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EuGH: Sharing von Mediendateien in Peer-to-Peer-Netz

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2001/29/EG: Art 3

RL 2004/48/EG: Art 3, Art 8

RL 2002/58/EG idF RL 2009/136/EG: Art 5, Art 6, Art 15

VO (EU) 2016/679: Art 6

Bei einem Peer-to-Peer-Netz wie hier werden die Mediendateien, die ein geschütztes Werk enthalten, in kleine Datenpakete unterteilt, die zwischen dem Server und dem Client in zufälliger Reihenfolge und über verschiedene Wege weitergeleitet werden. Jeder Nutzer des Peer-to-Peer-Netzes kann die Originaldatei aus Segmenten leicht wieder zusammensetzen, die auf den Computern der Nutzer verfügbar sind, die zum selben Schwarm gehören. Der Umstand, dass ein Nutzer allein nicht die vollständige Originaldatei herunterladen kann, ändert nichts daran, dass er seinen Peers die Segmente dieser Datei zur Verfügung stellt, die er auf seinen Computer herunterladen konnte, und somit zur Entstehung einer Situation beiträgt, in der letztlich alle Nutzer des Schwarms Zugriff auf die vollständige Datei haben.

Es handelt sich um eine öffentliche Zugänglichmachung iSd Art 3 Abs 1 und 2 RL 2001/29/EG [zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft] (MultimediaRL; InfoSocRL; UrheberrechtsRL), wenn die von einem Nutzer des Peer-to-Peer-Netzes heruntergeladenen Segmente einer Mediendatei vom Endgerät dieses Nutzers aus auf die Endgeräte anderer Nutzer dieses Netzes hochgeladen werden, obwohl diese Segmente als solche erst nach dem Herunterladen eines bestimmten Prozentsatzes aller Segmente nutzbar sind. Dass dieses Hochladen durch die Filesharing-Software BitTorrent-Client nach informierter Zustimmung des Nutzers zu deren Anwendung aufgrund ihrer Konfiguration automatisch erfolgt, ist dabei unerheblich.

EuGH 17. 6. 2021, C-597/19, M.I.C.M.

Zu einem belgischen Vorabentscheidungsersuchen.

Hinweis:

Zur Definition von BitTorrent siehe https://de.wikipedia.org/wiki/BitTorrent. BitTorrent ist ein kollaboratives Filesharing-Protokoll, das sich besonders für die schnelle Verteilung großer Datenmengen eignet. Im Gegensatz zu anderen Filesharing-Techniken setzt BitTorrent nicht auf ein übergreifendes Filesharing-Netzwerk, sondern baut für jede Datei ein separates Verteilnetz auf.

Entscheidung

Art 3 RL 2004/48/EG [zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums] (EnforcementRL; SchutzRL) regelt die allgemeinen Anforderungen an die erforderlichen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe der einzelnen Mitgliedstaaten zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, auf die diese RL abstellt: Sie müssen fair und gerecht sein und dürfen nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen; außerdem müssen sie wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und so angewendet werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist.

Auf Grundlage dieser Anforderungen und einer umfassenden und eingehenden Prüfung ist dann festzustellen, ob der Antrag einer Person missbräuchlich ist, die vertragliche Inhaberin bestimmter Rechte des geistigen Eigentums ist, diese Rechte aber nicht selbst nutzt, sondern lediglich Schadenersatzansprüche gegen mutmaßliche Verletzer geltend macht. Ein Auskunftsantrag nach Art 8 EnforcementRL ist insb auch dann abzulehnen, wenn er unbegründet ist oder nicht die Verhältnismäßigkeit wahrt, was das nationale Gericht zu prüfen hat.

Art 6 Abs 1 Unterabs 1 Buchst f VO (EU) 2016/679 (DSGVO) iVm Art 15 Abs 1 RL 2002/58/EG (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) idF RL 2009/136/EG hindert grds weder den Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums oder einen in dessen Auftrag handelnden Dritten daran, IP‑Adressen von Nutzern von Peer-to-Peer-Netzen systematisch zu speichern, deren Internetanschlüsse für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzt worden sein sollen, noch steht er dem entgegen, dass die Namen und Anschriften dieser Nutzer an den Rechtsinhaber oder an einen Dritten übermittelt werden, um ihm die Möglichkeit zu geben, bei einem Zivilgericht eine Schadenersatzklage wegen eines Schadens zu erheben, der von diesen Nutzern verursacht worden sein soll. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die dahin gehenden Maßnahmen und Anträge des Rechtsinhabers oder des Dritten gerechtfertigt, verhältnismäßig und nicht missbräuchlich sind und ihre Rechtsgrundlage in einer Rechtsvorschrift iSv Art 15 Abs 1 RL 2002/58/EG idF RL 2009/136/EG haben, dh in einer nationalen Rechtsvorschrift, die in notwendiger, angemessener und verhältnismäßiger Weise etwa aus Gründen der nationalen oder öffentlichen Sicherheit oder zu Verhütung oder Verfolgung von Straftaten die Tragweite der Bestimmungen der RL betr Vertraulichkeit der Kommunikation und Schutz von Verkehrsdaten (Art 5 und 6 der RL) beschränkt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31065 vom 21.06.2021