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EuGH: Unterschiedliche Steuersätze auf Milchgetränke

Bearbeiter: Rainer Borns

MwStSyst-RL: Art 98

MwStSyst-RL: Anhang III Nr 1, 12a

Abstract

Der EuGH hatte zu entscheiden, ob Lebensmittel, die aus dergleichen Hauptzutat bestehen, unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen unterworfen werden können, je nachdem ob sie im Einzelhandel verkauft werden oder ob sie auf Bestellung eines Kunden zum sofortigen Verzehr zubereitet und warm abgegeben werden.

EuGH 5. 10. 2023, C-146/22, Dyrektor Krajowej Informacji Skarbowej

Sachverhalt

YD betreibt eine Kaffeehauskette in der unter anderem Getränke mit der Bezeichnung „Classic Hot Chocolate“ verkauft werden. Dabei handelt es sich um eine heiße Schokolade, die auf der Basis von Milch und Schokoladensauce zubereitet wird. YD ersuchte die Steuerbehörde um eine verbindliche Auskunft über den auf dieses Getränk anwendbaren Mehrwertsteuersatz. Die Steuerbehörde stellte mit Bescheid fest, dass die Zubereitung und Abgabe dieses Getränkes als ernährungsbezogene Dienstleistung dem besonderen Steuersatz von 8 % unterliegt. YD focht diesen Bescheid mit der Begründung an, dass es sich dabei um ein Getränk auf Milchbasis handle, das dem besonderen Steuersatz von 5 % unterliege. Das vorlegende Gericht hatte Zweifel, ob die nationale Praxis mit der Mehrwertsteuerrichtlinie in ihrer Auslegung vereinbar ist und legte die folgende Frage dem EuGH vor:

Ist Art 98 MwStSyst-RL iVm Anhang III Nr 1 und 12a MwStSyst-RL dahin auszulegen, dass er nationalen Regelungen entgegensteht, nach der für Lebensmittel, die aus derselben Hauptzutat bestehen, zwei unterschiedliche ermäßigte Mehrwertsteuersätze gelten, je nachdem ob sie im Einzelhandel verkauft werden oder ob sie auf Bestellung eines Kunden zum sofortigen Verzehr zubereitet und warm abgegeben werden?

Entscheidung des EuGH

Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass Lieferungen und Dienstleistungen dem Normalsteuersatz zu unterwerfen sind. Davon abweichend können gem Art 98 MwStSyst-RL ermäßigt Steuersätze auf jene Lieferungen und Dienstleistungen angewandt werden, die im Anhang III MwStSyst-RL taxativ aufgezählt werden. Der Zweck dieser ermäßigten Steuersätze ist, die Kosten für bestimmte Leistungen zu senken und somit dem Endverbraucher den Zugang zu erleichtern. Es ist Aufgabe der Mitgliedstaaten die Leistungen genauer zu bestimmen, die unter die jeweiligen Kategorien des Anhang III der MwStSyst-RL subsumiert werden können. Bei dieser näheren Ausgestaltung steht es dem nationalen Gesetzgeber frei, die Lieferungen und Dienstleistungen nach der Methode einzustufen, die er für am geeignetsten hält. Die Mehrwertsteuerrichtlinie schließt es laut EuGH nicht aus, dass Lieferungen oder Dienstleistungen, die zur selben Kategorie des Anhang III gehören, unterschiedlichen Steuersätzen unterworfen werden. Diese selektive Anwendung von Steuersätzen ist allerdings ausschließlich unter Berücksichtigung des Neutralitätsgrundsatzes zulässig.

Im vorliegenden Fall führt der EuGH aus, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu prüfen, ob die Unterscheidung zwischen der Ausgabe von verzehrfertigen Milchgetränken und der Zubereitung von Milchheißgetränken von einem Kaffeehausmitarbeiter mit dem Neutralitätsgrundsatz im Einklang steht. Eine differenzierte umsatzsteuerrechtliche Behandlung ist vor dem Hintergrund dieses Grundsatzes zulässig, wenn die beiden Leistungen nicht miteinander im Wettbewerb stehen und nicht denselben Bedürfnissen eines Durchschnittsverbrauchers dienen. Diesbezüglich gibt der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht Hinweise, die bei der Beurteilung miteinzubeziehen sind. Bei der Vergleichbarkeitsprüfung ist laut EuGH etwa zu berücksichtigen, dass die Getränke aus derselben Hauptzutat bestehen und demnach eine ähnliche flüssige Konsistenz und ein ähnliches äußeres Erscheinungsbild haben. Zudem muss die Tatsache miteinbezogen werden, dass es bei den beiden Milchgetränken Temperaturunterschiede gibt. Die von YD vertriebenen Getränke sind außerdem zum sofortigen Verzehr bestimmt, während dies bei in Geschäften vertriebenen Milchgetränken nicht unbedingt der Fall ist. Der EuGH führt vorbehaltlich einer näheren Prüfung durch das vorlegende Gericht aus, dass dieser Unterschied einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidung des Verbrauchers haben kann.

Conclusio

Die Entscheidung des EuGH gliedert sich in die bereits bestehende Rechtsprechung zur selektiven Anwendung von Steuersätzen ein (EuGH 22. 4. 2021, Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, C‑703/19, Rn 43). Demnach können die Mitgliedstaaten unterschiedliche Steuersätze auf die im Anhang III genannten Lieferungen und Dienstleistungen anwenden, solange dies mit dem Neutralitätsgrundsatz vereinbar ist. Sollten bestimmte in Anhang III genannte Leistungen aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers miteinander vergleichbar sein, dürfen diese nicht verschiedenen Steuersätzen unterworfen werden. Im gegenständlichen Fall überlässt es der EuGH dem vorlegenden Gericht zu prüfen, ob die Milchgetränke aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers miteinander vergleichbar sind. Der EuGH gibt dem vorlegenden Gericht allerdings Hinweise, die das nationale Gericht bei der Vergleichbarkeitsprüfung miteinzubeziehen hat. Insbesondere aufgrund der Ausführungen des Gerichtshofes zu den Temperaturunterschieden und zum Umstand, dass die von YD vertriebenen Getränke im Gegensatz zu den in Geschäften vertriebenen Getränken zum sofortigen Verzehr bestimmt sind, kann darauf geschlossen werden, dass der EuGH eher von keiner Vergleichbarkeit ausgeht.

In Österreich unterliegen Milchprodukte, darunter auch Kakao, dem 10%igen besonderen Steuersatz (§ 10 Abs 2 lit b UStG iVm Z 30 der Anlage). § 10 Abs 2 lit b UStG erfasst explizit auch die Abgabe von Speisen und Getränken im Rahmen einer sonstigen Leistung (Restaurationsumsätze). Folglich unterliegt sowohl die Zubereitung von Kakao in einem Kaffeehaus zum sofortigen Verzehr als auch der Verkauf von Milchprodukten im Einzelhandel dem 10%igen Steuersatz (siehe Pernegger in Melhardt/Tumpel (Hrsg), UStG, [2021], § 10 Rz 158).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34757 vom 20.11.2023