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EuGH: Unfall im Flugzeug – Verschlimmerung durch Erstversorgung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

MÜ: Art 17

Die unzureichende medizinische Erstversorgung eines Reisenden an Bord eines Luftfahrzeugs, die zu einer Verschlimmerung der Körperverletzung durch einen „Unfall“ iSd Art 17 Abs 1 MÜ geführt hat, ist als Teil dieses Unfalls anzusehen:

Ereignet sich an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ein Unfall, der den Tod oder eine Körperverletzung des Reisenden verursacht, hat der Luftfrachtführer nach Art 17 Abs 1 MÜ den Schaden zu ersetzen. Ein „Unfall“ ist als ein unvorhergesehenes, unbeabsichtigtes, schädigendes Ereignis zu verstehen, wobei nicht verlangt wird, dass der Schaden auf das Eintreten eines luftfahrtspezifischen Risikos zurückgeht oder dass es einen Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Betrieb oder der Bewegung des Luftfahrzeugs gibt. Ein Schadenseintritt kann nicht immer auf ein isoliertes Ereignis zurückgeführt werden, wenn dieser Schaden sich als Folge eines Bündels von Ereignissen darstellt, die einander gegenseitig bedingen. Somit ist ein innerlich zusammenhängender Vorgang ohne räumlich-zeitliche Zäsur als ein einheitlicher „Unfall“ iSv Art 17 Abs 1 MÜ anzusehen. Dies ist der Fall, wenn – wie hier – das Umfallen einer Kaffeekanne dazu führt, dass ein Reisender verbrüht wird und unverzüglich vom Bordpersonal medizinisch erstversorgt werden muss. In Anbetracht der räumlichen und zeitlichen Kontinuität zwischen dem Umfallen der Kaffeekanne und der medizinischen Erstversorgung des dadurch verletzten Reisenden besteht nämlich unbestreitbar ein Kausalzusammenhang zwischen diesem Umfallen und der Verschlimmerung der dadurch verursachten Körperverletzung aufgrund der unzureichenden medizinischen Erstversorgung.

Da der Begriff „Unfall“ iSv Art 17 Abs 1 MÜ auf einen innerlich zusammenhängenden Vorgang ohne räumlich-zeitliche Zäsur beschränkt ist, können die Reisenden einfach und schnell entschädigt werden, ohne dass jedoch den Luftfrachtführern eine übermäßige, schwer feststell- und berechenbare Ersatzpflicht aufgebürdet würde, die ihre wirtschaftliche Tätigkeit gefährden oder sogar zum Erliegen bringen könnte.

Dass der betreffende Luftfrachtführer nicht gegen seine Sorgfaltspflichten verstoßen hat, vermag diese Feststellungen nicht in Frage zu stellen. Für die Einstufung als „Unfall“ iSv Art 17 Abs 1 MÜ genügt es nämlich, dass sich das Geschehen (der „Unfall“) an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat.

EuGH 6. 7. 2023, C-510/21, Austrian Airlines (Premiers soins à bord d’un aéronef)

Zu den Schlussanträgen des Generalanwalts siehe Rechtsnews 33538.

Zum Vorabentscheidungsersuchen OGH 5. 8. 2021, 2 Ob 19/21i, RdW 2021/546.

Hinweis:

Da die zweite Frage nur für den Fall gestellt worden ist, dass die erste Frage verneint wird, war sie nicht zu prüfen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34252 vom 10.07.2023