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EuGH: Urlaubsersatzleistung auch bei unberechtigtem vorzeitigen Austritt

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

UrlG: § 10 Abs 2

RL 2003/88/EG: Art 7 Abs 2

Gemäß § 10 Abs 2 UrlG gebührt einem Arbeitnehmer keine Urlaubsersatzleistung für den noch offenen Urlaubsanspruch, wenn er ohne wichtigen Grund vorzeitig aus dem Dienstverhältnis austritt. Diese Bestimmung ist unionrechtswidrig: Art 7 RL 2003/88/EG (ArbeitszeitRL) und Art 31 Abs 2 GRC (EU-Grundrechte-Charta) gewährleisten ein Grundrecht auf einen bezahlten Jahresurlaub. Dieses beinhaltet auch den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den Jahresurlaub, den der Arbeitnehmer vor dem Ende seines Arbeitsverhältnisses nicht verbrauchen konnte. Der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist im Hinblick auf den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung nach Art 7 Abs 2 ArbeitszeitRL nicht maßgeblich. Somit steht Arbeitnehmern auch im Falle eines vorzeitigen Austritts ohne wichtigen Grund eine Urlaubsersatzleistung für den offenen Resturlaub zu.

EuGH 25. 11. 2021, C-233/20, job-medium

Zu den Schlussanträge des Generalanwalts siehe ARD 6745/6/2021

Zum Vorabentscheidungsersuchen OGH 9 ObA 137/19s siehe ARD 6703/7/2020

Entscheidung

Beendigungsgrund unbeachtlich

Der EuGH verweist eingangs auf den Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub (Art 7 Abs 1 RL 2003/88/EG, der Art 31 Abs 2 der Charta näher konkretisiert): Er soll dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der Aufgaben zu erholen, ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegen, und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Dieser Zweck unterscheidet den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von anderen Arten des Urlaubs mit anderen Zwecken und beruht auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet hat. Als zweiten Aspekt umfasst das unionssozialrechtliche Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub einen Anspruch auf Bezahlung und – eng damit verbunden – den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für Jahresurlaub, der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht verbraucht wurde (vgl zB EuGH 29. 11. 2017, C-214/16, King, ARD 6594/13/2018).

Wenn das Arbeitsverhältnis endet, ist es nicht mehr möglich, tatsächlich bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Um zu verhindern, dass dem Arbeitnehmer wegen dieser Unmöglichkeit jeder Genuss dieses Anspruchs, selbst in finanzieller Form, verwehrt wird, sieht Art 7 Abs 2 ArbeitszeitRL vor, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine finanzielle Vergütung hat. Diese Bestimmung stellt für das Entstehen des Anspruchs auf eine finanzielle Vergütung keine andere Voraussetzung auf als die, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet ist und dass zum anderen der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte. Somit ist der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung nach Art 7 Abs 2 ArbeitszeitRL nicht maßgeblich (vgl in diesem Sinne EuGH 20. 7. 2016, C-341/15, Maschek, Rn 28).

Im vorliegenden Fall hat der Arbeitnehmer während des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet. Er hat somit einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erworben, von dem ein Teil bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht verbraucht worden war. Die finanzielle Vergütung für nicht genommene Urlaubstage wurde ihm allein deshalb verweigert, weil er das Arbeitsverhältnis vorzeitig und ohne wichtigen Grund beendet hat. Wie aber bereits erwähnt, hat der Umstand, dass ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet, keine Auswirkung darauf, dass er gegebenenfalls eine finanzielle Vergütung für den bezahlten Jahresurlaub beanspruchen kann, den er vor dem Ende seines Arbeitsverhältnisses nicht verbrauchen konnte. Art 7 ArbeitszeitRL iVm Art 31 Abs 2 GRC stehen somit der österreichischen Regelung entgegen, wonach eine Urlaubsersatzleistung für das laufende letzte Arbeitsjahr nicht gebührt, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis ohne wichtigen Grund vorzeitig einseitig beendet. Da der Arbeitnehmer in jedem Fall Anspruch auf finanzielle Vergütung für nicht genommene Urlaubstage hat, und zwar unabhängig von dem Grund, aus dem er diese nicht verbrauchen konnte, muss das nationale Gericht auch nicht prüfen, ob der Verbrauch dieser bezahlten Urlaubstage für den Arbeitnehmer unmöglich war.

Anmerkung:

Diese Entscheidung hat nicht nur für den Anlassfall Relevanz, sondern ist von den österreichischen Gerichten jedenfalls – und ungeachtet § 10 Abs 2 UrlG – zu beachten. Auch können vorzeitig ausgetretene Arbeitnehmer noch Ansprüche auf Urlaubsersatzleistung geltend machen, sofern der Austritt noch keine 3 Jahre zurückliegt (kürzere kollektivvertragliche oder einzelvertraglich vereinbarte Verfallsfristen sind zu beachten).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31749 vom 26.11.2021