittel einen bestimmten Betrag zu zahlen. Boehringer Ingelheim erhält durch die Zahlung einen Teil des Preises dieser Arzneimittel nicht, weshalb der EuGH festhält, dass von einem Preisnachlass nach Bewirkung des Umsatzes iSd Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL auszugehen ist. Lt EuGH fällt es jedoch nicht in den Gestaltungsspielraum der MS, die Bemessungsgrundlage nur dann zu vermindern, wenn die mit dem staatlichen Krankenversicherungsträger abgeschlossenen Verträge auf Grundlage der in seiner Geschäftspolitik festgelegten Bedingungen beruht und zur Absatzförderung bestimmt sind.

Der EuGH prüfte weiters, ob die nachträgliche Verminderung der Bemessungsgrundlage für die MwSt voraussetzt, dass der erstattungsberechtigte Steuerpflichtige über eine Rechnung verfügt, wenn der Umsatz auf andere Weise nachgewiesen werden kann. Gem Art 273 MwStSyst-RL können die MS Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und somit Steuerhinterziehung zu vermeiden. Diese Maßnahmen dürfen jedoch nur so eingesetzt werden, dass sie die Ziele und Grundsätze der MwStSyst-RL so wenig wie möglich beeinträchtigen (EuGH 26. 1. 2012, C-588/10, Kraft Foods Polska). Der EuGH hält dazu fest, dass der Steuerpflichtige den nationalen Steuerbehörden auch mit anderen Mitteln nachweisen kann, dass der Umsatz, der zu einer Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage führt, tatsächlich bewirkt wurde. Dies gilt umso mehr, wenn wie vorliegenden Fall, der in Rede stehende Umsatz in Bezug auf eine staatliche Einrichtung bewirkt wurde. Dies hat zur Folge, dass Art 90 Abs 1 iVm Art 273 MwStSyst-RL eine Rechnung nicht voraussetzt, sofern der zur Erstattung berechtigende Umsatz auf andere Weise nachgewiesen werden kann.

Conclusio

Das vorliegende Urteil ist im Einklang mit der bisherigen EuGH-Rsp. Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL ist Ausdruck eines fundamentalen Grundsatzes des MwSt-Systems, nach dem Bemessungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist. Die Finanzverwaltung darf folglich nicht mehr MwSt erheben, als sie dem an den leistenden Unternehmer gezahlten Betrag entspricht. Im vorliegenden Fall hält der EuGH fest, dass die Gewährung des Rabatts nicht gesetzlich vorgeschrieben sein muss, sondern ein privatrechtlich abgeschlossener Vertrag dafür ausreicht. Die gesetzliche Verpflichtung ist somit kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Art 90 Abs 1 MwStSyst-RL.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31800 vom 07.12.2021