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EuGH: MwSt-Befreiung für Einfuhr nicht kommerzieller Art

Bearbeiter: Bence Komár

MwStSyst-RL: Art 143 Abs 1 lit b

RL 2006/79/EG: Art 1

Abstract

Kleinsendungen nicht kommerzieller Art, die von einer Privatperson außerhalb der EU an eine in der EU ansässige Privatperson getätigt werden, sind bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen von der MwSt befreit (Art 143 Abs 1 lit b MwStSyst-RL iVm Art 1 RL 2006/79/EG). Im Ausgangsverfahren des Urteils war strittig, ob diese Befreiung auch anwendbar ist, wenn der Sendungsempfänger nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Einfuhr bewirkt wurde.

EuGH 8. 5. 2025, C-405/24,

Sachverhalt

L ist ein Unternehmen, das Versand- und Zollabfertigungsdienstleistungen anbietet. Es hat bei der polnischen Steuerbehörde einen Antrag auf „Erteilung einer Einzelfallauslegung“ gestellt. Dabei wollte L klären, ob die Einfuhr von Waren, die zwischen Privatpersonen nach Polen gesendet werden, von der MwSt befreit sein kann, wenn der Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat als Polen ansässig ist. Die Steuerbehörde verneinte die Anwendbarkeit der MwSt-Befreiung. Die beim zuständigen Verwaltungsgericht gegen die Einzelfallauslegung erhobene Klage Ls blieb ohne Erfolg. Daraufhin wurde durch L Kassationsbeschwerde beim Obersten Verwaltungsgericht Polen erhoben. Das vorlegende Gericht ersuchte den EuGH zur Auslegung der Art 143 Abs 1 lit b MwStSyst-RL iVm Art 1 RL 2006/79/EG, welche die unionsrechtliche Grundlage für die auf den Ausgangssachverhalt potenziell anwendbare Befreiung bilden. Es legte dem EuGH die Frage vor, ob die unionsrechtlichen Bestimmungen einer nationalen Regelung entgegenstehen, die eine MwSt-Befreiung nur bei Kleinsendungen für in Polen ansässige Personen vorsieht.

Entscheidung des EuGH

Gem Art 143 Abs 1 lit b MwStSyst-RL müssen Mitgliedstaaten die endgültige Einfuhr von Gegenständen, die in RL 2006/79/EG geregelt ist, von der MwSt befreien. Art 1 Abs 1 RL 2006/79/EG sieht vor, dass die Einfuhr von Waren, die aus einem Drittland als Kleinsendungen nicht kommerzieller Art von einer Privatperson an eine andere Privatperson in einem Mitgliedstaat versandt werden, von Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern befreit wird. Der Wortlaut der RL („Privatperson in einem Mitgliedstaat“) deutet darauf hin, dass die MwSt-Befreiung für Sendungen an eine Privatperson gilt, die sich in einem beliebigen Mitgliedstaat befindet. Bestätigt wird dies durch die ua polnischen, dänischen, deutschen, englischen, spanischen, französischen, italienischen, niederländischen, rumänischen und schwedischen Sprachfassungen, welche den unbestimmten Artikel vor dem Begriff „Mitgliedstaat“ verwenden.

Bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift sind neben dem Wortlaut auch ihr Zusammenhang mit anderen Vorschriften und ihr Zweck zu berücksichtigen (EuGH 14. 5. 2024, C‑15/24 PPU, Stachev, Rn 72). Der dritte Erwägungsgrund der RL 2006/79/EG stellt klar, dass für die Befreiung von Kleinsendungen nicht kommerzieller Art aus Drittländern so weit wie möglich die gleichen Begrenzungen gelten sollten, wie sie nach der VO (EWG) 918/83 (mittlerweile ersetzt durch VO (EG) 1186/2009) für die gemeinschaftliche Zollbefreiung vorgesehen sind. Art 29 Abs 1 VO (EWG) 918/83 (entspricht der heute geltenden Art 25 VO (EG) 1186/2009) stellte klar, dass diese (Zoll-)Befreiung für Sendungen galt, die an eine Privatperson im Zollgebiet der Union gerichtet wurden, ohne auf einen bestimmten Mitgliedstaat abzuzielen.

Was den Zweck der in Art 143 Abs 1 lit b MwStSyst-RL und in Art 1 RL 2006/79/EG vorgesehenen MwSt-Befreiung betrifft, geht aus der Begründung des Vorschlags für RL 78/1035/EWG (aufgehoben und ersetzt durch RL 2006/79/EG) hervor, dass die Befreiung die Regelung der Kleinsendungen nicht kommerzieller Art zwischen Privatpersonen zu lockern bezweckte. Solche Sendungen hätten im Wesentlichen emotionalen Charakter, sie seien nur von geringem Wert und im Versandland grds bereits besteuert worden. Unter diesem Blickwinkel macht es bei derartigen Kleinsendungen keinen Unterschied, in welchem Mitgliedstaat der Sendungsempfänger ansässig ist.

Im Ergebnis gilt Art 143 Abs 1 lit b MwstSyst-RL iVm Art 1 RL 2006/79/EG unabhängig davon, ob der Empfänger im Einfuhrmitgliedstaat oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist.

Conclusio

Obwohl bereits der Wortlaut der streitigen Bestimmungen für das vom EuGH im Ergebnis vertretene Auslegungsergebnis spricht, scheut sich der Gerichtshof nicht davor, eine umfassende Analyse dieser Bestimmungen vorzunehmen. Nach einer wörtlichen, systematischen und teleologischen Auslegung des Art 143 Abs 1 lit b MwStSyst-RL iVm Art 1 Abs 1 RL 2006/79/EG gelangt der EuGH zum Ergebnis, dass die darin enthaltene MwSt-Befreiung unabhängig davon gilt, in welchem Mitgliedstaat der Empfänger von Kleinsendungen iSd RL 2006/79/EG ansässig ist. In Österreich sind nicht kommerzielle Kleinsendungen zwischen Privatpersonen gem § 6 Abs 4 Z 4 UStG von der EUSt befreit. Das österreichische UStG verweist hierbei direkt auf die VO (EG) 1186/2009. Gem Art 25 Abs 1 VO (EG) 1186/2009 sind von den Eingangsabgaben Sendungen, die von einer Privatperson aus einem Drittland an eine andere Privatperson im Zollgebiet der EU gerichtet werden, befreit, sofern es sich um Einfuhren handelt, denen keine kommerziellen Erwägungen zugrunde liegen. Da sich das UStG indirekt auf das gesamte Zollgebiet bezieht – und somit nicht nur auf Sendungen, deren Empfänger in Österreich ansässig ist – steht die österreichische EUSt-Befreiung insofern mit Art 143 Abs 1 lit b MwStSyst-RL im Einklang.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36816 vom 06.06.2025