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EuGH: Serverhosting als Vermietung von Grundstücken von der Umsatzsteuer befreit?

Bearbeiter: Annika Streicher

MwStSyst-RL: Art 135 Abs 1 lit l, Art 47

Abstract

Serverhosting ist nicht gem Art 135 Abs 1 lit l MwStSyst-RL von der Mehrwertsteuer befreit, weil zusätzlich zur passiven Vermietung weitere Dienstleistungen erbracht werden. Die Leistungsortregel in Art 47 MwStSyst-RL ist nicht anwendbar, wenn dem Kunden kein ausschließlicher Zugang zu einem Grundstück gewährt wird, von dem er Dritte ausschließen könnte. Somit ist die Grundregel in Art 44 MwStSyst-RL anwendbar und der Umsatz ist am Empfängerort steuerbar.

EuGH vom 2. 7. 2020, C-215/19, Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö

Sachverhalt

Die A Oy bietet Informationstechnologieunternehmen aus Finnland und anderen Mitgliedstaaten Hostingdienste in ihrem finnischen Rechenzentrum an. Die Kunden können ihre eigenen Server in den Räumlichkeiten der A Oy unterbringen. Die A Oy sorgt für eine stabile Datenverbindung, regelt Wärme und Luftfeuchtigkeit, überwacht Ausfälle, stellt einen absperrbaren Geräteschrank für die Server bereit, etc. Die Geräteschränke sind in einem von der A Oy angemieteten Gebäude mit dem Boden verschraubt. Die Kunden besitzen selbst keinen Schlüssel zum Geräteschrank, können diesen aber vom Wachdienst erhalten. Die A Oy hat kein Zugangsrecht zu den Geräteschränken der Kunden. Fraglich war, ob die Steuerbefreiung für die Vermietung von Grundstücken gem Art 135 Abs 1 lit l MwStSyst-RL anwendbar ist. Weiters war fraglich, ob die Hostingdienstleistung unter die Regelung über den Leistungsort von Dienstleistungen iZm einem Grundstück gem Art 47 MwStSyst-RL fällt.

Entscheidung

Der EuGH definiert den Begriff der Vermietung von Grundstücken gem Art 135 Abs 1 lit l MwStSyst-RL derart, dass dem Mieter vom Vermieter auf unbestimmte Zeit gegen eine Vergütung das Recht eingeräumt wird, das Grundstück wie ein Eigentümer in Besitz zu nehmen und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen (EuGH C-278/18, Sequeira Mesquita). Diese Umsätze sind befreit, weil eine verhältnismäßig passive Tätigkeit ohne signifikante Wertschöpfung ausgeübt wird. Sie unterscheidet sich von anderen Tätigkeiten, die entweder gewerblichen Zwecken dienen oder einen Gegenstand haben, der eher durch die Erbringung einer Dienstleistung als durch die bloße Bereitstellung einer Sache charakterisiert wird (zB Recht zur Nutzung einer mautpflichtigen Brücke, Recht zum Aufstellen von Zigarettenautomaten in Geschäftsräumen). Der passive Charakter muss in der Natur des Umsatzes selbst und nicht in der Art und Weise der tatsächlichen Nutzung durch den Mieter liegen. Werden neben der passiven Zurverfügungstellung des Grundstücks auch andere geschäftliche Tätigkeiten (Aufsicht, Verwaltung etc) erbracht, ist die Befreiung nicht anwendbar. Im gegenständlichen Fall erbrachte die A Oy zusätzlich zur rein passiven Flächenüberlassung weitere Dienstleistungen. Auch konnten die Mieter die Fläche aufgrund der Zugangsregelungen nicht wie Eigentümer in Besitz nehmen und Dritte nicht von diesem Recht ausschließen. Daher ist das Serverhosting nicht gem Art 135 Abs 1 lit l MwStSyst-RL befreit.

Zur anwendbaren Leistungsortregel hielt der EuGH fest, dass Art 44 und 45 MwStSyst-RL keinen Vorrang vor den Leistungsortregeln in Art 46-59a MwStSyst-RL haben (EuGH C-647/17, Srf konsulterna). Auch ist Art 47 MwStSyst-RL keine eng auszulegende Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz (EuGH C-453/15, A und B; C-647/17, Srf konsulterna; C-568/17, Geelen). Art 47 MwStSyst-RL ist auf Dienstleistungen anwendbar, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Grundstück stehen und das Grundstück selbst zum Gegenstand haben. Das ist dann der Fall, wenn das Grundstück einen zentralen und unverzichtbaren Bestandteil dieser Dienstleistung darstellt (EuGH C-155/12, RR Donnelley Global Turnkey Solutions Poland). Diese Rsp ist in Art 31a Abs 1 lit a und b DVO kodifiziert. Aus Art 31a Abs 2 lit h iVm Art 31a Abs 3 lit b DVO ergibt sich, dass keine Dienstleistung iZm einem Grundstück vorliegt, wenn dem Kunden bei der Lagerung von Gegenständen kein bestimmter Teil des Grundstücks zur ausschließlichen Nutzung überlassen wird. Genau das ist aber hier der Fall. A Oys Kunden haben keinen dauerhaften Zugang zum Gebäude und können Dritte auch nicht von der Nutzung ausschließen. Daher ist die allgemeine Leistungsortregel in Art 44 MwStSyst-RL anwendbar.

Conclusio

Der EuGH erwähnt in seiner Entscheidung die besondere Wichtigkeit der Leistungsortregelungen zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten, die in Doppel- und Nichtbesteuerung münden können. Tatsächlich könnte hier in grenzüberschreitenden Situationen Nichtbesteuerung entstehen, wenn Finnland Art 44 MwStSyst-RL (Empfängerortprinzip) anwendet und der Ansässigkeitsstaat des Kunden Art 47 MwStSyst-RL (Ort der Belegenheit des Grundstücks). Das hätte im gegenständlichen Fall aber durch einen Blick in Art 31a Abs 3 lit b DVO vermieden werden können, die die infragestehende Dienstleistung vom Anwendungsbereich von Art 47 MwStSyst-RL ausnimmt. Die DVO ist in allen Mitgliedstaaten anwendbar und gibt für den vorliegenden Fall eine recht eindeutige Antwort. Diese Regelung wurde auch in Rz 640c der UStR 2000 übernommen. Die Subsumtion von Serverhosting unter § 3a Abs 6 UStG anstatt unter § 3a Abs 9 UStG sollte also problemlos gelingen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29544 vom 17.08.2020