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EuGH: Sitzverlegung nach Insolvenzantrag – Brexit

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

VO (EU) 2015/848: Art 3

Das Gericht eines Mitgliedstaats, das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens befasst ist, bleibt für die Eröffnung eines solchen Verfahrens weiter ausschließlich zuständig, wenn der Schuldner den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach Antragstellung, aber vor der Entscheidung über diesen Antrag in einen anderen Mitgliedstaat verlegt. Soweit die VO (EU) 2015/848 [EuInsVO 2015] auf diesen Antrag anwendbar bleibt (hier: im Hinblick auf den EU-Austritt Großbritanniens), kann sich daher ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats, das später mit einem Antrag mit demselben Ziel befasst wird, grds nicht für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens für zuständig erklären, solange das erste Gericht nicht entschieden und seine Zuständigkeit nicht verneint hat.

EuGH 24. 3. 2022, C-723/20, Galapagos BidCo

Zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.

Entscheidung

Galapagos ist eine Holdinggesellschaft mit satzungsmäßigem Sitz in Luxemburg. Im Juni 2019 beschloss sie, ihre Hauptverwaltung nach Großbritannien zu verlegen. Ihre Direktoren beantragten am 22. 8. 2019 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beim High Court of Justice (England and Wales).

Am folgenden Tag wurden diese Direktoren jedoch auf Betreiben einer Gruppe von Gläubigern aufgrund einer Anteilsverpfändung abberufen und durch einen neuen Direktor ersetzt, der für Galapagos ein Büro in Düsseldorf einrichtete und die anwaltlichen Vertreter anwies, den Antrag auf Insolvenzeröffnung in Großbritannien zurückzunehmen. Zur Rücknahme kam es jedoch nicht, weil eine Gläubigergruppe in diesen Antrag eintrat. Im September 2019 beantragten zwei Gläubigergesellschaften von Galapagos beim Amtsgericht Düsseldorf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Dieses bejahte seine internationale Zuständigkeit, weil es davon ausging, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen von Galapagos zum Zeitpunkt der Antragstellung in Düsseldorf befunden habe. Bei Einreichung des Vorabentscheidungsersuchen durch den deutschen BGH am 17. 12. 2020 hatte der High Court über den Insolvenzeröffnungsantrag noch nicht entschieden.

Mit Blick auf die Beantwortung seiner Vorlagefragen durch den EuGH muss der BGH nun prüfen, ob der High Court bis 31. 12. 2020 über den Antrag auf Insolvenzeröffnung entschieden hat. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass in einem Fall mit Bezug zum Vereinigten Königreich die EuInsVO 2015 gem Art 67 Abs 3 Buchst c des Austrittsabkommens im Vereinigten Königreich und in den Mitgliedstaaten Anwendung findet, sofern das Hauptinsolvenzverfahren vor Ablauf der Übergangszeit gem Art 126 des Abkommens (31. 12. 2020) eingeleitet wurde.

Sollte daher im vorliegenden Fall festgestellt werden, dass der High Court bis zum 31. 12. 2020 noch immer nicht über den Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens entschieden hat, würde daraus folgen, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen von Galapagos befindet, nach der EuInsVO 2015 nicht mehr verpflichtet wäre, sich im Hinblick auf den anhängigen Insolvenzantrag in Großbritannien für unzuständig zu erklären.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32284 vom 28.03.2022