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EuGH: Rückforderung einer rechtswidrig gewährten Beihilfe

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

AEUV: Art 107, Art 108

VO (EU) 651/2014 : Art 1 ff

VO (EU) 2015/1589: Art 1, Art 13

Nach Art 108 Abs 3 AEUV muss die Kommission von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichtet werden, dass sie sich dazu äußern kann. Ist sie der Auffassung, dass ein derartiges Vorhaben nach Art 107 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist, leitet sie unverzüglich das Verfahren nach Art 108 Abs 2 AEUV ein. Der betreffende Mitgliedstaat darf die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat.

War die Genehmigung der Beihilferegelung (hier: für den Bau von kleinen Wasserkraftwerken in Italien) nicht mehr in Kraft, als die strittigen Beihilfen gewährt wurden, sind diese als neue Beihilfen anzusehen, die unter Verstoß gegen Art 108 Abs 3 AEUV gewährt wurden und daher „rechtswidrige Beihilfen“ iSv Art 1 Buchst f der VO (EU) 2015/1589 [über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art 108 AEUV (kodifizierter Text)] darstellen. Dennoch obliegt es gem Art 108 Abs 3 AEUV nicht der Kommission, den Mitgliedstaat aufzufordern, eine solche rechtswidrige Beihilfe iSv Art 1 Buchst f VO (EU) 2015/1589 zurückzufordern.

Den nationalen Gerichten und der Kommission fallen nach dem System der Kontrolle staatlicher Beihilfen unterschiedliche Rollen zu, die einander ergänzen:

Stellt eine nationale Stelle fest, dass eine Beihilfe unter Verstoß gegen Art 108 Abs 3 Satz 3 AEUV gewährt wurde, obliegt es ihr, die rechtswidrig gewährte Beihilfe aus eigener Initiative zurückzufordern. In einem solchen Fall ist der betreffende Mitgliedstaat grundsätzlich nicht daran gehindert, die Rückzahlung auf den Teil der Beihilfe zu beschränken, der nicht die Kriterien der VO (EU) 651/2014 (AGVO 2014, Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung) erfüllt.

Die Kommission kann die Rückforderung einer Beihilfe nicht allein wegen ihrer Rechtswidrigkeit anordnen und muss deren Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt vollständig und unabhängig davon prüfen, ob das Verbot der Durchführung ohne vorherige Genehmigung eingehalten wurde oder nicht. Art 13 Abs 2 VO (EU) 2015/1589 [über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art 108 AEUV (kodifizierter Text)] ermöglicht ihr dabei allerdings, die vorläufige Rückforderung einer rechtswidrig gezahlten Beihilfe anzuordnen, bis sie über deren Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt entscheidet.

EuGH 7. 4. 2022, C-102/21 und C-103/21, Autonome Provinz Bozen

Zu einem italienischem Vorabentscheidungsersuchen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32362 vom 11.04.2022