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*Ergebnis einer Umfrage unter 225 Steuerberater:innen und Rechtsanwält:innen (Mai 2024) durchgeführt von IPSOS im Auftrag von LexisNexis Österreich.
MwStSyst-RL: Art 213, 214 und 273
Abstract
Der EuGH hatte über ein Vorabentscheidungsersuchen zur Streichung eines Steuerpflichtigen aus dem bulgarischen Mehrwertsteuerregister zu entscheiden. Das nationale Gericht wollte wissen, ob Art 213 und 273 MwStSyst-RL einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die Finanzbehörde befugt ist, einen Steuerpflichtigen aus dem Mehrwertsteuerregister zu streichen, weil gegen mehrwertsteuerrechtliche Verpflichtungen verstoßen wurde, ohne jedoch die Art der Verstöße und das Verhalten untersuchen zu müssen. Nach Ansicht des EuGH widerspricht eine solche Regelung unter Berücksichtigung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit der MwStSyst-RL.
EuGH 3. 4. 2025, C-164/24, Cityland
Sachverhalt
Cityland ist eine Gesellschaft bulgarischen Rechts, die bis 2019 im Baugewerbe tätig war. Nach einer Steuerprüfung wurde Cityland mit Bescheid des bulgarischen Finanzamts (im Folgenden: Finanzamt) aus dem Mehrwertsteuerregister gestrichen. Das bulgarische FA hatte festgestellt, dass Cityland wiederholt gegen ihre Verpflichtungen aus dem Mehrwertsteuergesetz verstoßen habe, da diese von 1. 9. 2013 bis zum 30. 6. 2018 die in insgesamt fünf Steuerzeiträumen erklärte und geschuldete Mehrwertsteuer nicht gezahlt hatte. Nach der bulgarischen Regelung kann ein Steuerpflichtiger bereits dann vom Mehrwertsteuersystem ausgeschlossen werden, wenn drei formelle Verstöße gegen die Mehrwertsteuervorschriften festgestellt wurden. Darunter fällt eine verspätete Abgabe einer Steuererklärung, eine verspätete Zahlung der Mehrwertsteuer oder die verspätete Ausstellung einer Rechnung. Vor diesem Hintergrund wollte daher das von Cityland angerufene bulgarische Verwaltungsgericht vom EuGH wissen, ob Art 213 und 273 MwStSyst-RL einer solchen nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die Finanzbehörde befugt ist, einen Steuerpflichtigen aus dem Mehrwertsteuerregister zu streichen, weil gegen mehrwertsteuerrechtliche Verpflichtungen verstoßen wurde, ohne jedoch die Art der Verstöße und das Verhalten untersuchen zu müssen.
Entscheidung des EuGH
Nach Art 213 Abs 1 UAbs 1 MwStSyst-RL hat jeder Steuerpflichtige die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit anzuzeigen. Zudem haben nach Art 214 Abs 1 MwStSyst-RL die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit Steuerpflichtige eine individuelle Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer erhalten. Aus der Rsp des EuGH zu Art 213 und 214 MwStSyst-RL ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten über einen Gestaltungsspielraum verfügen, wenn sie Maßnahmen erlassen, um die Identifizierung der Steuerpflichtigen für Zwecke der Mehrwertsteuer sicherzustellen. Jedoch darf dieser Gestaltungsspielraum auch nicht unbegrenzt ausgeübt werden. Insb dürfen Mitgliedstaaten die Erteilung einer Mehrwertsteuer‑Identifikationsnummer nicht ohne berechtigten Grund versagen (EuGH 14. 3. 2013, C‑527/11, Ablessio, Rn 22 und 23; 18. 11. 2021, C‑358/20, Promexor Trade, Rn 41).
Hingegen enthält die MwStSyst-RL keine Vorschriften, die den Mitgliedstaaten generell erlauben würden, in ihren Rechtsvorschriften eine Streichung aus dem Mehrwertsteuerregister vorzusehen. Jedoch geht insb aus den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung der Erhebung der Mehrwertsteuer und Betrugsbekämpfung hervor, dass diese auch die Streichung eines Steuerpflichtigen aus dem Mehrwertsteuerregister vorsehen können. Die Mitgliedstaaten sind jedoch verpflichtet, die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der steuerlichen Neutralität zu beachten (EuGH 17. 5. 2023, C‑418/22, Cezam, Rn 27 mwN) sowie bei Beurteilung der Verhältnismäßigkeit die Art und die Schwere des Verstoßes und die Methoden für die Bestimmung der Höhe der Sanktion zu berücksichtigen (EuGH 11. 4. 2024, C‑122/23, Legafact, Rn 42). Eine nationale Regelung, die eine Streichung aus dem Mehrwertsteuerregister vorsieht, wenn Steuerpflichtige gegen ihre mehrwertsteuerrechtlichen Verpflichtungen verstoßen, stimmt nicht mit den genannten Grundsätzen überein, wenn dabei nicht geprüft wird, welcher Art die Verstöße sind. Bei einer solchen Sanktion kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Diese wird nämlich verhängt, ohne zu bestimmen, ob eine derartige Sanktion gerechtfertigt ist oder ob die Umstände eine weniger harte Sanktion gebieten.
Im Ergebnis sind daher dem EuGH zufolge Art 213 und Art 273 MwStSyst-RL sowie die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die zuständige Finanzbehörde befugt ist, einen Steuerpflichtigen deshalb aus dem Mehrwertsteuerregister zu streichen, weil dieser gegen seine mehrwertsteuerlichen Verpflichtungen verstoßen hat, ohne die Art der Verstöße und das Verhalten untersuchen zu müssen.
Conclusio
Die MwStSyst-RL enthält keine ausdrücklichen Vorgaben, nach denen Mitgliedstaaten Steuerpflichtige aus dem Register streichen können. Das Urteil des EuGH stellt jedoch klar, dass die Grundsätze der Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit eine Entziehung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer aufgrund von Verstößen gegen mehrwertsteuerliche Verpflichtungen nicht erlauben, ohne die Art der Verstöße und das Verhalten untersuchen zu müssen. Dieses Ergebnis überrascht wenig.
Offen bleibt jedoch unter welchen Umständen es Mitgliedstaaten erlaubt ist, Steuerpflichtige aus dem Register zu streichen. Den Entscheidungsgründen des EuGH kann entnommen werden, dass eine solche Maßnahme zumindest eine „besonders harte Sanktion“ darstellt (EuGH 3. 4. 2025, C-164/24, Cityland, Rn 44). Mitunter könnte eine solche Sanktion damit sogar nur ultima ratio sein: Der EuGH betont, dass die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer eine besondere Rolle beim Nachweis des Status eines Steuerpflichtigen spielt. Empfänger von Dienstleistungen, die von einem aus dem Mehrwertsteuerregister gestrichenen Steuerpflichtigen erbracht werden, können nicht mehr sicher nachweisen, dass sie zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Unternehmen könnten daher von einem Geschäftsabschluss mit dem aus dem Register gestrichenen Steuerpflichtigen Abstand nehmen, womit diese Maßnahme einem vorläufigen oder dauernden Tätigkeitsverbot gleichkäme (EuGH 3. 4. 2025, C-164/24, Cityland, Rn 42–44). Diese Ausführungen des EuGH lassen darauf schließen, dass eine Streichung aus dem Mehrwertsteuerregister nur bei schwerwiegenden Verstößen gegen die mehrwertsteuerrechtlichen Vorschriften gerechtfertigt sein sollte. Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn ein Steuerpflichtiger über einen längeren Zeitraum hinweg keine Steuererklärungen einreicht und dadurch auch keine Mehrwertsteuer entrichtet. Hingegen sollten einzelne Verstöße – wie die verspätete Abgabe einer Erklärung oder eine verspätete Zahlung – nicht ausreichen, um den Steuerpflichtigen aus dem Register zu streichen.