News

EuGH: Sind Kettenkredite und die Ausstellung von Wechsel umsatzsteuerpflichtige Leistungen?

Bearbeiter: Christina Pollak

MwStSyst-RL: Art 135 Abs 1 lit b, d

UStG: § 6 Abs 1 Z 8 lit a, e

Abstract

Der EuGH beschäftigte sich in diesem Urteil mit den Anwendungsvoraussetzungen der Steuerbefreiungen zur Gewährung von Krediten und für Umsätze mit Handelspapieren. Der EuGH kommt zum Schluss, dass Art 135 Abs 1 lit b und d MwStSyst-RL auf Kettenkredite anzuwenden sind, deren Rückzahlung durch die Ausstellung von Wechsel sichergestellt wird.

EuGH vom 17. Dezember 2020, C-801/19, Franck

Sachverhalt

Franck, eine Handelsgesellschaft, deren Tätigkeit in der Verarbeitung von Tee und Kaffee besteht, überließ Konzum, einer Einzelhandelskette, durch den gleichzeitigen Abschluss von drei Verträgen, Geldmittel. Durch den ersten Vertrag stellte Konzum (im Vertrag als Darlehensgeberin bezeichnet) Franck (im Vertrag als Darlehensnehmerin bezeichnet) einen Wechsel aus, wodurch sich Franck verpflichtete, den im Wechsel ausgewiesenen Betrag bar auszuzahlen. Durch den zweiten Vertrag wurde der Wechsel auf eine Factoringgesellschaft übertragen. Franck, Konzum und die Factoringgesellschaft unterzeichneten diesen zweiten Vertrag. Basierend auf diesem Vertrag zahlte die Factoringgesellschaft an Franck den Wechselbetrag, Franck wiederum leitete das Geld an Konzum weiter. Durch den dritten Vertrag verpflichtete sich Konzum ein Entgelt iHv 1 % des Wechselbetrages an Franck zu bezahlen und zusätzlich die Kosten, die Franck von der Factoringgesellschaft verrechnet wurden, zu übernehmen.

Franck berief sich auf die Steuerbefreiung für Dienstleistungen der Gewährung von Krediten gem Art 135 Abs 1 lit b MwStSyst-RL und auf die Steuerbefreiung für Umsätze mit Handelspapieren gem Art 135 Abs 1 lit d MwStSyst-RL und stellte das Entgelt ohne MwSt in Rechnung. Das Finanzministerium jedoch entgegnete, dass das erhaltene Entgelt die Gegenleistung für eine Dienstleistung zur Einziehung von Forderungen sei, für die Franck als Vermittlerin zwischen der Factoringgesellschaft und Konzum gehandelt habe. Eine solche Dienstleistung wäre nicht unter die Steuerbefreiungen zu subsumieren.

Entscheidung des EuGH

Kern dieser Entscheidung war die Prüfung der Anwendbarkeit der Steuerbefreiungen in Art 135 Abs 1 lit b und d MwStSyst-RL durch den EuGH. Der EuGH betonte, dass bei der Anwendung von Art 135 Abs 1 lit b MwStSyst-RL auf die Art der erbrachten Dienstleistung abzustellen ist. Die Anwendung ist nicht davon abhängig, wer Erbringer und Empfänger der Leistung ist. Art 135 Abs 1 lit b MwStSyst-RL soll nicht ausschließlich auf Kredite von Bank- und Finanzinstituten beschränkt sein. Der Umstand, dass Franck kein Bank- und Finanzinstitut war, schließt demnach die Anwendbarkeit der Steuerbefreiung nicht aus. Ausschlaggebend für die Anwendung der Befreiung ist jedoch, dass Kapital gegen die Zahlung eines Entgelts überlassen wird. Ein solches Entgelt kann durch die Zahlung von Zinsen sichergestellt werden, aber auch andere Formen der Gegenleistung können nicht ausgeschlossen werden. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob das Entgelt, das Franck von Konzum erhalten hat, die Gegenleistung für die Überlassung der Geldmittel war.

Zur Anwendung von Art 135 Abs 1 lit d MwStSyst-RL führt der EuGH aus, dass unter „andere Handelspapiere“ sämtliche Zahlungsinstrumente zu subsumieren sind, deren Funktionsweise einen Geldtransfer beinhaltet. Da die von Konzum ausgestellten Wechsel eine Verpflichtung für Konzum enthalten, den angegebenen Betrag an den Wechselinhaber zum Fälligkeitstermin zu zahlen, sind die Wechsel als „Handelspapiere“ iSd Art 135 Abs 1 lit b MwStSyst-RL zu qualifizieren. Um als Umsatz im Geschäft mit anderen Handelspapieren angesehen werden zu können kann, muss die Leistung außerdem ein im Großen und Ganzen eigenständiges Ganzes sein, das die spezifischen und wesentlichen Funktionen eines solchen befreiten Umsatzes erfüllt. Im vorliegenden Fall war die Überlassung von Geldmitteln untrennbar mit der Ausstellung des Wechsels verbunden, weil Franck durch die Übergabe des Wechsels an die Factoringgesellschaft die Geldbeträge zur Überlassung an Konzum erhielt. Durch die Beteiligung von Franck an den Wechselverträgen sollte Franck die spezifischen und wesentlichen Funktionen eines Umsatzes im Geschäft mit diesen erfüllen, was jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

Art 135 Abs 1 lit b und d MwStSyst-RL sind dahin auszulegen, dass die Steuerbefreiungen für einen Umsatz gelten, der darin besteht, dass der Steuerpflichtige gegen Entgelt einem anderen Steuerpflichtigen Geldmittel überlässt, die er bei einer Factoringgesellschaft infolge der Übertragung eines vom zweiten Steuerpflichtigen ausgestellten Wechsels auf diese erhalten hat, wobei der erste Steuerpflichtige der Factoringgesellschaft die Begleichung dieser Wechselforderung zum Fälligkeitstermin garantiert.

Conclusio

In der Rs Franck ist deutlich zu erkennen, dass der EuGH bei der Anwendung von Steuerbefreiungen auf den wirtschaftlichen Gehalt und die objektiven Umstände der in Frage stehenden Transaktion abstellt. In dieser Hinsicht war die vertragliche Umsetzung des Rechtsgeschäfts in drei Verträgen und die formale Einordnung der Vertragsparteien, nach der Konzum als Darlehensgeberin und Franck als Darlehensnehmerin bezeichnet wurde, für die Anwendbarkeit der Steuerbefreiungen nicht ausschlaggebend. Lt den Ausführungen der österr Finverw ist unter der Gewährung von Krediten iSd § 6 Abs 1 Z 8 lit a UStG das Dulden der Kapitalnutzung gegen Entgelt zu verstehen, wobei dem umsatzsteuerfreien Entgelt, wie auch vom EuGH, ein weiter Begriff zugrunde gelegt wird (s UStR 2000, Rn 751 ff). Obwohl nach der österr (sehr engen) Umsetzung des Art 135 Abs 1 lit d MwStSyst-RL in § 6 Abs 1 Z 8 lit e UStG ausschließlich das Inkasso von Handelspapieren von der Steuerbefreiung umfasst ist, weist die österr Finverw bei dieser Steuerbefreiung explizit darauf hin, dass auch abgetretene Forderungen von der Steuerbefreiung umfasst sind (s UStR 2000, Rn 765).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30736 vom 14.04.2021