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EuGH: Unterschiedliche Umsatzbesteuerung von Freizeitparks und Jahrmärkten

Bearbeiter: Annika Streicher

MwStSystRL: Art 98

MwStSystRL: Anhang III Z 7

Abstract

Der EuGH hatte zu entscheiden, ob es dem Grundsatz der Neutralität widerspricht, einen ermäßigten Umsatzsteuersatz auf Eintrittsberechtigungen zu Jahrmärkten und Eintrittsberechtigungen zu Freizeitparks anzuwenden. Entscheidend ist erstens die Vergleichbarkeit beider Leistungen aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers und zweitens die Frage, ob diese Unterschiede geeignet sind, die Konsumentscheidung erheblich zu beeinflussen. Bei der Analyse des zweiten Kriteriums ist nicht bloß auf die Leistung per se abzustellen, sondern auch auf den Kontext, in dem sie erbracht wird.

EuGH 9. 9. 2021, C-406/20, Phantasialand

Sachverhalt

Phantasialand betreibt in Deutschland einen Freizeitpark, in dem Fahrgeschäfte und Shows angeboten werden. Phantasialand beantragte, die Eintrittsberechtigungen nicht nach dem Normalsteuersatz von 19 %, sondern nach dem für die Leistungen von Schaustellern geltenden ermäßigten Steuersatz von 7 % zu versteuern. Gem Art 98 Abs 2 iVm Anhang III Z 7 MwStSystRL können Mitgliedstaaten einen ermäßigten Steuersatz auf die „Eintrittsberechtigungen für […] Jahrmärkte, Vergnügungsparks […]“ anwenden. Nach § 12 Abs 2 Z 7 lit d dUStG ist ein ermäßigter Steuersatz auf die Umsätze von Schaustellern anzuwenden, worunter bloß ortsungebundene Schausteller verstanden werden. Auf die Umsätze von Vergnügungsparks wendet Deutschland keinen ermäßigten Steuersatz an.

Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. Das FG Köln setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor: Kann die in Anhang III Z 7 iVm Art 98 Abs 2 MwStSystRL erfolgte Benennung von Jahrmärkten und Vergnügungsparks iSe Differenzierung für eine Besteuerung eines Freizeitparks zum Regelsteuersatz herangezogen werden, obwohl die Bezeichnung „Vergnügungspark“ sowohl ortsgebundene als auch ortsungebundene Schaustellerunternehmen umfasst? Ist die Rsp des EuGH, wonach der Kontext verschiedener Leistungen dazu führen kann, dass sie ungleichartig sind, auf die Leistungen von ortsungebundenen Schaustellern und Freizeitparks anwendbar?

Entscheidung des EuGH

Der EuGH bejaht die erste Frage. Die MwStSystRL enthalte weder eine Definition des Begriffs „Jahrmärkte“ noch des Begriffs „Vergnügungsparks“, eine autonome Auslegung sei daher notwendig. Während der Begriff „Vergnügungsparks“ ein erschlossenes Gelände mit verschiedenen Einrichtungen zur Entspannung und Unterhaltung meine, umfasse der Begriff „Jahrmärkte“ zwar die gleichen Leistungen, diese werden aber bloß auf temporärer Basis angeboten. Da Anhang III Z 7 MwStSystRL beide Begriffe nebeneinander verwende, sei ihnen eine unterschiedliche Bedeutung beizulegen und der Begriff „Vergnügungspark“ umfasse Umsätze von ortsungebundenen Schaustellern nicht. Daher stehe diese Regelung der Anwendung eines unterschiedlichen Steuersatzes auf die beiden Arten von Leistungen nicht entgegen.

Auch die zweite Frage bejaht der EuGH. Entscheide sich ein Mitgliedstaat dafür, einen ermäßigten Steuersatz selektiv auf bestimmte in Anhang III genannte Leistungsarten anzuwenden, müsse er dennoch den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten: Leistungen, die aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers miteinander in Wettbewerb stehen, müssen steuerlich gleich behandelt werden. Abzustellen sei erstens auf ähnliche Eigenschaften, eine Vergleichbarkeit in der Verwendung und die Befriedigung derselben Bedürfnisse und zweitens auf die Frage, ob die Konsumentscheidung des Verbrauchers durch die bestehenden Unterschiede erheblich beeinflusst wird. Der EuGH erachtet die erste Voraussetzung als erfüllt, beide Leistungen haben ähnliche Eigenschaften. Bei der Prüfung der zweiten Voraussetzung sei abzustellen auf Unterschiede im Kontext der Erbringung der jeweiligen Leistung, Unterschiede in den rechtlichen Rahmenbedingungen und andere kontextuelle Unterschiede. Diese Analyse sei Sache des nationalen Gerichts. Erheblich könne die Tatsache sein, dass Jahrmärkte nur an wenigen Tagen im Jahr stattfinden, häufig auf Brauchtum basieren und anderen rechtlichen Rahmenbedingungen (Marktprivilegien) unterliegen.

Conclusio

Nach Ansicht der Autorin begründet eine unterschiedliche Besteuerung von Freizeitparks und Jahrmärkten keinen Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz. Im Hinblick auf das zweite Kriterium ist wohl keine Vergleichbarkeit gegeben, weil die Kontexte der Leistungserbringung nicht vergleichbar sind: In Freizeitparks, zB Disneyland und Phantasialand, gibt es mehrmals täglich Shows – auf Jahrmärkten gibt es Derartiges üblicherweise nicht. Außerdem sind Freizeitparks auf ein längeres, auch mehrtägiges Verweilen ausgelegt und haben teilweise sogar eigene Hotels – auch das gibt es auf Jahrmärkten nicht. Jahrmärkte entspringen oft Brauchtum und Folklore und werden auch aus diesen Gründen besucht. Während Freizeitparks vorwiegend von Familien mit Kindern besucht werden und das Umfeld familienfreundlich gestaltet ist, kombinieren Jahrmärkte meist Angebote von Schaustellern mit der Möglichkeit zum Alkoholkonsum und häufig auch landwirtschaftlichen und sonstigen Ausstellungen. Im Ergebnis kann nach Ansicht der Autorin eine unterschiedliche Umsatzbesteuerung durchaus mit Unterschieden im Tatsächlichen gerechtfertigt werden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31674 vom 09.11.2021