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EuGH: Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Umsätzen iZm nationalen Ausschlussfristen

Bearbeiter: Markus Mittendorfer

MwStSyst-RL: Art 138 Abs 1

Abstract

In der Rs Nec Plus Ultra Cosmetics AG hatte sich der Gerichtshof mit der Frage der unionsrechtlichen Zulässigkeit von Ausschlussfristen für die Vorlage neuer Beweise zum Nachweis der Voraussetzungen der Steuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen auseinanderzusetzen. Sofern die Grundsätze der Äquivalenz und der Verhältnismäßigkeit gewährleistet werden, sind nationale Ausschlussfristen unionsrechtlich nicht zu beanstanden.

EuGH 2. 3. 2023, C-664/21, Nec Plus Ultra Cosmetics AG

Sachverhalt

Nec ist eine Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz, die im streitgegenständlichen Jahr Kosmetikprodukte an Kunden in verschiedenen Mitgliedstaaten lieferte. Die Waren befanden sich in einem Lager in Slowenien und wurden von einem Käufer in Kroatien oder einem Dritten übernommen und von Slowenien in einen anderen Mitgliedstaat befördert. Für diese Lieferung wollte Nec daher die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferung in Anspruch nehmen. Nach einer Steuerprüfung durch die slowenische Steuerbehörde wurde Nec zur Vorlage der gesamten Unterlagen bezüglich der betreffenden Lieferungen aufgefordert. Daraufhin legte Nec Rechnungen und Kopien von Frachtbriefen vor, mit denen sie die Beförderung der Gegenstände von Slowenien in einen anderen Mitgliedstaat nachwies. Die Lieferscheine sowie andere in den Frachtbriefen erwähnte Dokumente wurden im Zuge der Steuerprüfung von Nec mit der Begründung, nicht im Besitz aller Dokumente zu sein, nicht vorgelegt. Anschließend erließ die Steuerbehörde ein Steuerprüfungsprotokoll und stellte dieses Nec zu. In ihrer Stellungnahme zu diesem Steuerprotokoll legte Nec die zwischenzeitlich eingeholten Urkunden (Kopien von Kostenvoranschlägen sowie der Lieferscheine) vor, denen zufolge die fraglichen Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat geliefert worden seien. Die erstinstanzliche Steuerbehörde erließ daraufhin einen Steuerbescheid, mit dem sie von Nec die Zahlung eines zusätzlichen Mehrwertsteuerbetrages verlangte, weil diese nicht nachweisen habe können, dass die Gegenstände tatsächlich in einen anderen Mitgliedstaat befördert worden seien. Die nach Erlass der Steuerprotokolls vorgelegten Beweise wurden aufgrund ihrer nach nationalem Recht verspäteten Vorlage nicht berücksichtigt. Der EuGH hatte sich schließlich mit der Frage zu befassen, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, dass eine nationale Regelung die Vorlage und Aufnahme neuer Beweise, die die Erfüllung der materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung für innergemeinschaftlichen Lieferungen gem Art 138 MwStSyst-RL nachweisen, bereits während des erstinstanzlichen Verwaltungsverfahrens, konkret nach den Steuerprüfungshandlungen, aber vor Erlass des Bescheides, verbietet.

Entscheidung des EuGH

Im vorliegenden Sachverhalt geht es um den Zeitpunkt, zu dem der Nachweis, dass die materiellen Anforderungen für die Inanspruchnahme von Rechten der MwStSyst-RL erfüllt sind, erbracht werden kann. Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang zu den Bestimmungen der Achten Richtlinie bereits über den Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer entschieden, dass die Versagung dieses Anspruchs nicht gegen das Unionsrecht verstößt, wenn ein Steuerpflichtiger – ohne berechtigten Grund und trotz Aufforderung – die zum Nachweis der materiellen Voraussetzungen erforderlichen Unterlagen nicht vorlegt. Die jeweiligen nationalen Vorschriften müssen jedoch sowohl dem Äquivalenz- als auch dem Effektivitätsprinzip entsprechen. Die Möglichkeit, zusätzliche Nachweise ohne zeitliche Begrenzung vorzulegen, würde jedenfalls dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwiderlaufen. Die Nichtberücksichtigung von Nachweisen, die die materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen belegen, kann jedoch zu einer Situation führen, in der der Neutralitätsgrundsatz nicht beachtet wird. Wird die Steuerbefreiung in einem frühen Stadium des Verfahrens verweigert, muss die Steuerverwaltung die strikte Einhaltung des Neutralitätsgrundsatzes gewährleisten. Die Nichtberücksichtigung muss daher jedenfalls auf besondere Umstände, wie etwa das Fehlen einer Rechtfertigung für die eingetretene Verzögerung oder eines ansonsten eintretenden Steuerausfalles, gestützt werden. Sofern die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität gewährleistet sind, widerspricht eine nationale Regelung, welche die Vorlage und Aufnahme neuer Beweise, die die Erfüllung der materiellen Voraussetzungen von innergemeinschaftlichen Lieferungen bereits während des erstinstanzlichen Verwaltungsverfahrens, konkret nach den Steuerprüfungshandlungen, aber vor Erlass des Bescheides, verbietet, jedenfalls nicht dem Unionsrecht.

Conclusio

Die Entscheidung in der Rs Nec Plus Ultra Cosmetics AG überrascht im Ergebnis nicht. Nach stRsp des EuGH ist die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen bei Vorliegen der materiellen Anforderungen auch dann zu gewähren, wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat. Verhindert der Verstoß gegen die formellen Anforderungen allerdings den sicheren Nachweis, dass die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Steuerbefreiung dennoch zu versagen. Im vorliegenden Sachverhalt ging es aber nicht um einen Verstoß gegen formelle Anforderungen, der den Nachweis der materiellen Voraussetzungen beeinträchtigt, sondern um den Zeitpunkt, zu dem dieser Nachweis erbracht werden kann. Was die unionsrechtliche Zulässigkeit nationaler Ausschlussfristen betrifft, stellt der Gerichtshof im Ergebnis klar, dass die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität sichergestellt sein müssen, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist. Auch das österreichische Abgabenverfahrensrecht kennt mit den durch das AbgÄG 2022 eingeführten § 183 Abs 3 BAO und § 270 Abs 1 Satz 2 BAO Beschränkungen des Tatsachenvorbringens. Vor dem Hintergrund, dass die Nichtberücksichtigung von Beweisen nach diesen Bestimmungen nur unter besonderen Umständen zulässig ist (zB aufgrund einer Verletzung der Verfahrensförderungspflicht nach § 270 Abs 2 BAO) dürften jedenfalls sowohl der Effektivitäts- als auch der Äquivalenzgrundsatz iSd der EuGH-Rsp gewahrt sein.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34099 vom 02.06.2023