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EuGH: Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen iZm potentiellem Betrug in einem Drittstaat

Bearbeiter: Markus Mittendorfer

Markus Mittendorfer, Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht, WU Wien

MwStSyst-RL: Art 146 Abs 1 lit b, Art 147

UStG: § 7 Abs 1 Z 3

Abstract

In der Rs BAKATI PLUS hatte sich der EuGH ua mit der Auslegung von Art 147 MwStSyst-RL und den Konsequenzen eines im Drittstaat begangen Betrugs auf die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen auseinanderzusetzen. Den in der MwStSyst-RL verankerten Steuerbefreiungen ist dabei ein enges Begriffsverständnis zugrunde zu legen, weshalb Ausfuhren zu gewerblichen Zwecken nicht von der Steuerbefreiung für Touristenexport gem Art 147 MwStSyst-RL erfasst sind. Nach Auffassung des Gerichts könnte die (echte) Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferung auch im Falle eines im Drittstaat begangenen Betrugs versagt werden, sofern es durch die Betrugshandlung zu einer Gefährdung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems kommt.

EuGH 17.12.2020, C-656/19, BAKATI PLUS

Sachverhalt

Die Tätigkeit der ungarischen Gesellschaft Bakati bestand fast ausschließlich aus Lieferungen großer Mengen an Lebensmitteln, Kosmetik- und Reinigungsprodukten an natürliche Personen. Die betreffenden Gegenstände wurden nach Bestellung, samt zugehöriger Rechnungen und Antragsformularen zur Erstattung der Umsatzsteuer für ausländische Reisende, zu einem von den Käufern angemieteten Lager nahe der ungarisch-serbischen Grenze geliefert und gegen Zahlung des Kaufpreises an die Käufer ausgehändigt. Anschließend wurden die Gegenstände von diesen mit Privatfahrzeugen als persönliches Gepäck nach Serbien transportiert. Für die Transporte von Ungarn nach Serbien nahmen die Käufer in Ungarn die Steuerbefreiung des Art 147 MwStSyst-RL für Touristenexport in Anspruch. Die ungarische Finanzverwaltung versagte die Steuerbefreiung allerdings mit der Begründung, dass die Waren zum Zwecke des Weiterverkaufs erworben wurden. Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren hatte sich der EuGH daraufhin ua mit der Interpretation von Art 147 MwStSyst-RL und den Auswirkungen eines im Drittstaat (möglicherweise) begangenen Betrugs auseinanderzusetzen.

Entscheidung des EuGH

Zur Interpretation der Befreiung für Touristenexport in Art 147 MwStSyst-RL betont der EuGH, dass im Unionsrecht nicht definierte Begriffe nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs und dem jeweiligen Ziel der Regelung verstanden werden müssen. Die Wortfolge „Gegenstände zur Mitführung im persönlichen Gepäck von Reisenden“ stellt demnach iS des gewöhnlichen Sprachgebrauchs auf Gegenstände von kleiner Größe oder geringer Menge ab, die natürliche Personen im Rahmen einer Reise mit sich führen oder die sie während einer Reise benötigen und entweder ihrem privaten Gebrauch oder dem ihrer Familie dienen. Beim Begünstigten der Steuerbefreiung darf es sich dabei nicht um einen Wirtschaftsteilnehmer (= Unternehmer) handeln. Aufgrund dieses engen Verständnisses seien gewerbliche Ausfuhren nicht von Art 147 MwStSyst-RL erfasst. Eine solche Auslegung finde zudem Deckung im Zweck der Regelung: Neben der Verwirklichung des Bestimmungslandprinzips verfolgt Art 147 MwStSyst-RL das Ziel der Förderung des Tourismus. Dieses Ziel würde verfehlt, wenn die Steuerbefreiung auch für gewerbliche Ausfuhren zum Weiterverkauf von Gegenständen gewährt wird. Für den Fall, dass Art 147 MwStSyst-RL aufgrund der gewerblichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen nicht anwendbar ist, stellte der EuGH zudem klar, dass in einer solchen Konstellation im B2B Bereich auch ein anderer Artikel zur Ausfuhrbefreiung greifen kann.

In Bezug auf die Auswirkungen des im Drittstaat möglicherweise begangenen Betrugs schließt der EuGH in weiten Teilen an seine Argumentation in der Rs Unitel (C-653/18) an. Demnach kann einem Steuerpflichtigen auch bei Vorliegen sämtlicher materieller Voraussetzungen die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen versagt werden, wenn sich der Steuerpflichtige an einer das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdenden Steuerhinterziehung beteiligt. Dabei ist es Sache der nationalen Behörden, zu prüfen, ob die fraglichen Umsätze mit einem solchen Betrug verknüpft waren. Im konkreten Fall machte das ungarische Gericht allerdings keine näheren Angaben zur Art und zum Ausmaß des von Bakati begangenen Betrugs. Punktuelle Verstöße gegen Bestimmungen der MwStSyst-RL (hier: Art 147 MwStSyst-RL), die zu keinem finanziellen Verlust der Union führen, inkludieren jedenfalls keine das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdende Steuerhinterziehung.

Conclusio

Das vorliegende Urteil hat insb aufgrund der Ausführungen zu den Auswirkungen eines im Drittstaat begangenen Betrugs auf die (echte) Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen Bedeutung. In seiner Argumentation stützt sich der EuGH weitestgehend auf sein Urteil in der Rs Unitel (EuGH 17.10.2019, C-653/18, Unitel), präzisiert allerdings seine darin getroffene Rechtsansicht. Während der EuGH in der Rs Unitel die Versagung der Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen im Betrugsfall auf den ersten Blick weder explizit bejahte noch verneinte, bringt er in der Rs BAKATI PLUS seinen Standpunkt deutlicher zum Ausdruck: Demnach soll die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen dann zu versagen sein, wenn es durch im Drittstaat begangene Betrugshandlungen zu einem Nachteil für das gemeinsame Mehrwertsteuersystem kommt. Auch der VwGH hatte sich in jüngerer Vergangenheit mit dieser Thematik auseinanderzusetzen (vgl VwGH 18.12.2019, Ra 2019/15/0045). Im Ergebnis dürfte der VwGH für die Versagung der Steuerbefreiung ebenfalls auf die Gefährdung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems abstellen. Die diesbezüglichen Ausführungen sind allerdings knapp und uneindeutig.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30645 vom 25.03.2021