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EuGH: Tochtergesellschaft begründet keine feste Niederlassung

Bearbeiter: Markus Mittendorfer

MwStSyst-RL: Art 44

Durchführungs-VO: Art 11

Abstract

In der Rs Berlin Chemie hatte sich der EuGH mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine Tochtergesellschaft eine feste Niederlassung begründen kann. Dies bestätigt der EuGH unter Rückgriff auf seine bisherige Rsp (vgl EuGH 7. 5. 2020, C-547/18, Dong Yang Electronics). In Bezug auf die Struktur, die mit Blick auf die personelle und technische Ausstattung eine autonome Erbringung der jeweiligen Dienstleistung ermöglicht, hält der EuGH fest, dass es sich dabei nicht um eigene persönliche und technische Mittel handeln muss. Damit stellt der EuGH in wirtschaftlicher Betrachtungsweise auf die Verfügungsmacht des Unternehmers über die personelle und technische Ausstattung ab und präzisiert seine bisherige Rsp.

EuGH 7. 4. 2022, C-333/20, Berlin Chemie

Sachverhalt

Die Berlin Chemie AG ist eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland und gehört zur Menarini-Gruppe, die in Rumänien pharmazeutische Erzeugnisse vertreibt. Zu diesem Zweck schloss die Berlin Chemie AG einen Lagervertrag mit einer in Rumänien ansässigen Gesellschaft. Die rumänische Gesellschaft steht zu 100 % im Eigentum der Chemie/Menarini Pharma GmbH mit Sitz in Deutschland, an welcher die Berlin Chemie AG zu 95 % beteiligt ist. Die Haupttätigkeit der rumänischen Gesellschaft besteht in der Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation, wobei sie gegenüber der Berlin Chemie AG insb Marketing-, Werbe-, Regulierungs- und Vertretungsdienstleistungen erbringt. Hierzu stellt sie der Berlin Chemie AG die notwendige technische und personelle Ausstattung zur Verfügung. Die AG ist die einzige Kundin der rumänischen Gesellschaft. In weiterer Folge weist die rumänische Gesellschaft in den für die erbrachten Dienstleistungen an die Berlin Chemie AG ausgestellten Rechnungen keine Mehrwertsteuer aus, weil sie davon ausgeht, dass der Ort der Dienstleistung aufgrund des Reverse Charge Verfahrens (Art 196 MwStSyst-RL) in Deutschland liege. Demgegenüber vertrat die rumänische Finanzverwaltung die Auffassung, die von der rumänischen Gesellschaft an die Berlin Chemie AG erbrachten Dienstleistungen seien von dieser in Rumänien empfangen worden, denn die Berlin Chemie AG verfüge über eine ausreichende technische und personelle Ausstattung und daher über eine feste Niederlassung in Rumänien. Das Berufungsgericht in Bukarest legte dem EuGH daher die Frage vor, ob es für die Begründung einer festen Niederlassung erforderlich ist, dass die personelle und technische Ausstattung dem Steuerpflichtigen selbst gehört.

Entscheidung des EuGH

Gem Art 44 2. Satz MwStSyst-RL gilt als Ort der Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen im Falle des Bestehens einer festen Niederlassung der Ort des Sitzes der festen Niederlassung. Als feste Niederlassung gilt gem Art 11 Abs 1 DVO 282/11 „jede Niederlassung […] die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden.“ Nach stRsp des EuGH verlangt der Begriff „feste Niederlassung“ einen Mindestbestand an für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen erforderlichen Personal- und Sachmitteln. Für das Vorliegen einer festen Niederlassung bedarf es daher eines hinreichenden Grades an Beständigkeit sowie Struktur, die mit Blick auf die personelle und technische Ausstattung eine autonome Erbringung der jeweiligen Dienstleistung ermöglicht. Der Besitz einer Tochtergesellschaft allein reicht für die Begründung einer festen Niederlassung allerdings nicht aus (vgl dazu bereits EuGH 7. 5. 2020, C-547/18, Dong Yang Electronics), denn die Einstufung einer Einrichtung als feste Niederlassung darf nicht von deren Rechtsform abhängig gemacht werden. Eine Tochtergesellschaft kann an sich zwar eine feste Niederlassung begründen, dies aber nur dann, wenn die Voraussetzungen des Art 11 Abs 1 DVO erfüllt sind, welche unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und geschäftlichen Gegebenheiten festgestellt werden. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Steuerpflichtige über eine eigene personelle oder technische Ausstattung im engeren Sinn verfügt. Er muss lediglich befugt sein, über diese in derselben Weise zu verfügen, als wäre es seine eigene (zB auf Grundlage von Dienstleistungs- oder Mietverträgen, die nicht kurzfristig gekündigt werden können). Eine andere Auslegung läuft nämlich auf eine restriktive Anwendung des Art 11 DVO hinaus und führe in Bezug auf die Bestimmung des Leistungsortes nicht zuletzt zu Rechtsunsicherheit. Zwar verwies der EuGH die Prüfung, ob eine feste Niederlassung in casu vorliegt, auf das vorlegende Gericht, dabei kam der Gerichtshof jedoch zu dem Schluss, dass – anhand der vorliegenden Akten – die zur Begründung der festen Niederlassung herangezogene personelle und technische Ausstattung die gleiche sei, mit deren Hilfe die rumänische Gesellschaft die Leistungen für die Berlin Chemie AG ausführe. Dieselbe persönliche und technische Ausstattung kann aber nicht gleichzeitig zur Erbringung und zum Empfang derselben Dienstleistungen verwendet werden.

Conclusio

In der Rs Berlin Chemie bestätigt der EuGH seine in der Rs Dong Yang Electronics herausgearbeiteten Grundsätze und präzisiert diese. Beizupflichten ist dabei insb der Aussage, dass es sich bei der persönlichen und technischen Ausstattung nicht um eine „eigene“ im engeren Sinne handeln muss (idS bereits Mittendorfer/Pollak/Streicher, EuGH-Update – Umsatzsteuer, ecolex 2021, 765 ff), sofern der Unternehmer über diese wie über eigene verfügen kann. Im Ergebnis kommt es daher in wirtschaftlicher Betrachtungsweise auf die Verfügungsmacht des Unternehmers an. Dies erscheint konsequent. Eine andere Auslegung wäre nämlich betrugsanfällig, könnte doch das Vorliegen einer festen Niederlassung und damit der Leistungsort in diesem Fall durch den Unternehmer leicht beeinflusst werden. Vom EuGH offengelassen wird hingegen die Frage, unter welchen konkreten Umständen eine Tochtergesellschaft eine feste Niederlassung begründet. Eine ähnliche Rs mit gleichliegender Grundproblematik liegt dem EuGH momentan unter der Geschäftszahl C-232/22 (Cabot Plastics Belgium) vor. Eine etwaige Präzisierung bleibt daher mit Spannung zu erwarten.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32783 vom 08.07.2022